Niemann-Ausstellung in Hamburg

Spielerisch den großen und kleinen Themen dieser Zeit gestellt

Der Grafiker Christoph Niemann
Der Grafiker Christoph Niemann erläutert seine Werke in Hamburg. © dpa / picture alliance / Axel Heimken
Von Anette Schneider |
Mehr als 200 Werke des Grafikers Christoph Niemann sind derzeit in Hamburg zu sehen. Die Ausstellung im Museum für Kunst und Gewerbe zeigt die Bandbreite seines Schaffens: Mal witzig, mal böse, mal ironisch experimentiert er mit verschiedenen Darstellungsformen und -materialien.
Klar, Kreative sind kaffeesüchtig. Also zeichnet Christoph Niemann mit wenigen Strichen gefüllte und geleerte Kaffeebecher, Kaffeetassen und Latte Macchiato-Gläser - zeichnet sie mit Kaffee auf Papierservietten.
Kreative spielen. Auch klar. Christoph Niemann spielt mit Lego: Ein flacher gelber Stein, darauf ein kleiner schwarzer - fertig ist das New Yorker Taxi. "I Lego New York" heißt die verrückte Foto-Serie, für die er mal eben New York aus Lego mit den Plastiksteinen baute.
Niemann, das wird in der Ausstellung schnell deutlich, ist weit mehr als ein "klassischer Zeichner und Cartoonist".
"Er ist ganz Vieles: Er ist ein Zeichner, ein hervorragender Zeichner. Er arbeitet aber natürlich auch mit dem Rechner. Er arbeitet mit Fotografie. Er arbeitet mit Objekten. Er backt manchmal seine Skizzen. Er näht Geschichten. Er baut aus Lego seine Witze. Also: Man kann ihn nicht festlegen."
Über 200 Arbeiten hängen gerahmt, geklebt oder genagelt an den Wänden. Sie umfassen Titelblätter des New Yorker, Reiseskizzen, animierte Bilder, Collagen und gezeichnete Serien und verdeutlichen: Es gibt kaum ein Thema, das Niemann nicht interessiert!
Bittere Sinnbilder unserer Zeit
Für das Moma entwickelte er eine App, in der er ironisch über Waffen und Krieg herzieht. Auf einem Titelblatt des New Yorker versammelte er aus Steuerbescheiden gefaltete Kriegsschiffe und zeigt so, wo die Steuergelder bleiben - nicht nur in den USA.
Ein Monitor präsentiert ein weiteres bitteres Sinnbild unserer Zeit: In einer idyllisch anmutenden Strandszene steht ein Mann in Badehose reglos bis zu den Knien im Meer und liest Zeitung. Doch weil man sich dem Horror unserer Zeit nirgendwo mehr entziehen kann, fällt aus der Zeitung alle fünf Sekunden ein Blutstropfen ins Wasser.
"Ein guter Cartoon ist sehr viel mehr Arbeit, als man sieht. Sehr oft gehen einer fertigen kleinen Geschichte Hunderte von Skizzen voraus. So eine Idee entwickelt sich. Das ist in der Regel sehr viel Professionalität, es ist sehr viel assoziatives Denken. Und dann die handwerkliche Fähigkeit, es tatsächlich realisieren zu können."
Zeichner und Karikaturisten gibt es viele. Die meisten müssen deshalb als "Freie" arbeiten - unter prekären Bedingungen.
Christoph Niemann, 1970 in Waiblingen geboren, wagte kurz nach seiner Ausbildung zum Zeichner den Schritt nach New York. Dorthin, wo legendäre Blätter wie der "New Yorker" sitzen. Und schon bald entwarf er sein erstes Titelblatt für die berühmte Zeitschrift.
"Ich glaube tatsächlich, dass die Amerikaner immer noch offener sind gegenüber Neuem. Ehe man sich hier durchsetzt - nehmen wir mal Hamburg als Beispiel mit einer großen eingesessenen Presse: Das dauert und ist schwere Arbeit."
Immer wieder leistet Niemann auch praktische Lebenshilfe. Ein Wisch über den Bildschirm und aus drei nebeneinander stehenden Porzellantassen schnellen kleine Erdmännchen in die Höhe. Frech gucken die mit wenigen Strichen gezeichneten Tiere über den Tassenrand - und ducken sich weg, sowie eine Fingerspitze den Bildschirm berührt. "Petting Zoo" heißt die App, mit der man die Tierwelt zum Tanzen bringen kann.
Ganze Romane in einer Zeile
Immer wieder leistet Niemann auch praktische Lebenshilfe. So führt er In einer Collage aus gezeichneten Selbstporträts und Fotos von Gummibärchen vor, dass es unmöglich ist, eine einmal geöffnete Tüte Gummibärchen beiseite zu legen - bevor diese leer ist. Und als ob das nicht jedes Bild beweisen würde, liefert er noch wissenschaftliche Begleittexte dazu.
"Cartoons sind knapp, präzise. Der 'New Yorker' hat diese Geschichte vom One-Line-Cartoon ins Leben gerufen: Höchstens eine Zeile drunter, wenig gezeichnet und muss auf den Punkt treffen. Was macht er? Er schreibt ganze Romane!"
Eben das macht Niemanns Arbeiten so vergnüglich: Er hält sich an keine Regeln, experimentiert mit Themen und Formen ebenso wie mit Materialien und technischen Medien. Spielerisch stellt er sich den kleinen und großen Themen unserer Zeit. Oft abstrahiert oder verdichtet er so, dass witzige, sarkastische, böse und ironische Bilder über unsere Zeit entstehen, die ein erkenntnisreiches Vergnügen bereiten. Dazu gehört auch eine Serie abstrakter, minimalistischer Kunst. Sie besteht aus 16 großen quadratischen Siebdrucken, die mal mit monochromen Farbflächen versehen sind, mal mit symmetrischen Punkten.
Und, so Ausstellungsmacher Jürgen Döring:
"Das Besondere ist, dass diese Serie, die wirklich grafisch schön ist und bemerkenswert ist, einen Titel hat, der 'Menü' lautet. Und wenn Sie zum Beispiel auf ein Raster von gelben Punkten gucken, dann heißt das Bild 'Spaghetti von oben'."

Bildergalerie mit Niemanns Werken: NDR.de

Die Ausstellung "Unterm Strich" ist vom 20. Januar bis zum 10. April im Hamburger Museum für Kunst und Gewerbe zu sehen.

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