Nirgends und überall zu Hause
Nino Haratischwili, georgische Theater- und Prosaautorin, schöpft ihre künstlerische Kraft aus dem Leben in einer fremden Kultur. Morgen liest die 27-Jährige beim Nino Haratischwili, georgische Theater- und Prosaautorin, schöpft ihre künstlerische Kraft aus dem Leben in einer fremden Kultur. Morgen liest die 27-Jährige beim Harbour Front Literaturfestival in ihrem Wohnort Hamburg.
"Wenn ich in Georgien bin, fühle ich mich extrem deutsch, und wenn ich in Deutschland bin, fühle ich mich extrem georgisch, und das kann eine gewisse Traurigkeit und eine gewisse Problematik darstellen, aber wenn man damit einen positiven Umgang findet, kann es auch sehr bereichernd sein, weil indem ich halt letztlich nirgends zu Hause bin, kann ich auch dementsprechend überall zu Hause sein und mir mein Zuhause erschaffen."
Nino Haratischwili hat sich in der ersten Reihe des Hamburger Monsuntheaters niedergelassen, vor ihr der tiefschwarze Raum der frisch renovierten Bühne, hinter ihr die blutroten Wände des Zuschauersaals. Das Theater: Für die 27-Jährige ist es mehr als ein Arbeitsplatz.
"Theater ist auf jeden Fall ein Zuhause für mich."
"Ich finde Theaterräume tatsächlich oft inspirierend. Man schottet sich ab und versucht künstlich, einen Teil der Wirklichkeit herzustellen in einem Raum, der komplett abgeschottet ist von der Realität."
In ein paar Tagen, am 19. März, wird hier auf dieser Bühne eines ihrer Stücke aufgeführt, erzählt Nino Haratischwili. "Die zweite Frau", eine bitterböse Tragikkomödie über drei Damen, die sich mit dem Frausein beschäftigen. Dass die Dinge am Theater gemeinsam angepackt werden, gefällt Nino Haratischwili. Zwar lebt sie allein, aber isoliert vor sich hinzuproduzieren, das wäre nichts für sie.
"Ich bin schon ein Mensch, würde ich mal behaupten, der Menschen liebt und braucht und (...) ich bin keine, die viel zu Hause sitzt und aus dem Fenster starrt mit einem sentimentalen Blick gen Himmel." (Lacht)"
Das glaubt man ihr aufs Wort. Die Georgierin scheint vor Kreativität zu sprühen, sie wirkt sehr ernsthaft, aber nicht ernst. Ihre dunkelbraunen, großen Augen betrachten die Welt um sie herum mit dem Abstand einer Außenstehenden – vielleicht gelingt ihr deshalb oft ein tieferer Einblick.
""Über gewisse Vorgänge, ob in Deutschland oder Georgien, guckt man immer einen Schritt weiter von außen als jemand, der schon immer hier gelebt hat und hier aufgewachsen ist und da viel mehr integriert ist als ich es bin."
Aus distanzierter Nähe und naher Distanz ist zum Beispiel "Georgia" entstanden, ein Theaterstück über eine georgische Studentin, die in Deutschland lebt und auf der Suche nach den eigenen Wurzeln in das Land ihrer Geburt reist, um ihr wahres Selbst zu finden. Falls es hier Parallelen gibt zu ihrer eigenen Person, sagt Nino Haratischwili, dann würde sie uns die nie verraten. Ihre letzte Reise nach Georgien war im Sommer 2009.
"Ich war seit Langem mal wieder mit meiner Mutter da, die ja auch in Deutschland lebt, da war so ein Familienwiedersehen oder –treffen..."
Zusammen mit ihrer Mutter verlässt Nino Haratischwili Tiflis im Jahr 1995, da ist sie 12. In Georgien hatte sich während der späten 80er-Jahre eine starke Unabhängigkeitsbewegung entwickelt, die im April 1991 in die georgische Souveränität mündet. Es folgen Inflation, Arbeitslosigkeit. Viele machen sich wie Nino und ihre Mutter auf den Weg ins Ausland. Mit 14 geht das Mädchen allein zurück nach Tiflis, lebt dort bei der Familie. Ein bisschen Heimweh hat dabei eine Rolle gespielt. Abitur, Studium, erste Theaterarbeiten. 2003 kommt sie dann nach Hamburg, zum Studieren.
