"Niemand hat die Absicht, eine Mauer zu errichten"
1961 war das geteilte Berlin mit seiner offenen, jederzeit passierbaren Sektorengrenze zu einer existentiellen Bedrohung der DDR geworden, denn der ostdeutsche Staat hatte bis dahin schon ein Fünftel bis ein Viertel der Bevölkerung verloren.
Walter Ulbricht:
"Verehrte Hörer, wir melden uns aus dem großen Festsaal im Haus der Ministerien von der Internationalen Pressekonferenz, die der Vorsitzende des Staatsrats, Genosse Walter Ulbricht, in wenigen Minuten hier abhalten wird."'"
Mehr als 300 Journalisten aus dem In- und Ausland hatten sich im Haus der Ministerien an der Leipziger Straße in Ostberlin zu einer der seltenen Pressekonferenzen Walter Ulbrichts eingefunden. Ein von der Sowjetunion vorgeschlagener Friedensvertrag mit Deutschland und die Regelung der Berlin-Frage standen an jenem 15. Juni 1961 auf der Tagesordnung. Knapp drei Jahre zuvor, im November 1958, hatte der sowjetische Regierungschef Nikita Chruschtschow den Viermächtestatus Berlins infrage gestellt und ultimativ die Umwandlung Westberlins in eine "entmilitarisierte und freie Stadt" gefordert. Seitdem verhandelten die Siegermächte immer wieder die Berlin-Frage, ohne eine Einigung zu erzielen. Der Experte für die Geschichte der Berliner Mauer, Hans-Hermann Hertle, vom Zentrum für zeithistorische Forschung Potsdam.
""Chruschtschow hatte sich am 4. Juni mit Kennedy in Wien getroffen, hatte dort sehr hart gepokert und meinte, er könne den jungen, unerfahrenen amerikanischen Präsidenten überrollen mit seiner Drohung, wenn die Vereinigten Staaten, wenn die Westmächte nicht bereit wären zum Abschluss eines Friedensvertrages, dann würde er einen Separatvertrag mit der DDR abschließen und der DDR insbesondere die Kontrolle über die Zufahrtswege nach Berlin an Ulbricht übertragen. Und das waren Fragen, die an den Rande zumindest eines Weltkrieges hätten führen können."
Die innerstädtische Sektorengrenze, die man jederzeit passieren konnte, war der DDR-Regierung seit Jahren schon ein existentielles Ärgernis.
Hans-Hermann Hertle:
"Die DDR hat bis 1961 ein Fünftel bis ein Viertel der Bevölkerung verloren. Das heißt, die DDR war und steckte in einer so starken Krise, dass man sagen kann, sie stand unmittelbar vor dem wirtschaftlichen Zusammenbruch, wenn es nicht gelingen würde, den Flüchtlingsstrom nach Westberlin zu unterbinden."
Immer wieder kreiste die internationale Pressekonferenz an jenem 15. Juni 1961 um die Flüchtlingsproblematik.
Ein Reporter:
"Redaktion des Spiegel in Berlin. Schließt die angestrebte Kontrolle der DDR über die Verkehrswege einer Freien Stadt West-Berlin nach Westdeutschland weiterhin die Möglichkeit ein, dass Ihrer Meinung nach Flüchtlinge aus West-Berlin in die Bundesrepublik abgeflogen werden können?"
Walter Ulbricht:
"Wir halten es für selbstverständlich, dass die sogenannten Flüchtlingslager in Westberlin geschlossen werden, und die Personen, die sich mit Menschenhandel beschäftigen, Westberlin verlassen."
Ein weiterer Reporter:
"Doherr, Frankfurter Rundschau. Herr Vorsitzender, bedeutet die Bildung einer Freien Stadt Ihrer Meinung nach, dass die Staatsgrenze am Brandenburger Tor errichtet wird?"
Walter Ulbricht:
"Ich verstehe Ihre Frage so: Dass es Menschen in Westdeutschland gibt, die wünschen, dass wir die Bauarbeiter der Hauptstadt der DDR mobilisieren, um eine Mauer aufzurichten, ja? Äh, mir ist nicht bekannt, dass solche Absicht besteht, da sich die Bauarbeiter in der Hauptstadt hauptsächlich mit Wohnungsbau beschäftigen und ihre Arbeitskraft voll eingesetzt wird. Niemand hat die Absicht, eine Mauer zu errichten."
Dazu Hans-Hermann Hertle:
"Im Nachhinein sind wir schlauer, und es erscheint uns als Lüge. Aber wenn wir uns in die Zeit zurückversetzen, würde ich nüchterner sagen, Ulbricht verrät mit diesem Spruch, dass der Bau einer Mauer als eine Variante zur Unterbindung des Flüchtlingsstromes im Gespräch war. Ulbricht hat monatelang Chruschtschow gedrängt zur Grenzschließung. Und erst als er sah, dass die Vereinigten Staaten und auch Frankreich und Großbritannien sich nicht seinem Ultimatum unterwerfen würden, so hat Chruschtschow also dann im Juli Ulbrichts Drängen nachgegeben und der Schließung der Grenze zugestimmt."
