"Niemand ist da gut vorbereitet"
Seit dem Atomunfall in Japan ist der Roman "Die Wolke" wieder in den Bestsellerlisten zu finden. "Eigentlich ist es logisch, dass sich jetzt wieder viele an dieses Buch erinnert fühlen", sagt dazu die Autorin Gudrun Pausewang.
Stephan Karkowsky: Seit vielen Jahren ist "Die Wolke" Schulliteratur, für viele Schüler die erste Begegnung mit dem Atomthema überhaupt. Seit dem Atomunfall in Japan ist das Buch wieder in den Bestsellerlisten zu finden. Geschrieben hat es die mittlerweile 83 Jahre alte Autorin und Lehrerin Gudrun Pausewang. Frau Pausewang, guten Tag!
Gudrun Pausewang: Guten Tag!
Karkowsky: Hat es Sie eigentlich überrascht, dass so viele Menschen sich nun an Ihr Buch erinnern?
Pausewang: Ich hatte gar nicht darüber nachgedacht, was passieren würde, wenn wirklich so eine Reaktorkatastrophe passieren würde, aber eigentlich ist es logisch, dass sich jetzt wieder viele an dieses Buch erinnert fühlen.
Karkowsky: Und was ist bei Ihnen los derzeit, steht das Telefon ab und zu auch noch mal still?
Pausewang: Ach das ist furchtbar, also ich komme kaum zum Essen, so intensiv sind die Gespräche und ein Interview nach dem anderen, und viele rufen mich auch an, die das Buch gelesen haben und mir ausdrücken wollen, dass dieses Buch bei ihnen sehr viel bewirkt hat.
Karkowsky: "Die Wolke" ist ein Roman, kein Sachbuch. Es ist Fiktion, keine Dokumentation. Dennoch, wenn Sie nun die Nachrichten verfolgen aus Japan, was Sie ja nun auch jeden Tag tun, wie stark sind da die Parallelen, die Sie entdecken, zum Buch?
Pausewang: Na ja die Parallelen sind natürlich da, denn eine Reaktorhavarie, wie man das damals genannt hat zur Zeit von Tschernobyl, verläuft ja mehr oder minder ähnlich. Es ist für Menschen dann gefährlich, wenn Verstrahlung austritt, also wenn die Menschen damit rechnen müssen, dass sie verstrahlt werden. Und das richtet sich ja nicht nach nationalen Grenzen, sondern ist überall gleich.
Karkowsky: Sie selbst haben Ihren Roman damals geschrieben unter dem Eindruck der Katastrophe von Tschernobyl. Waren Sie denn eigentlich vorher schon Atomkraftgegnerin?
Pausewang: Ja natürlich. Viele Menschen, jüngere Menschen wissen gar nicht, dass damals die Information schon fast genau so gut war wie heutzutage. Zum Beispiel die Ärzteinitiative IPPNW hatte damals in Massen, zu Tausenden ein Heftchen herausgebracht, in dem geschildert wurde, die Symptome einer atomaren Verstrahlung geschildert wurden, und zwar leicht verstrahlt, mittel verstrahlt und schwer verstrahlt. Und daran habe ich mich natürlich orientiert. Ich habe ja das Buch nicht geschrieben, ohne einigermaßen Bescheid zu wissen.
Karkowsky: Das Faszinierende ist ja, es sind oft gerade Literatur und Film, die die Menschen mehr bewegen als jede Theoriedebatte. Also Roland Emmerichs Film "The Day After Tomorrow" zum Beispiel hat wohl mehr Menschen zum Nachdenken gebracht über die Klimakatastrophe als jeder UN-Gipfel. Sie haben schon gesagt, Ihre Leser reagieren auf Ihr Buch auch sehr positiv. Wie schätzen Sie die Wirkung ein Ihres Buches?
Pausewang: Na ja es kommt ganz auf die politische Einstellung des Lesers an. Und dieses Buch wurde ja von mindestens ebenso vielen Erwachsenen gelesen wie von Jugendlichen bisher. Mit Kindern hat das überhaupt nichts zu tun, das Buch wurde nicht für Kinder geschrieben, das muss ich mal zwischendurch sagen. Viele haben mich jetzt angerufen und haben von einem Kinderbuch gesprochen. Das ist Unsinn, ich habe dieses Buch so etwa ab 13 angesetzt.
Karkowsky: Sie sind ausgezeichnet worden damals mit dem Jugendliteraturpreis, und die "Süddeutsche Zeitung" etwa hat es aufgenommen in ihre Sammlung von Meisterwerken der Jugendliteratur, also nicht Kinderbücher, aber Jugendliteratur. Und heute gab es dann, gestern zum Beispiel, auch Kritik, da hat die "Süddeutsche" geschrieben, das wäre ein moralinversäuerter Roman, da wurde kritisiert so eine Schwarz-Weiß-Darstellung von den reichen, bösen Mercedes fahrenden Bonzen auf der einen und den VW-Bus fahrenden armen Ökos auf der anderen Seite. Hat man das damals so gesehen und sieht man das heute immer noch so?
