"No Name Design"

Hamburger Ausstellung feiert die Alltagsgestaltung

Papierflieger, die grün, gelb und blau sind.
Kein anderes Material lässt sich falten - und wieder zurückfalten, so etwas fasziniert den Sammler Francesco Clivio. © picture alliance / dpa / Philipp Brandstädter
Von Jochen Stöckmann |
Der Schweizer Francesco Clivio kann sich für Topfuntersetzer, Papier oder auch Holzhammer begeistern. Anhand seiner Sammlung von Alltagsgegenständen lässt sich in der Ausstellung "No Name Design" im Hamburger Museum für Kunst und Gewerbe erhellend Design-Geschichte nachvollziehen.
"Jeder schwätzt vom Bauhaus und man hat immer das Gefühl, man muss Visionen machen mit Design. Das ist derartig ins Modische abgerückt, man ist bald soweit, dass man wie die Kleider zweimal im Jahr die Möbel wechseln muss, weil sie nicht mehr zu den neuesten Winterkollektionen passen."
Gegen Modetorheiten und Pseudo-Design hat Francesco Clivio ein probates Mittel: Sammeln. Der Schweizer – er nennt sich selbst "Produktgestalter" – streift über Flohmärkte, seit er "Hosensäcke" hat. In der Hamburger Ausstellung heißen die etwas vornehmer Hosentaschen. Aber über die richtige Bezeichnung wird man nicht streiten in Clivios Universum der 1000 Dinge. Denn "No Name Design" hat keine Marke – entpuppt sich aber oft genug als veritable Persönlichkeit, ganz in der Art von Kafkas Odradek. Vorausgesetzt, der Sammler selbst erzählt die Geschichte. Etwa vom filigranen Karree aus grauen Drahtspiralen:
"Das ist ein Untersetzer. Und der ist so intelligent, weil der Topf nur in minimalsten Punkten mit der Hitze darüber steht. Das Geniale ist, der wiegt glaube ich 70 oder 80 Gramm, aber ich habe das Ding mit 100 Kilo belastet. Es ist ästhetisch perfekt, ich kann es in die Spülmaschine tun und es kostet ein paar Euro."
Ein Wunderwerk der Statik also, zudem virtuos gestaltet. "Minimalistisch" könnte ein Kunstkritiker denken. Um das fremdartige Wesen dann als "Design-Ikone" abzutun. Doch das wäre ein Zeugnis mangelnder Einbildungskraft. Denn der Topfuntersetzer erweist sich als Inspirationsquelle ersten Ranges, gehört in jede Lehrmittelsammlung für künftige Designer. Wie auch 999 Artgenossen, die mit Clivios Erläuterungen jede Computeranimation überflügeln. Etwa dieses bunte Blechding:
"Ein Spielzeug von 1916, dieser Affe. Und wenn ich da unten die Zeiger bewege, kommt ins Feld das Ergebnis der Rechnung. Und die Kinder haben natürlich viel mehr Freude so rechnen zu lernen als wenn sie immer nur auf Papier drei mal sieben ausrechnen müssen."
Andererseits: Papier ist geduldig. Aber auch diese Alltagsweisheit ging in unserer Wissensgesellschaft verloren – bis Franco Clivio genau hinschaute:
"Das papierlose Büro? Es ist einfach immer mehr Papier da! Ob das jetzt ein japanischer Löffel ist, um Eis zu essen – und der aus dem Verpackungspapier ist. Papier lässt sich praktisch falten und wieder zurückfalten. Das lässt kein anderes Material zu."
Schwäche für Schweizer Uhrmacher
Materialkunde, auch ein vernachlässigtes Fach. Das sich am besten durch den Gebrauch, das Anfassen und "Begreifen" nachholen lässt:
"Das nimmt den Schweiß auf, man schwitzt nicht. Und drum sind die guten Werkzeuge – man sieht’s hier bei diesem Hammer – sind eigentlich immer aus Holz."
Und die Holzfäller wiederum benötigen andere, rustikalere Maßstäbe und Messinstrumente als etwa Uhrmacher. Schweizer Uhrmacher, für die hat der ehemalige Lehrer der Zürcher Kunstgewerbeschule eine Schwäche. Die Feinmechaniker aus dem Jura haben nicht nur eine simple Vorrichtung für exakte Messungen im Mikrometerbereich ersonnen, sie bauten 1926 auch das kleinste Grammophon der Welt: Mikiphon – das war Schellack-Musik aus der Blechdose, kaum größer als eine Konservendose.
Später kam die Nagra dazu, eine Tonbandmaschine ohne Zierrat oder überflüssige Verkleidung. Für das sinnliche Vergnügen, all die blanken Rädchen, Rollen und Spulen ineinander greifen zu sehen, könnte man jede noch so teure digitale black box eintauschen. Und hätte jenen enormen Erkenntnisgewinn, den auch der Posograph beschert, eine Art mechanischer Belichtungsrechenschieber für Analog-Fotografen:
"Wenn ich das Ding hier benutze, dann verstehe ich, was Fotografie ist. Denn ich muss wissen, wieviel Licht ist da, sind draußen Bäume, sind die Fenster groß? Und dann habe ich verstanden. Für die heutigen Kameras gibt es nur ein rotes und ein grünes Licht – und das sagt mir eigentlich gar nichts."
Ganz im Gegensatz zu dieser Sammlung, mit der Franco Clivio einleuchtend und erhellend Design-Geschichte schreibt – ganz ohne form follows function, "Ornament und Verbrechen", Bauhaus oder Postmoderne. Wozu auch? Denn mit Formeln und Klischees lässt sich eine Erfindung wie der Füllfederhalter kaum erklären:
"Das war der Herr Waterman, Versicherungsvertreter. 1880 in Amerika war der unterwegs, ist da zu den Leuten gegangen – und am Schluss mussten die unterschreiben. Da musste er das Tintenfass aufmachen, die Feder rausnehmen. Der hat eigentlich eine ganz simple Idee gehabt: Wie bringe ich die zwei Sachen zusammen?"
1001 Sache bringt Franco Clivio jetzt in Hamburg zusammen: Tausend Objekte und ihren Betrachter. Da kann noch einiges passieren.
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