"Niemand wird ein traumatisierendes Ereignis vergessen"
Über 260 Soldaten mussten sich nach Angaben des Psychotherapeuten Karl-Heinz Biesold allein 2008 mit posttraumatischen Störungen in Krankenhausbehandlung begeben. Die Zahl der Betroffenen steige, sagte Biesold anlässlich der heutigen Debatte im Bundestag. Trotz umfangreicher Vorbereitung könnten nicht alle Gefahrensituationen geübt werden.
Hanns Ostermann: Wer gibt schon gerne zu, dass er Probleme hat, ernsthafte psychische Probleme. Vielen dürfte es schwer fallen, das einzugestehen, erst recht dann, wenn der- oder diejenige im beruflichen Alltag Stärke und Souveränität ausstrahlen soll. Das gilt ganz besonders für die Soldaten im Auslandseinsatz, mit denen sich heute der Deutsche Bundestag beschäftigen wird.
Der physische und psychische Druck steigt in den Krisengebieten und nicht wenige kommen mit sogenannten posttraumatischen Belastungsstörungen zurück. Was für Erkrankungen sind das und wie kann den Patienten geholfen werden? Darüber möchte ich mit Dr. Karl-Heinz Biesold sprechen. Er ist Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie am Bundeswehrkrankenhaus Hamburg und der Experte für diese Krankheit. Guten Morgen, Herr Dr. Biesold.
Karl-Heinz Biesold: Guten Morgen.
Ostermann: Viele Soldaten sind einem ungeheueren Druck ausgesetzt. Die ständige Terrorgefahr etwa in Afghanistan zehrt an den Nerven. Was kann dann zum Beispiel das Fass zum Überlaufen bringen und zu einer sogenannten posttraumatischen Belastungsstörung führen?
Biesold: Von einer posttraumatischen Belastungsstörung sprechen wir dann, wenn zu diesen allgemeinen Gefahren das Erleben einer extremen Stress-Situation gehört. Das kann zum Beispiel ein Anschlag sein, das kann eine Geiselnahme sein oder das Erleben von Tötung oder Verwundung eines Kameraden.
Ostermann: Wie äußert sich dann diese Krankheit? Womit vor allem haben die Patienten dann Probleme?
Biesold: Im ersten Augenblick, wenn man so ein Extremerlebnis hat, haben ja die meisten Menschen eine psychische Schockreaktion, und das ist auch ganz normal. Bei vielen klingt diese Schockreaktion dann nach wenigen Tagen wieder ab. Von einer posttraumatischen Belastungsstörung sprechen wir erst dann, wenn so etwas nicht verarbeitet werden kann und mit dem Abstand von Wochen und Monaten immer noch Symptome da sind.
Ostermann: Worin können diese Symptome bestehen?
Biesold: Die klassischen Symptome der posttraumatischen Belastungsstörung kann man in drei Gruppen aufteilen. Die erste Gruppe sind sich wieder aufdrängende Erinnerungen. Das sind Erinnerungen, die durch einen äußeren Auslöser in Gang kommen und dann verbunden sind mit ganz heftigen Gefühlen - meist sind das Angstreaktionen - und mit ganz starken Körpersensationen: Schweißausbrüche, Blutdrucksteigerung, Herzrasen.
Die zweite Gruppe ist eine ständig erhöhte Nervosität oder Übererregbarkeit, mit Reizbarkeit, Schlafstörungen und Ungeduld zum Beispiel. Und die dritte Gruppe ist das sogenannte Vermeidungsverhalten, dass alle Dinge, die an dieses Trauma oder an die Situation erinnern können, gemieden werden. Das kann bis zu ganz ausgeprägtem sozialen Rückzug gehen und auch in Depressionen bis hin zu Selbstmordgefährdung enden.
Ostermann: Zur ersten Gruppe gehören, glaube ich, die sogenannten Flashbacks, immer wiederkehrende Bilder. Sind das die Bilder, die zu dieser Krankheit beigetragen haben, also zum Beispiel der Tod eines Kameraden, dass dieses Bild zwanghaft immer wieder auf dem eigenen Schirm erscheint?
Biesold: Ja, das können ganz konkrete Bilder sein, aber das kann in Albträumen zum Beispiel auch sehr abstrahiert etwas sein, was mit diesem Trauma in Verbindung steht. Aber in der Regel sind es Bilder, die im Augenblick dieses Ereignisses dann aufgetaucht sind und gesehen wurden, manchmal nicht erinnert werden spontan, sondern erst durch diese, wie wir das nennen, Triggerung, durch diese Auslösung in Gang kommen.
Ostermann:Wie gehen Sie dann als Arzt und Therapeut vor? Setzen Sie dabei vor allem auf das Gespräch?
Biesold: Ja. Wir machen hier eine Traumatherapie, wie sie auch in anderen Traumakliniken gemacht wird, und die besteht im Prinzip auch aus drei Phasen. Das Erste ist, dass man die Patienten stabilisiert, dass sie von ihren Bildern und ihren Flashbacks nicht so überrannt werden und völlig denen ausgeliefert sind. In der zweiten Phase gehen wir mit den Patienten noch mal die traumatischen Situationen durch.
