Hier die Hochkultur, dort die Germanen
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Nach der Varusschlacht zogen sich die Römer auf die Kölner Rheinseite zurück. Der Niedergermanische Limes trennte ihr Territorium von dem der Germanen. Eine Landesausstellung zeigt bald mehr über eine Grenze, die Welterbe werden soll.
Hätten die Menschen im Norden des heutigen Nordrhein-Westfalens vor 2000 Jahren nicht den Römern getrotzt – wer weiß, welche Landstriche die Eroberer noch eingenommen hätten. Eine römische Provinz bis an die Elbe schwebte ihnen vor.
Aber das sollte ein Traum bleiben. Im Jahr neun nach Christus verlor der römische Feldherr Varus seine letzte Schlacht – und zog sich zurück. Seither galt der Rhein als Limes, als Grenze zum Römischen Reich. 30.000 römische Soldaten waren hier zeitweise stationiert.
Wichtiges Befestigungslager
Die Stadt Haltern am See, zwischen dem heutigen Ruhrgebiet und dem Münsterland, spielt in dieser Zeit eine Schlüsselrolle. "Jetzt sind wir hier auf der Römerbaustelle Aliso. Hier wird demnächst ein neues Gebäude entstehen, und zwar ein Wachhaus", sagt der Archäologe Josef Mühlenbrock, Leiter des Römermuseums in Haltern am See, in einem Video des Museums.
"2013 haben die Kollegen von der LWL-Archäologie gegraben und einen Grundriss eines Gebäudes entdeckt, das bisher überhaupt noch nicht bekannt war", erläutert er. "Es gibt diesen Gebäudetypus nur in einigen Lagern hier in Westfalen, nämlich in Oberardern, in Anreppen und bei uns in Haltern."
Ausstellung über den Niedergermanischen Limes
Innerhalb eines Jahres soll dieses Wachhaus nun nachgebaut werden – originalgetreu. Eröffnet wird es im März 2022 – im Rahmen der Landesausstellung "Roms fließende Grenzen", die sich dem Niedergermanischen Limes, also der römischen Befestigungsgrenze am Rhein, widmet.
In fünf Orten – Detmold, Xanten, Bonn, Köln und eben Haltern – werden von September an verschiedene Aspekte der Grenzbefestigung gezeigt, erklärt Michael Schmauder vom Landesmuseum in Bonn. Er hatte zusammen mit Kollegen die Idee zur städteübergreifenden Ausstellung.
"Ein ganz wichtiges Element innerhalb dieser Phase des Römischen Reiches ist der Niedergermanische Limes als militärische Grenze, aber eben auch als Kontaktzone über den Rhein hinweg zwischen den beiden Großräumen, eben des Römischen Reiches und den Gebieten rechts des Rheins, die wir als Germanien bezeichnen", sagt Schmauder.
Die "Germanen" selbst bezeichneten sich wahrscheinlich gar nicht so – der Name stammt aus römischen Quellen. Von den rechtsrheinischen Stämmen ist jedenfalls nichts Derartiges überliefert. Klar ist aber: Nachdem sich die kriegerischen Römer auf die Gebiete links des Rheins zurückgezogen hatten, lebten sie jahrhundertelang meist friedlich nebeneinander.
Römische Hochkultur nur auf einer Seite des Rheins
"Es gibt einen intensiven Austausch zwischen den links- und rechtsrheinischen Gebieten", sagt Schmauder. "Es gibt gerade im grenznahen Bereich viele Leute, die sicher ganz häufig von der einen Seite auf die andere Seite gewechselt sind." Davon erzählen archäologische Funde – in der Landesausstellung werden sie zum Teil völlig neu präsentiert.
Die Schau richtet den Blick aber nicht nur auf die Römer. Im Lippischen Landesmuseum von Detmold, dem nördlichsten Ort der Landesausstellung, blickt Kurator Patrick Könemann auf die Einwohner jenseits des Imperium Romanum.
"Wir beschäftigen uns mit den Menschen östlich des Rheins, die in vielen kleinen Gruppen miteinander gelebt haben, die von den Römern als Germanen bezeichnet wurden", erläutert Könemann. Dafür erhalte er archäologische Funde aus dem ganzen Bundesland.
"Das ist tatsächlich etwas sehr Besonderes", freut sich Könemann. Vor allem, weil es über die Germanen so wenig Quellen gibt. "Alles, was wir über diese Menschen wissen aus Schriftquellen, kommt aus römischer Hand. Die Bevölkerung östlich des Rheins hat selbst nichts aufgeschrieben."
