Tanzen, trinken, diskutieren
Mit ihrer Kombination aus Party, Lesung und Gespräch sind die Lesefestivals des MAG-Verlags in den Niederlanden eine Legende. In der vergangenen Woche fand auch in Berlin ein solches Lesefestival statt.
Freitagabend kurz vor acht in den Berliner Heckmann-Höfen, gleich hinter der Synagoge. Es ist einer der bislang heißesten Tage dieses Sommers, und die Luft in der kleinen DAD-Galerie für niederländisches Design steht, obwohl Türen und Fenster sperrangelweit offen stehen. Der helle Ausstellungsraum mit den knallbunten Siebdrucken an den Wänden ist einer von zwölf Orten in Berlin, an denen heute Abend – nach Art niederländischer Buchclubs - diskutiert werden soll. Gastgeberin Maria Klumb hat einen Stuhlkreis für die 25 Gäste aufgebaut und schonmal viel Wasser bereitgestellt.
"Eine niederländische Autorin Bregje Hofstede präsentiert hier ihren Roman. 'Der Himmel über Paris' heißt es wahrscheinlich auf Deutsch, ja."
Lesen die Deutschen seriöser als die Holländer?
Langsam füllt sich der Raum. Niederländische, deutsche und englische Sprachfetzen mischen sich, auch die Autorin Bregje Hofstede ist inzwischen angekommen und schon sehr gespannt.
"Man hat mir gesagt, dass die Deutschen seriöser lesen als Niederländer, ja ich wundere mich, ob die Fragen wirklich anders sein werden als normalerweise, als ich üblich bin."
Bregje Hofstedes Roman handelt von einem französischen Kunstprofessor, der sich in eine seiner Studentinnen verliebt, weil sie ihn an eine verflossene Jugendliebe erinnert. Es geht viel um Projektionen, um Lebenskrisen und den Sprung über den eigenen Schatten. Das Romandebüt der 28-Jährigen hat es in den Niederlanden immerhin schon auf die Longlists gleich zweier renommierter Literaturpreise geschafft.
Schnell sind alle per Du
Es geht pünktlich los – genau wie bei den anderen elf Leseclubs an diesem Abend mit professioneller Moderation, einer kleinen Vorstellungsrunde und einem kleinen Buch-Quiz zum Kennenlernen.
"Jaa, herzlich willkommen!"
Schnell haben sich alle – dem niederländischen Vorbild entsprechend – aufs Du geeinigt. Und die Quizregeln, nach denen jede richtige Antwort mit einem Gläschen Wodka honoriert wird, wandelt eine junge Frau von der niederländischen Botschaft schnell und unbürokratisch um: Sie schenkt kurzerhand jedem einen Wodka ein.
Und dann wird diskutiert – mit der Autorin, aber auch untereinander. Ob das denn hier überhaupt eine klassische Liebesgeschichte sei, wie das offene Ende verstanden wurde, über das Verhältnis von Realität und Fiktion im Roman, aber auch um Motive und Pläne der jungen Autorin geht es. Nach knapp zwei Stunden angeregter Unterhaltung auf Augenhöhe sind die Leseclub-Besucher begeistert.
"Also, ich habe gerade überlegt, ob es nicht für mich auch sinnvoll wäre, sowas für mich zu etablieren. Das müsste, man natürlich erzielen, dass alle den Roman gelesen haben, sonst wäre das heute Abend auch ganz anders ausgegangen mit den Gesprächen."
"Ja, ich finde das total großartig. Und ich glaube auch, dass es wichtig ist, die jungen Leute wieder zu Lesungen zu kriegen. Gibt's auch in Amerika, da heißt es Kaffeeklatsch, ist in der Mittagszeit. Da ist ein Autor, und da darfst du mit ihm reden."
Hier allerdings lockt nach dem Lesezirkel für alle noch die Party. In diesem Fall in der "Bar Babette", einem schicken, aus der Zeit gefallenen Glas-Pavillon an der Karl-Marx-Allee, dem ehemals sozialistischen Prachtboulevard.
Selbst jetzt gegen 23 Uhr ist die Schwüle unerträglich. Die meisten sitzen draußen auf Bierbänken, genießen kühle Drinks und tauschen sich über ihre Erfahrungen an diesem Abend aus. Elisabeth Friedrich zum Beispiel war in Arjen Lubachs Leseklub:
"Wir hatten jetzt einen Autor, der sehr prominent ist in den Niederlanden, weil er da eine große TV-Show hat. Und trotzdem war alles ganz unbefangen und die Fragen gingen von der Schreibblockade bis hin zur Inspiration oder 'was hast du denn jetzt gemeint damit gemeint'. Also es war sehr schön und frei und auch nicht so ein Moment wie man es nach Lesungen hat: So, jetzt dürfen Sie mal Fragen stellen und keiner sagt was. Sondern es war von Anfang an sehr locker und angenehm."
Lebendiger Austausch mit Tiefgang
Daniel Beskos, Verleger des kleinen Hamburger Mairisch-Verlages, der gemeinsam mit dem Mag-Magazin den Abend auf die Beine gestellt hat, macht lediglich einen Unterschied zum Leseklub-Original aus:
"Ich glaube, die Niederländer mussten erstmal ihre Zungen lockern mit Wodka, um ins Gespräch zu kommen. Den Eindruck hatte ich heute Abend nicht in Berlin. Ich hatte das Gefühl, dass alle dabei sind, alle mitdiskutieren, sehr lebendig, aber dass es auch sehr in die Tiefe ging. Also, ich habe sehr schöne Sachen von den verschiedenen Leseclubs gehört."
Nur einen Vorsatz des Abends können die Veranstalter in dieser Nacht nicht einlösen: Trotz guter Musik wird nicht getanzt. Dafür ist die Nacht schlicht viel zu heiß bei diesem ersten deutsch-niederländisch-flämischen Leseclub-Festival, das sicher nicht das letzte gewesen sein wird.