Nir Baram: "Weltschatten"

Der Versuch eines großen Wurfs

Der israelische Journalist und Autor Nir Baram
Der israelische Journalist und Autor Nir Baram erzählt in "Weltschatten" von Globalisierung. © Imago / Leemage
Von Carsten Hueck |
Der israelische Autor und Journalist Nir Baram will mit "Weltschatten" die drängendsten Themen unserer Zeit verarbeiten. Er will die Entwicklung und Auswüchse der Globalisierung literarisch erfassen. Aber er scheitert an seinen eigenen Ambitionen.
Mit seinen Romanen hat sich Nir Baram einen Namen als einer der begabtesten Autoren seiner Generation gemacht. In diesem Sommer wurde er vierzig Jahre alt. Übersetzungen des israelischen Autors und Journalisten erscheinen in Südamerika, Australien und etlichen europäischen Ländern. Im Frühjahr legte er seinen Bericht über Erlebnisse im von Israel besetzten Westjordanland, die Reportagensammlung "Im Land der Verzweiflung", vor. Nun seinen jüngsten Roman "Weltschatten".
Baram stammt aus einer Familie von Politikern. Früh prägten ihn Multikulturalität und politischen Diskussionen. Seine Großeltern kamen aus Beirut, Ägypten und der Ukraine nach Israel, Vater und Großvater waren beide Minister der Labourpartei.
Politik und Moral sind die Themen, mit denen sich Baram immer auch in seinem Schreiben auseinandersetzt. Mit "Weltschatten" wagt er, Entwicklung und Auswüchse der Globalisierung literarisch zu fassen. Die Schauplätze des Romans sind dementsprechend vielfältig, seine Figuren bewegen sich im Zeitraum der 1980er Jahre bis heute in den USA, in Lateinamerika, Israel, dem Kongo und Europa.

Baram erzählt auf drei Ebenen

Baram konstruiert drei Haupterzählstränge: es gibt Gavriel Manzur, einen jungen Israeli, der eher zufällig in die große Welt der Hedgefonds gerät und für eine us-amerikanische Beratergesellschaft eine wohltätige Stiftung in Israel aufbaut. Manzur erinnert an den Protagonisten aus "Gute Leute", Barams Roman von 2012. Auch der nutzt seine Chance, in einem System Karriere zu machen, ohne es tatsächlich zu durchschauen oder von seiner Ideologie - damals war es der Nationalsozialismus, hier ist es der Neoliberalismus - überzeugt zu sein. Manzurs Aufstieg und Fall erzählt Baram in der 3. Person.
Dann gibt es einen namenlosen Ich-Erzähler. Er lebt unter militanten Globalisierungsgegnern in Großbritannien und nimmt an deren anarchistischen Aktionen teil. Deren ehrgeizigste, die Organisation eines weltweiten Streiks, endet in apokalyptischem Gewalt-und Zerstörungsfuror.
Die dritte Erzählebene gestaltet Baram als Email-Wechsel zwischen Mitarbeitern der international agierenden Beraterfirma MSV, die weltweit Wahlkampagnen organisiert, hinter den Kulissen aber auch schmutzige Deals mit afrikanischen Potentaten einfädelt. Einer ihrer Mitarbeiter steigt aus - und schlägt sich auf die Seite der Globalisierungsgegner.

Stoff von "Weltschatten" eignet sich für einen Gesellschaftsroman

Nir Baram versucht, die Totalität unserer Gegenwart zu fassen. Sein Stoff eignet sich unbedingt für einen Gesellschaftsroman. Oder eine Tragödie. Aber der Autor ist nicht Shakespeare, nicht Balzac. Er überhebt sich an der Konstruktion: Im Bemühen, einen großen engagierten Roman zu schreiben, vergisst er seine Figuren. Überlässt sie ihren Rechtfertigungslitaneien. Sie bleiben uninteressant, wenig originell und überraschen nicht. Sind letztlich Abziehbilder, alle erklären ständig sich und die Welt. Wo Spannung entstehen könnte, greift Baram auf "Sachliches" zurück, zitiert Geschehen in Form von Zeitungsmeldungen. Er will modern und klug und komplex sein und gerade das lähmt das Lesevergnügen.
Und die Übersetzung ? Es werden einem "Pflastersteine unter den Füßen aufgerissen", "Hütten von Bäumen umstanden" und es wird "mit hochtrabenden Worten gekränzt".
"Weltschatten" ist eine große Wurfbewegung, doch kein großer Wurf. Oder wie es im Roman heißt: "Etwas steht immer zwischen dir und deiner Vision".

Nir Baram: "Weltschatten"
Aus dem Hebräischen von Markus Lemke
Hanser, München 2016
510 Seiten, 26,00 Euro

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