In der Nacht vom 12. auf den 13. August errichteten Einheiten der Nationalen Volksarmee, der Volkspolizei und der Betriebskampfgruppen Stacheldrahtverhaue entlang der quer durch Berlin verlaufenden Sektorengrenze. Wenige Tage später begann der Mauerbau.
"Verehrte Hörer, wir melden uns aus dem großen Festsaal im Haus der Ministerien von der Internationalen Pressekonferenz, die der Vorsitzende des Staatsrats, Genosse Walter Ulbricht, in wenigen Minuten hier abhalten wird."'"
Mehr als 300 Journalisten aus dem In- und Ausland hatten sich im Haus der Ministerien an der Leipziger Straße in Ostberlin zu einer der seltenen Pressekonferenzen Walter Ulbrichts eingefunden. Ein von der Sowjetunion vorgeschlagener Friedensvertrag mit Deutschland und die Regelung der Berlin-Frage standen an jenem 15. Juni 1961 auf der Tagesordnung. Knapp drei Jahre zuvor, im November 1958, hatte der sowjetische Regierungschef Nikita Chruschtschow den Viermächtestatus Berlins infrage gestellt und ultimativ die Umwandlung Westberlins in eine "entmilitarisierte und freie Stadt" gefordert. Seitdem verhandelten die Siegermächte immer wieder die Berlin-Frage, ohne eine Einigung zu erzielen. Der Experte für die Geschichte der Berliner Mauer, Hans-Hermann Hertle, vom Zentrum für zeithistorische Forschung Potsdam.
""Chruschtschow hatte sich am 4. Juni mit Kennedy in Wien getroffen, hatte dort sehr hart gepokert und meinte, er könne den jungen, unerfahrenen amerikanischen Präsidenten überrollen mit seiner Drohung, wenn die Vereinigten Staaten, wenn die Westmächte nicht bereit wären zum Abschluss eines Friedensvertrages, dann würde er einen Separatvertrag mit der DDR abschließen und der DDR insbesondere die Kontrolle über die Zufahrtswege nach Berlin an Ulbricht übertragen. Und das waren Fragen, die an den Rande zumindest eines Weltkrieges hätten führen können."
Die innerstädtische Sektorengrenze, die man jederzeit passieren konnte, war der DDR-Regierung seit Jahren schon ein existentielles Ärgernis.
Hans-Hermann Hertle:
"Die DDR hat bis 1961 ein Fünftel bis ein Viertel der Bevölkerung verloren. Das heißt, die DDR war und steckte in einer so starken Krise, dass man sagen kann, sie stand unmittelbar vor dem wirtschaftlichen Zusammenbruch, wenn es nicht gelingen würde, den Flüchtlingsstrom nach Westberlin zu unterbinden."
Immer wieder kreiste die internationale Pressekonferenz an jenem 15. Juni 1961 um die Flüchtlingsproblematik.
Ein Reporter:
"Redaktion des Spiegel in Berlin. Schließt die angestrebte Kontrolle der DDR über die Verkehrswege einer Freien Stadt West-Berlin nach Westdeutschland weiterhin die Möglichkeit ein, dass Ihrer Meinung nach Flüchtlinge aus West-Berlin in die Bundesrepublik abgeflogen werden können?"
Walter Ulbricht:
"Wir halten es für selbstverständlich, dass die sogenannten Flüchtlingslager in Westberlin geschlossen werden, und die Personen, die sich mit Menschenhandel beschäftigen, Westberlin verlassen."
Ein weiterer Reporter:
"Doherr, Frankfurter Rundschau. Herr Vorsitzender, bedeutet die Bildung einer Freien Stadt Ihrer Meinung nach, dass die Staatsgrenze am Brandenburger Tor errichtet wird?"
Walter Ulbricht:
"Ich verstehe Ihre Frage so: Dass es Menschen in Westdeutschland gibt, die wünschen, dass wir die Bauarbeiter der Hauptstadt der DDR mobilisieren, um eine Mauer aufzurichten, ja? Äh, mir ist nicht bekannt, dass solche Absicht besteht, da sich die Bauarbeiter in der Hauptstadt hauptsächlich mit Wohnungsbau beschäftigen und ihre Arbeitskraft voll eingesetzt wird. Niemand hat die Absicht, eine Mauer zu errichten."
Dazu Hans-Hermann Hertle:
"Im Nachhinein sind wir schlauer, und es erscheint uns als Lüge. Aber wenn wir uns in die Zeit zurückversetzen, würde ich nüchterner sagen, Ulbricht verrät mit diesem Spruch, dass der Bau einer Mauer als eine Variante zur Unterbindung des Flüchtlingsstromes im Gespräch war. Ulbricht hat monatelang Chruschtschow gedrängt zur Grenzschließung. Und erst als er sah, dass die Vereinigten Staaten und auch Frankreich und Großbritannien sich nicht seinem Ultimatum unterwerfen würden, so hat Chruschtschow also dann im Juli Ulbrichts Drängen nachgegeben und der Schließung der Grenze zugestimmt."
In der Nacht vom 12. auf den 13. August errichteten Einheiten der Nationalen Volksarmee, der Volkspolizei und der Betriebskampfgruppen Stacheldrahtverhaue entlang der quer durch Berlin verlaufenden Sektorengrenze. Wenige Tage später begann der Mauerbau.