Das heißt, wir konfrontieren sie mit dem, was die belastendsten Momente des Ereignisses waren, denn ein Trauma ist immer, wie wir das im Fachjargon nennen, eine unterbrochene Handlung. Viele Details werden gar nicht erinnert, und es ist wie ein Mosaikbild, was zersprungen ist, und für den Traumatisierten muss dieses Bild wieder zusammengesetzt werden, damit es verarbeitet werden kann, und im Gehirn die Verarbeitung dahin läuft, dass es als Vergangenes erlebt wird und nicht mehr als aktuelle Bedrohung.
Ostermann: Sodass am Ende einer Therapie möglicherweise der Patient oder die Patientin sich mit der eigenen Vergangenheit auseinandersetzen kann wie in einem Fotoalbum? Habe ich Sie da richtig verstanden?
Biesold: Ja. Niemand wird ein traumatisierendes Ereignis vergessen, und das muss auch nicht das Ziel und kann nicht das Ziel der Therapie sein, sondern es muss in das Leben integriert werden, es muss als schicksalhaft erlebt einfach verarbeitet werden. Die Erinnerung wird bleiben, aber sie darf nicht mehr das Leben so stark beeinträchtigen und das insgesamt bestimmende Ereignis im Leben bleiben.
Ostermann: Herr Dr. Biesold, lässt sich eigentlich ungefähr einschätzen, wie viele Soldaten unter dieser Erkrankung leiden?
Biesold: Wir haben in den letzten Jahren eine zunehmende Zahl. Wir haben 2008 über 260 Soldaten in den unterschiedlichen Bundeswehrkrankenhäusern gesehen, die aus den verschiedensten Einsatzgebieten kamen, wobei die große Mehrzahl aus dem Afghanistan-Einsatz kommt. Das ist ja auch der gefährlichste Einsatz, den wir haben. Aber wir vermuten, dass es darüber hinaus noch eine Anzahl gibt, die sich eben nicht bei uns meldet und die eine gewisse Dunkelziffer ausmacht.
Ostermann: Und im Vorhinein kann man wahrscheinlich so gut wie nichts machen, denn die Soldaten werden auf diesen schlimmen Einsatz eingestellt, und sie werden darauf vorbereitet. Unter psychologischen Gesichtspunkten kann da wahrscheinlich kaum etwas verbessert werden.
Biesold: Es gibt ein umfangreiches Vorbereitungsprogramm, aber man kann nicht auf alle Situationen, denen man in einem solchen Einsatz begegnet, vorbereitet werden. Viele Dinge kann man gedanklich durchspielen, aber nicht wirklich üben. Das ist das Töten, der Einsatz von Schusswaffen oder zum Beispiel, dass man Opfer eines Anschlages selbst wird.
Ostermann: Herr Dr. Biesold, Danke für das Gespräch heute früh.
Biesold: Bitte sehr.
Ostermann: Dr. Karl-Heinz Biesold war das, Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie am Bundeswehrkrankenhaus in Hamburg.
Der physische und psychische Druck steigt in den Krisengebieten und nicht wenige kommen mit sogenannten posttraumatischen Belastungsstörungen zurück. Was für Erkrankungen sind das und wie kann den Patienten geholfen werden? Darüber möchte ich mit Dr. Karl-Heinz Biesold sprechen. Er ist Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie am Bundeswehrkrankenhaus Hamburg und der Experte für diese Krankheit. Guten Morgen, Herr Dr. Biesold.
Karl-Heinz Biesold: Guten Morgen.
Ostermann: Viele Soldaten sind einem ungeheueren Druck ausgesetzt. Die ständige Terrorgefahr etwa in Afghanistan zehrt an den Nerven. Was kann dann zum Beispiel das Fass zum Überlaufen bringen und zu einer sogenannten posttraumatischen Belastungsstörung führen?
Biesold: Von einer posttraumatischen Belastungsstörung sprechen wir dann, wenn zu diesen allgemeinen Gefahren das Erleben einer extremen Stress-Situation gehört. Das kann zum Beispiel ein Anschlag sein, das kann eine Geiselnahme sein oder das Erleben von Tötung oder Verwundung eines Kameraden.
Ostermann: Wie äußert sich dann diese Krankheit? Womit vor allem haben die Patienten dann Probleme?
Biesold: Im ersten Augenblick, wenn man so ein Extremerlebnis hat, haben ja die meisten Menschen eine psychische Schockreaktion, und das ist auch ganz normal. Bei vielen klingt diese Schockreaktion dann nach wenigen Tagen wieder ab. Von einer posttraumatischen Belastungsstörung sprechen wir erst dann, wenn so etwas nicht verarbeitet werden kann und mit dem Abstand von Wochen und Monaten immer noch Symptome da sind.
Ostermann: Worin können diese Symptome bestehen?
Biesold: Die klassischen Symptome der posttraumatischen Belastungsstörung kann man in drei Gruppen aufteilen. Die erste Gruppe sind sich wieder aufdrängende Erinnerungen. Das sind Erinnerungen, die durch einen äußeren Auslöser in Gang kommen und dann verbunden sind mit ganz heftigen Gefühlen - meist sind das Angstreaktionen - und mit ganz starken Körpersensationen: Schweißausbrüche, Blutdrucksteigerung, Herzrasen.