Als 2008 der Südossetien-Konflikt zum offenen Krieg mit Russland führt, verbringt sie gerade ihre Sommerferien in Tiflis.
"Der Sommer 2008 hat ja zu gar nichts beigetragen. Nur zu Leid und Schmerz und vielen Toten und Vertriebenen, (...) und was ich so irritierend finde: Es gibt halt relativ wenig Auseinandersetzung mit den vergangenen 20 Jahren."
Für sie sei das Schreiben immer auch eine Möglichkeit gewesen, das Erlebte zu verarbeiten. Die Stiftungsjury, die ihr nun den Preis verleiht, lobt ihre eindringliche Sprache, ihr Gefühl für Spannung und sprachlichen Rhythmus, die große Sogkraft ihrer Texte. Im März im Rahmen der Leipziger Buchmesse erscheint Haratischwilis erster Roman, "Juja". Darin geht es um eine jugendliche Selbstmörderin, die mit einem Buch mehrere Leserinnen zum Suizid animiert hat. Eine wahre Begebenheit, die sich in den 70er-Jahren abgespielt haben soll.
"Ich habe diese Situation als Ausgangspunkt genommen, weil mich das so fasziniert hat, dass es im 20. Jahrhundert, also wirklich nicht vor allzu ferner Zeit - es ist ja nicht 'Werther' -, dass irgendein Buch oder ein Kunstwerk oder in dem Fall ein Mythos eines Lebens so viel Kraft oder Macht ausüben kann, dass Menschen bereit sind, dafür zu sterben."
Nino Haratischwili ist ein emotionaler, enthusiastischer Mensch, der schreibt, wenn es aus ihm heraus bricht, überall, im Café, in der U-Bahn, am Flughafen. Und wenn möglich, dann hört sie beim Schreiben Musik - eine Kunst, die zu ihrem Leben gehört, so wie das Land, aus dem sie kommt.
"Fast jeder singt da oder musiziert, das gehört zum Alltag dazu, man macht das einfach so, abends, oder am Tisch, und ich bin halt auch so aufgewachsen. Das ist wirklich erschlagend schön, finde ich."
Nino Haratischwili hat sich in der ersten Reihe des Hamburger Monsuntheaters niedergelassen, vor ihr der tiefschwarze Raum der frisch renovierten Bühne, hinter ihr die blutroten Wände des Zuschauersaals. Das Theater: Für die 27-Jährige ist es mehr als ein Arbeitsplatz.
"Theater ist auf jeden Fall ein Zuhause für mich."
"Ich finde Theaterräume tatsächlich oft inspirierend. Man schottet sich ab und versucht künstlich, einen Teil der Wirklichkeit herzustellen in einem Raum, der komplett abgeschottet ist von der Realität."
In ein paar Tagen, am 19. März, wird hier auf dieser Bühne eines ihrer Stücke aufgeführt, erzählt Nino Haratischwili. "Die zweite Frau", eine bitterböse Tragikkomödie über drei Damen, die sich mit dem Frausein beschäftigen. Dass die Dinge am Theater gemeinsam angepackt werden, gefällt Nino Haratischwili. Zwar lebt sie allein, aber isoliert vor sich hinzuproduzieren, das wäre nichts für sie.
"Ich bin schon ein Mensch, würde ich mal behaupten, der Menschen liebt und braucht und (...) ich bin keine, die viel zu Hause sitzt und aus dem Fenster starrt mit einem sentimentalen Blick gen Himmel." (Lacht)"
Das glaubt man ihr aufs Wort. Die Georgierin scheint vor Kreativität zu sprühen, sie wirkt sehr ernsthaft, aber nicht ernst. Ihre dunkelbraunen, großen Augen betrachten die Welt um sie herum mit dem Abstand einer Außenstehenden – vielleicht gelingt ihr deshalb oft ein tieferer Einblick.