Interessant sei auch, dass die Germanen während der jahrhundertelangen Nachbarschaft kaum etwas von den Römern übernahmen, obwohl die Römer in vielen Bereichen – nicht nur der Schriftsprache – besonders fortschrittlich waren, sagt Michael Schmauder.
"Sie haben das Beispiel Bonn oder auch Köln, mit der Provinzhauptstadt, wo es quasi alles gibt, was es auch in Rom gibt", so der Bonner Archäologe. "Und dann fahre ich über den Rhein rüber und bin auf der anderen Rheinseite und nichts ist mehr davon da. Es gibt keine vergleichbare Straßeninfrastruktur; es gibt keine vergleichbaren Bauten; es gibt keinen wirklichen Münzumlauf, keine Verwaltungsstrukturen. Alles das, was das Römische Reich als Hochkultur auszeichnet, findet man rechts des Rheins nicht." Warum das so ist, darüber grübeln Archäologen noch heute.
Antrag auf Aufnahme ins Welterbe-Register
Der Niedergermanische Limes erstreckt sich über 400 Kilometer von Rheinland-Pfalz bis an die niederländische Nordseeküste. Allein in Nordrhein-Westfalen durchquert er 19 Kommunen. Mit etwas Glück wird er zum neuen Welterbe ernannt. Die Niederlande hatten gemeinsam mit Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz den Antrag auf Aufnahme in das Welterbe-Register gestellt.
Schmauder drückt dem Vorhaben beide Daumen. "Das ist schon immer ein besonderes Ereignis, wenn ein Welterbe verliehen wird. Und es ist insofern etwas ganz Besonderes, weil es ja ein lineares Denkmal ist. Es ist nicht nur ein Hotspot wie der Kölner Dom, sondern es ist eben eine ganze Region."
Haltern am See ist zwar nicht Teil der Welterbe-Bewerbung, weil es dafür zu weit östlich liegt vom Grenzwall Limes – aber in der Landesausstellung wird das Römer-Museum sicherlich für eines der Highlights sorgen.
Militärlager Aliso an der Lippe
Mit seinem Militärlager Aliso und dem vor wenigen Jahren entdeckten Wachhaus könne es für die frühe Phase des Römischen Reichs im Rheinland spannende Geschichten erzählen, sagt die Archäologin und stellvertretende Museumsleiterin Lisa Stratmann.
Das Lager direkt an der Lippe war ein besonderer Standort, gut ausgebaut und mit mehreren Verwaltungsgebäuden. Deshalb gehe man heute davon aus, "dass sich hier eine Art Zentrale befunden hat, um die Region nach und nach ins Römische Reich zu integrieren."
Die Begeisterung der Archäologin ist auch über die Videoschalte spürbar, vor allem, wenn sie von den letzten Wochen und Tagen des Lagers Aliso erzählt, der Zeit unmittelbar nach der legendären Varusschlacht etwa im Jahr neun nach Christus. "Da gibt es sehr spannende Berichte in den literarischen Quellen, eine Restbesatzung konnte sich gegen die belagernden Germanen noch mehrere Tage und Wochen halten."
Letztlich konnten sich die Römer aus der Belagerung befreien und retteten sich auf die andere Rheinseite – ins Imperium Romanum.
Escape Room in der Landesausstellung
"Das Spannende", so Stratmann, "was wir in der Ausstellung machen, ist: Im Rahmen des Wachhauses wollen wir einen Escape Room installieren."
Ein Escape Room ist eine Art Abenteuerspiel. Mit Hilfe von Rätseln und Aufgaben müssen sich die Spielerinnen und Spieler aus einem Raum befreien, der meist originaltreu nachgebaut ist. Während die Spieler allerdings meist eine fiktive Story nachspielen, soll hier in Haltern Geschichte lebendig werden.
"Wir spielen in diesem Wachhaus, was auch durch archäologische Bodenspuren nachgewiesen ist, die letzten Stunden von Aliso nach der bekannten Varuskatastrophe nach. Und das ist schon einzigartig", freut sich die Archäologin.
Bis es soweit ist, liegt noch einiges an Arbeit vor ihr. Im Moment wird das Wachhaus gebaut, danach soll es originalgetreu eingerichtet werden. "Unsere Römer-Rekruten – wir haben ja eine hauseigene Römer-Truppe – fangen jetzt schon fleißig an, zu planen und auch die Möbel nachzubauen."
Bleibt zu hoffen, dass bis dahin ein Spiel mit sechs bis acht Leuten in einem Raum auch wieder erlaubt ist.