Pausewang: Also ich weiß überhaupt nichts von dieser Gegenüberstellung von Reichen und Armen. Wenn das irgendwann mal aufgetaucht sein sollte in meinem Buch ... Ich kann die reichen Bonzen gar nicht finden, ich hab vorhin da mal rumgeblättert, ich habe einen Bus mit jungen Leuten gefunden, ja gut. Aber dass ich den mit Absicht jetzt reichen Leuten gegenübergestellt hätte, das ist Unsinn.
Karkowsky: Was glauben Sie denn eigentlich, sind die Menschen in Deutschland heute nach all dem, was sie wissen könnten und müssten, gut vorbereitet auf einen Atomunfall, wie ihn derzeit die Japaner erleben?
Pausewang: Na was heißt gut vorbereitet, niemand ist da gut vorbereitet. Der Unterschied, der mir jetzt so auffällt, ist der, dass es, wenn es bei uns geschehen würde, längst nicht mit einer solchen Gefasstheit und einer solchen Ordnung stattfinden würde. Also ich habe bis jetzt zum Beispiel aus den Nachrichten aus Japan nichts gehört über ein Verkehrschaos. Das läuft sehr viel disziplinierter ab, bei uns würde das wahrscheinlich ganz anders sein. Aber andererseits ...
Es kommt sehr viel darauf an, ob die Informanten, zum Beispiel die Politiker, die darüber Bescheid wissen, oder die Atomkraftbetreiber, ob die ehrlich sind. Und da staune ich, dass die Japaner so glauben, dass sie nur ehrliche Informationen bekommen. Ob die wirklich ehrlich sind, kann ich nicht beurteilen, ich stehe ja nicht dort und bin da voll informiert, aber die Vermutung liegt nahe, dass da manches eben auch beschönigt wird.
Karkowsky: Politiker ist ein gutes Stichwort, in Deutschland hat die Politik ja schnell reagiert, sieben der ältesten Atommeiler sollen abgeschaltet werden plus der Pannenmeiler von Krümmel - obwohl ja die ganzen Gefahren schon lange bekannt waren, es ist ja nichts Neues passiert im Grunde genommen. Wie erklären Sie sich das, dass Menschen offenbar mit theoretischen Risiken der Atomkraft viel sorgloser umgehen als mit der realen Gefahr, wenn es einmal passiert ist?
Pausewang: Na der Mensch, der ist so geartet, dass er Unangenehmes gern verdrängt und auch Unbequemes gern verdrängt. Der Mensch hat es gern bequem, und außerdem ist der Mensch natürlich anfällig für das Anhäufen von materiellen Gütern, also Geld. Und das spielt dabei natürlich auch eine Rolle.
Karkowsky: Ihr Atomroman "Die Wolke" ist wieder in den Verkaufslisten. Die Autorin Gudrun Pausewang, Ihnen vielen Dank!
Pausewang: Ich danke auch!
Gudrun Pausewang: Guten Tag!
Karkowsky: Hat es Sie eigentlich überrascht, dass so viele Menschen sich nun an Ihr Buch erinnern?
Pausewang: Ich hatte gar nicht darüber nachgedacht, was passieren würde, wenn wirklich so eine Reaktorkatastrophe passieren würde, aber eigentlich ist es logisch, dass sich jetzt wieder viele an dieses Buch erinnert fühlen.
Karkowsky: Und was ist bei Ihnen los derzeit, steht das Telefon ab und zu auch noch mal still?
Pausewang: Ach das ist furchtbar, also ich komme kaum zum Essen, so intensiv sind die Gespräche und ein Interview nach dem anderen, und viele rufen mich auch an, die das Buch gelesen haben und mir ausdrücken wollen, dass dieses Buch bei ihnen sehr viel bewirkt hat.
Karkowsky: "Die Wolke" ist ein Roman, kein Sachbuch. Es ist Fiktion, keine Dokumentation. Dennoch, wenn Sie nun die Nachrichten verfolgen aus Japan, was Sie ja nun auch jeden Tag tun, wie stark sind da die Parallelen, die Sie entdecken, zum Buch?
Pausewang: Na ja die Parallelen sind natürlich da, denn eine Reaktorhavarie, wie man das damals genannt hat zur Zeit von Tschernobyl, verläuft ja mehr oder minder ähnlich. Es ist für Menschen dann gefährlich, wenn Verstrahlung austritt, also wenn die Menschen damit rechnen müssen, dass sie verstrahlt werden. Und das richtet sich ja nicht nach nationalen Grenzen, sondern ist überall gleich.
Karkowsky: Sie selbst haben Ihren Roman damals geschrieben unter dem Eindruck der Katastrophe von Tschernobyl. Waren Sie denn eigentlich vorher schon Atomkraftgegnerin?
