Nina Gladitz: "Leni Riefenstahl. Karriere einer Täterin"
Orell Füssli Verlag, Zürich 2020
432 Seiten, 25 Euro
Abrechnung mit Hitlers Lieblingsregisseurin
06:23 Minuten
Nie habe sie anderen geschadet, behauptete Leni Riefenstahl nach dem Ende des Nazi-Regimes. Dass dieses Bild der unschuldigen Filmkünstlerin eine Lüge ist, zeigt Nina Gladitz anhand aufwändig recherchierter Archivdokumente.
Künstlerisch ein Genie, politisch ein Trottel: Dieses Fazit zog der irische Filmhistoriker Liam O’Leary zu Leni Riefenstahl, der von den Nationalsozialisten protegierten Filmemacherin. Noch in den Nachrufen, die 2003 auf die mit 101 Jahren Verstorbene erschienen, wurde diese Ansicht auf Hitlers Lieblingsregisseurin etwa von der "Times" zitiert, geteilt und verbreitet.
Die These von der versehentlich politisch verirrten, aber brillanten Künstlerin stellt Nina Gladitz nun auf den Kopf. Sie beschreibt "keine begabte Filmemacherin, dafür aber eine geniale politische Intrigantin". Die 74-jährige Autorin macht der Filmgeschichtsschreibung und der internationalen Öffentlichkeit den Vorwurf, Riefenstahls Lügen auf den Leim gegangen zu sein.
Viele ihrer Statisten starben in Auschwitz
Nach 1945 präsentierte sich die Macherin der NSDAP-Parteitagsfilme als unschuldige Mitläuferin. Ein Mythos, an dem Riefenstahl bis an ihr Lebensende festhielt. Noch 2002 behauptete sie in einem Interview mit der "New York Times": "Ich habe nie jemandem geschadet." Dass es sich dabei um eine von Riefenstahls zahlreichen Lügen handelt, belegt Nina Gladitz in ihrem Buch anhand von Dokumenten, die sie in jahrzehntelanger Archivarbeit recherchiert hat.
Da ist zum Beispiel ein Vertrag aus dem Salzburger Landesarchiv, der Bedingungen dokumentiert, unter denen sich Riefenstahl 1940 Komparsen aus den im Zwangslager Salzburg-Maxglan inhaftierten Sinti aussuchte. Für die Dreharbeiten ihres in Spanien angesiedelten Spielfilms "Tiefland" brauchte die NS-Regisseurin "südländisch" aussehende Statisten. Zwangsarbeiter, die unter miserablen Umständen gefangen gehalten und nie bezahlt wurden.
Das Schicksal dieser 132 Sinti - mindestens 69 von ihnen wurden später in Auschwitz ermordet - hat Nina Gladitz 1982 in einer Dokumentation für den WDR geschildert. Gegen den Film klagte Leni Riefenstahl. 1985 erreichte sie, dass die Dokumentation mit Aufführungsverbot belegt wurde. Auch von diesem Gerichtsverfahren, das ihr Leben verändert hat, erzählt Nina Gladitz in ihrem Buch. Weder vom WDR noch von anderen ARD-Anstalten bekam die Autorin nach dem Prozess noch Aufträge.
Offene Rechnungen
Mit Leni Riefenstahl hat Nina Gladitz also seit Jahrzehnten eine Rechnung offen und man wird beim Lesen den Eindruck nicht los, dass dieses Buch sie begleichen soll. Zwar bestreitet die Autorin gleich zu Anfang, dass es "sich hier um einen privaten Rachefeldzug" handelt. Aber Nina Gladitz schmälert die Wirkung ihres starken Buches, indem sie den Lesenden immer wieder einhämmert: Riefenstahl sei völlig talentfrei, "cineastisch ein Trottel", keine Künstlerin, nur Hitlers ergebenster Fan und eine Diebin geistigen Eigentums ihres Konkurrenten Willy Zielke (1902-1989).
Dieser bislang wenig bekannte Fotograf, Kameramann und Filmemacher ist eine der spannendsten Entdeckungen in Gladitz’ leider zu unklar strukturiertem und stilistisch mitunter ins Pathetische driftendem Buch. Willy Zielkes Lebensgeschichte und wie Leni Riefenstahl wiederholt darin eingriff, schildert Nina Gladitz, indem sie aus Zielkes erst viele Jahre später geschriebenen Erinnerungen ausgiebig und unkritisch zitiert, als seien sie die reine Wahrheit.
Dagegen vermutet die Autorin in jedem Satz aus Riefenstahls Memoiren Lügen. Oft zurecht, wie bislang unentdeckte Dokumente, die Nina Gladitz aufgetan hat, bestätigen. Mit harten Fakten am bis heute andauernden Ruhm des NS-Regie-Stars zu kratzen - das ist der Verdienst dieses Buches, das in seinem Furor mitunter über das Ziel hinausschießt.