Nikole Hannah-Jones (Hg.): „1619. Eine neue Geschichte der USA“
© Blessing Verlag 1619. Eine neue Geschichte der USABlessing, München 2022
Eine späte Richtigstellung
06:39 Minuten
815 Seiten
35,00 Euro
Vor den Pilgervätern kamen versklavte Afrikaner ins Land. Aber in US-amerikanischen Geschichtsbüchern kommen Schwarze kaum vor. Das „1619 – Projekt“ gewinnt den Pulitzer Preis und verändert die historische Sicht auf die USA.
Es war längst an der Zeit, die Geschichtsschreibung zu revidieren: Denn was wir üblicherweise über die Gründungsgeschichte der USA und ihr Selbstverständnis als „Land of the Free and Home of the Brave“ wissen, ist lückenhaft. Es blendet Schwarze ebenso aus wie den Rassismus der Weißen.
Gemeinschaftsprojekt zur US-Geschichte
Die Ankunft englischer Siedler mit der „Mayflower“ 1620 an der Küste des heutigen Massachusetts markiert in der Erinnerungskultur, nicht nur der Amerikaner, den Beginn der Geschichte, die zur Gründung der USA 1776 führte.
Die Journalistin Nikole Hannah-Jones - mittlerweile Professorin an der Howard Universität in Washington - schlug 2019, anlässlich des 400. Jahrestags der Ankunft der ersten Sklaven in Nordamerika, dem New York Times Magazine ein Gemeinschaftsprojekt vor: Sie wollte zahlreiche Aspekte der amerikanischen Geschichte in Bezug zur Sklaverei setzten und so die Geschichte der USA neu lesen, um besser zu verstehen, warum auch heute noch Rassismus in ihrer Heimat herrscht.
Scheinheiliges Selbstbild entlarvt
Aus dem publizistischen Unternehmen wurde ein Buch, über achthundert Seiten stark, mit Fotos, Gedichten, Kurzgeschichten und Essays. Mitwirkende sind über 50 hochangesehene Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus den Bereichen Geschichte, Soziologie, Rechts- und Kulturwissenschaften sowie Schriftstellerinnen, Redakteure und Journalistinnen.
„1619“ ist tatsächlich eine neue Geschichte der USA: Sie verdeutlicht, wie scheinheilig und widersprüchlich Freiheits- und Gleichheitsversprechen von Anbeginn an waren.
Sklavenhalter als Präsidenten
Die Väter der Verfassung waren Sklavenhalter, weiße Söhne Virginias. In den ersten 50 Jahren des Staates regierten 38 Jahre lang Präsidenten aus den Südstaaten. Per Gesetz waren schwarze Menschen von den Bereichen des bürgerlichen Lebens ausgeschlossen. Sogenannte „Slave codes“ manifestierten die dauerhafte rechtliche und gesellschaftliche Unterscheidung zwischen Schwarzen und Weißen.
Ein starkes Motiv, sich von der britischen Regierung loszusagen, war für die frühen Siedler nicht allein der Zollstreit mit dem Mutterland, sondern auch das Angebot des britischen Gouverneurs, entflohenen Versklavten die Freiheit zu schenken. Und selbst Lincoln, der als Bürgerkriegspräsident den Nimbus des Sklavenbefreiers erhielt, hatte noch 1861 Pläne in Auftrag gegeben, schwarze Amerikaner nach Panama „umzusiedeln“.
Dauerhafte Diskriminierung
Die Beispiele für Diskriminierung von Schwarzen im eigenen Land lässt sich fortsetzen bis in die Amtszeiten der Präsidenten Johnson, Carter und Clinton. Sie fanden, selbst wenn sie Zustände verbessern wollten, nicht aus „weißen“ Denkmustern heraus.
Grundlage für die dauerhafte Diskriminierung, das arbeitet Nikole Hannah-Jones an vielen Stellen deutlich heraus, ist die Angst der Weißen vor Verlust ihrer politischen und wirtschaftlichen Macht. Auch das (wissenschaftlich absurde) Konzept der Rasse muss immer wieder dafür herhalten, Schwarze gegenüber Weißen als minderwertig zu rechtfertigen.
Sachlich und differenziert Korrektur
Mit solchen Märchen räumt dieses Buch auf bemerkenswert sachliche und differenzierte Weise auf. Es zeigt auch, wie stark Schwarze, ob als Versklavte oder Freie, über die Jahrhunderte hinweg Einfluss genommen haben auf die Geschicke des Gemeinwesens USA, dass es Persönlichkeiten gibt, deren Leistungen für ihr Land gewürdigt werden sollten.
„Wir handelten nicht selbst, wir wurden verhandelt“, resümiert Hannah-Jones in ihrem Einleitungsessay. Ihr Buch macht klar, dass damit endgültig Schluss ist.