Pausewang: Ja natürlich. Viele Menschen, jüngere Menschen wissen gar nicht, dass damals die Information schon fast genau so gut war wie heutzutage. Zum Beispiel die Ärzteinitiative IPPNW hatte damals in Massen, zu Tausenden ein Heftchen herausgebracht, in dem geschildert wurde, die Symptome einer atomaren Verstrahlung geschildert wurden, und zwar leicht verstrahlt, mittel verstrahlt und schwer verstrahlt. Und daran habe ich mich natürlich orientiert. Ich habe ja das Buch nicht geschrieben, ohne einigermaßen Bescheid zu wissen.
Karkowsky: Das Faszinierende ist ja, es sind oft gerade Literatur und Film, die die Menschen mehr bewegen als jede Theoriedebatte. Also Roland Emmerichs Film "The Day After Tomorrow" zum Beispiel hat wohl mehr Menschen zum Nachdenken gebracht über die Klimakatastrophe als jeder UN-Gipfel. Sie haben schon gesagt, Ihre Leser reagieren auf Ihr Buch auch sehr positiv. Wie schätzen Sie die Wirkung ein Ihres Buches?
Pausewang: Na ja es kommt ganz auf die politische Einstellung des Lesers an. Und dieses Buch wurde ja von mindestens ebenso vielen Erwachsenen gelesen wie von Jugendlichen bisher. Mit Kindern hat das überhaupt nichts zu tun, das Buch wurde nicht für Kinder geschrieben, das muss ich mal zwischendurch sagen. Viele haben mich jetzt angerufen und haben von einem Kinderbuch gesprochen. Das ist Unsinn, ich habe dieses Buch so etwa ab 13 angesetzt.
Karkowsky: Sie sind ausgezeichnet worden damals mit dem Jugendliteraturpreis, und die "Süddeutsche Zeitung" etwa hat es aufgenommen in ihre Sammlung von Meisterwerken der Jugendliteratur, also nicht Kinderbücher, aber Jugendliteratur. Und heute gab es dann, gestern zum Beispiel, auch Kritik, da hat die "Süddeutsche" geschrieben, das wäre ein moralinversäuerter Roman, da wurde kritisiert so eine Schwarz-Weiß-Darstellung von den reichen, bösen Mercedes fahrenden Bonzen auf der einen und den VW-Bus fahrenden armen Ökos auf der anderen Seite. Hat man das damals so gesehen und sieht man das heute immer noch so?
Pausewang: Also ich weiß überhaupt nichts von dieser Gegenüberstellung von Reichen und Armen. Wenn das irgendwann mal aufgetaucht sein sollte in meinem Buch ... Ich kann die reichen Bonzen gar nicht finden, ich hab vorhin da mal rumgeblättert, ich habe einen Bus mit jungen Leuten gefunden, ja gut. Aber dass ich den mit Absicht jetzt reichen Leuten gegenübergestellt hätte, das ist Unsinn.
Karkowsky: Was glauben Sie denn eigentlich, sind die Menschen in Deutschland heute nach all dem, was sie wissen könnten und müssten, gut vorbereitet auf einen Atomunfall, wie ihn derzeit die Japaner erleben?
Pausewang: Na was heißt gut vorbereitet, niemand ist da gut vorbereitet. Der Unterschied, der mir jetzt so auffällt, ist der, dass es, wenn es bei uns geschehen würde, längst nicht mit einer solchen Gefasstheit und einer solchen Ordnung stattfinden würde. Also ich habe bis jetzt zum Beispiel aus den Nachrichten aus Japan nichts gehört über ein Verkehrschaos. Das läuft sehr viel disziplinierter ab, bei uns würde das wahrscheinlich ganz anders sein. Aber andererseits ...
Es kommt sehr viel darauf an, ob die Informanten, zum Beispiel die Politiker, die darüber Bescheid wissen, oder die Atomkraftbetreiber, ob die ehrlich sind. Und da staune ich, dass die Japaner so glauben, dass sie nur ehrliche Informationen bekommen. Ob die wirklich ehrlich sind, kann ich nicht beurteilen, ich stehe ja nicht dort und bin da voll informiert, aber die Vermutung liegt nahe, dass da manches eben auch beschönigt wird.
Karkowsky: Politiker ist ein gutes Stichwort, in Deutschland hat die Politik ja schnell reagiert, sieben der ältesten Atommeiler sollen abgeschaltet werden plus der Pannenmeiler von Krümmel - obwohl ja die ganzen Gefahren schon lange bekannt waren, es ist ja nichts Neues passiert im Grunde genommen. Wie erklären Sie sich das, dass Menschen offenbar mit theoretischen Risiken der Atomkraft viel sorgloser umgehen als mit der realen Gefahr, wenn es einmal passiert ist?
Pausewang: Na der Mensch, der ist so geartet, dass er Unangenehmes gern verdrängt und auch Unbequemes gern verdrängt. Der Mensch hat es gern bequem, und außerdem ist der Mensch natürlich anfällig für das Anhäufen von materiellen Gütern, also Geld. Und das spielt dabei natürlich auch eine Rolle.
Karkowsky: Ihr Atomroman "Die Wolke" ist wieder in den Verkaufslisten. Die Autorin Gudrun Pausewang, Ihnen vielen Dank!
Pausewang: Ich danke auch!