Die zweite Gruppe ist eine ständig erhöhte Nervosität oder Übererregbarkeit, mit Reizbarkeit, Schlafstörungen und Ungeduld zum Beispiel. Und die dritte Gruppe ist das sogenannte Vermeidungsverhalten, dass alle Dinge, die an dieses Trauma oder an die Situation erinnern können, gemieden werden. Das kann bis zu ganz ausgeprägtem sozialen Rückzug gehen und auch in Depressionen bis hin zu Selbstmordgefährdung enden.
Ostermann: Zur ersten Gruppe gehören, glaube ich, die sogenannten Flashbacks, immer wiederkehrende Bilder. Sind das die Bilder, die zu dieser Krankheit beigetragen haben, also zum Beispiel der Tod eines Kameraden, dass dieses Bild zwanghaft immer wieder auf dem eigenen Schirm erscheint?
Biesold: Ja, das können ganz konkrete Bilder sein, aber das kann in Albträumen zum Beispiel auch sehr abstrahiert etwas sein, was mit diesem Trauma in Verbindung steht. Aber in der Regel sind es Bilder, die im Augenblick dieses Ereignisses dann aufgetaucht sind und gesehen wurden, manchmal nicht erinnert werden spontan, sondern erst durch diese, wie wir das nennen, Triggerung, durch diese Auslösung in Gang kommen.
Ostermann:Wie gehen Sie dann als Arzt und Therapeut vor? Setzen Sie dabei vor allem auf das Gespräch?
Biesold: Ja. Wir machen hier eine Traumatherapie, wie sie auch in anderen Traumakliniken gemacht wird, und die besteht im Prinzip auch aus drei Phasen. Das Erste ist, dass man die Patienten stabilisiert, dass sie von ihren Bildern und ihren Flashbacks nicht so überrannt werden und völlig denen ausgeliefert sind. In der zweiten Phase gehen wir mit den Patienten noch mal die traumatischen Situationen durch.
Das heißt, wir konfrontieren sie mit dem, was die belastendsten Momente des Ereignisses waren, denn ein Trauma ist immer, wie wir das im Fachjargon nennen, eine unterbrochene Handlung. Viele Details werden gar nicht erinnert, und es ist wie ein Mosaikbild, was zersprungen ist, und für den Traumatisierten muss dieses Bild wieder zusammengesetzt werden, damit es verarbeitet werden kann, und im Gehirn die Verarbeitung dahin läuft, dass es als Vergangenes erlebt wird und nicht mehr als aktuelle Bedrohung.
Ostermann: Sodass am Ende einer Therapie möglicherweise der Patient oder die Patientin sich mit der eigenen Vergangenheit auseinandersetzen kann wie in einem Fotoalbum? Habe ich Sie da richtig verstanden?
Biesold: Ja. Niemand wird ein traumatisierendes Ereignis vergessen, und das muss auch nicht das Ziel und kann nicht das Ziel der Therapie sein, sondern es muss in das Leben integriert werden, es muss als schicksalhaft erlebt einfach verarbeitet werden. Die Erinnerung wird bleiben, aber sie darf nicht mehr das Leben so stark beeinträchtigen und das insgesamt bestimmende Ereignis im Leben bleiben.
Ostermann: Herr Dr. Biesold, lässt sich eigentlich ungefähr einschätzen, wie viele Soldaten unter dieser Erkrankung leiden?
Biesold: Wir haben in den letzten Jahren eine zunehmende Zahl. Wir haben 2008 über 260 Soldaten in den unterschiedlichen Bundeswehrkrankenhäusern gesehen, die aus den verschiedensten Einsatzgebieten kamen, wobei die große Mehrzahl aus dem Afghanistan-Einsatz kommt. Das ist ja auch der gefährlichste Einsatz, den wir haben. Aber wir vermuten, dass es darüber hinaus noch eine Anzahl gibt, die sich eben nicht bei uns meldet und die eine gewisse Dunkelziffer ausmacht.
Ostermann: Und im Vorhinein kann man wahrscheinlich so gut wie nichts machen, denn die Soldaten werden auf diesen schlimmen Einsatz eingestellt, und sie werden darauf vorbereitet. Unter psychologischen Gesichtspunkten kann da wahrscheinlich kaum etwas verbessert werden.
Biesold: Es gibt ein umfangreiches Vorbereitungsprogramm, aber man kann nicht auf alle Situationen, denen man in einem solchen Einsatz begegnet, vorbereitet werden. Viele Dinge kann man gedanklich durchspielen, aber nicht wirklich üben. Das ist das Töten, der Einsatz von Schusswaffen oder zum Beispiel, dass man Opfer eines Anschlages selbst wird.
Ostermann: Herr Dr. Biesold, Danke für das Gespräch heute früh.
Biesold: Bitte sehr.
Ostermann: Dr. Karl-Heinz Biesold war das, Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie am Bundeswehrkrankenhaus in Hamburg.