""Über gewisse Vorgänge, ob in Deutschland oder Georgien, guckt man immer einen Schritt weiter von außen als jemand, der schon immer hier gelebt hat und hier aufgewachsen ist und da viel mehr integriert ist als ich es bin."
Aus distanzierter Nähe und naher Distanz ist zum Beispiel "Georgia" entstanden, ein Theaterstück über eine georgische Studentin, die in Deutschland lebt und auf der Suche nach den eigenen Wurzeln in das Land ihrer Geburt reist, um ihr wahres Selbst zu finden. Falls es hier Parallelen gibt zu ihrer eigenen Person, sagt Nino Haratischwili, dann würde sie uns die nie verraten. Ihre letzte Reise nach Georgien war im Sommer 2009.
"Ich war seit Langem mal wieder mit meiner Mutter da, die ja auch in Deutschland lebt, da war so ein Familienwiedersehen oder –treffen..."
Zusammen mit ihrer Mutter verlässt Nino Haratischwili Tiflis im Jahr 1995, da ist sie 12. In Georgien hatte sich während der späten 80er-Jahre eine starke Unabhängigkeitsbewegung entwickelt, die im April 1991 in die georgische Souveränität mündet. Es folgen Inflation, Arbeitslosigkeit. Viele machen sich wie Nino und ihre Mutter auf den Weg ins Ausland. Mit 14 geht das Mädchen allein zurück nach Tiflis, lebt dort bei der Familie. Ein bisschen Heimweh hat dabei eine Rolle gespielt. Abitur, Studium, erste Theaterarbeiten. 2003 kommt sie dann nach Hamburg, zum Studieren.
Als 2008 der Südossetien-Konflikt zum offenen Krieg mit Russland führt, verbringt sie gerade ihre Sommerferien in Tiflis.
"Der Sommer 2008 hat ja zu gar nichts beigetragen. Nur zu Leid und Schmerz und vielen Toten und Vertriebenen, (...) und was ich so irritierend finde: Es gibt halt relativ wenig Auseinandersetzung mit den vergangenen 20 Jahren."
Für sie sei das Schreiben immer auch eine Möglichkeit gewesen, das Erlebte zu verarbeiten. Die Stiftungsjury, die ihr nun den Preis verleiht, lobt ihre eindringliche Sprache, ihr Gefühl für Spannung und sprachlichen Rhythmus, die große Sogkraft ihrer Texte. Im März im Rahmen der Leipziger Buchmesse erscheint Haratischwilis erster Roman, "Juja". Darin geht es um eine jugendliche Selbstmörderin, die mit einem Buch mehrere Leserinnen zum Suizid animiert hat. Eine wahre Begebenheit, die sich in den 70er-Jahren abgespielt haben soll.
"Ich habe diese Situation als Ausgangspunkt genommen, weil mich das so fasziniert hat, dass es im 20. Jahrhundert, also wirklich nicht vor allzu ferner Zeit - es ist ja nicht 'Werther' -, dass irgendein Buch oder ein Kunstwerk oder in dem Fall ein Mythos eines Lebens so viel Kraft oder Macht ausüben kann, dass Menschen bereit sind, dafür zu sterben."
Nino Haratischwili ist ein emotionaler, enthusiastischer Mensch, der schreibt, wenn es aus ihm heraus bricht, überall, im Café, in der U-Bahn, am Flughafen. Und wenn möglich, dann hört sie beim Schreiben Musik - eine Kunst, die zu ihrem Leben gehört, so wie das Land, aus dem sie kommt.
"Fast jeder singt da oder musiziert, das gehört zum Alltag dazu, man macht das einfach so, abends, oder am Tisch, und ich bin halt auch so aufgewachsen. Das ist wirklich erschlagend schön, finde ich."