Heileweltgefühl ohne duftendes Shampoo
Deo, Hautcreme, Shampoo, Eyeliner, Rouge: lässt sich alles selber herstellen. Zudem ist es deutlich weniger aufwendig, als gedacht. Immer mehr Menschen verzichten sogar ganz auf solche Schönheitsartikel. Das spart Geld – und vermeidet Müll.
No Poo. Das will ich. Für den Namen kann ich nichts. In die Internetsuchmaske des Vertrauens eingegeben, offenbart er keine leeren Kloschüsseln, sondern Tipps zur Beautyroutine "Haarewaschen ohne Haarwaschmittel". No Shampoo. No. Poo.
Ich habe Natriumhydrogencarbonat – kurz: Natron – mit Wasser zu einer Paste verrührt. Die habe ich in meinem kurzen Haar verteilt und in meine Kopfhaut massiert. Das Ergebnis nach dem Ausspülen ist ernüchternd, aber wenig überraschend.
Seit Wochen wasche ich mir meine Haare mit einem Stück Haarseife. Das funktioniert, aber die Seife macht die Haare steif, manchmal auch stumpf. Eine saure Spülung, auch Rinse genannt, mit Zitronensaft macht sie wieder glänzend. Mit dem kriege ich auch die Seifenreste aus der Dusche geschrubbt.
Natron hingegen ist neu für mich. Ein weißes Pulver in Papier, das im Laden bei den Backzutaten steht. Weniger geht eigentlich nicht. Weniger bedeutet: Nur Wasser. Unvorstellbar für mich. Bis jetzt. Und wie jedes Mal, wenn ich ’nen coolen Lifehack entdecke, fühle ich mich wie der erste Mensch. Youtube beweist mir, dass ich natürlich nicht die erste bin – mit hunderten Erfahrungsberichten:
"One year, one whole year since I put anything but water in my hair. And I’m making this video ’cause I want other people to know how awesome it is." – "Früher hatte ich mindestens Haarwäsche, Haarspülungen, Pflegemittel für die Spitzen und Haarspray." – "… denn früher war’s ja nun mal so, dass man die Haare vielleicht einmal im Monat wäscht, oder vielleicht zweimal im Monat. Wir tun’s einfach zu oft."
Sich der Schönheitsdoktrin verweigern
Die einen verzichten auf Shampoo und andere Kosmetik, weil sie Geld sparen müssen, oder weil sie ihren Körper besser kennen lernen wollen, wieder andere, um Verpackungsmüll zu vermeiden, und um sich der Schönheitsdoktrin zu verweigern.
Bei Vera ist es eine Kombination aus all diesen Gründen.
"Vor ’nem Jahr oder so, hab’ ich angefangen, die ersten Sachen selbst herzustellen."
Vera hatte nach einer Kündigung mit einem Mal nur noch ganz wenig Geld zum Leben. Verzicht war unvermeidbar, also, der Verzicht auf Konsum. Statt Brot zu kaufen, backte sie welches. Und anstatt in der Drogerie den Korb mit ihrer Alltags- und Lieblingskosmetik vollzuknallen, suchte sie im Internet nach Rezepten.
"Deo zum Beispiel, selbst hergestellt, Schuhdeo, Gesichtswasser. Was noch? Ich hab ’ne Zeit lang Olivenöl zum Körper eincremen benutzt. Apfelscheiben für die adstringierende Wirkung, Gurkenscheiben gegen geschwollene Augen. Das hilft auch wirklich alles…"
Vera musste 40 werden, um durch eine Notlage zu erfahren, was sie eigentlich schon immer gewusst, aber jahrzehntelang ignoriert hat. Dass sie vieles gar nicht braucht. Als Kind haben sie und ihre Schwester es ziemlich blöd gefunden, dass ihre Mutter auf toll duftende Waschmittel verzichtet hat. Ihre Klamotten rochen nicht nach ’nem frischen Sommerregen, die rochen nach nix.
"Und wir haben das immer darauf runtergebrochen, dass das ’n Heileweltgefühl vermittelt. Diese Sachen, die aus der Tube kommen, oder ein Spray, oder so ’n tolles Waschmittel, das flüssig ist und riecht und so."
Paradox, sagt Vera heute…
"… weil heile Welt gibt es ja nicht, ganz im Gegenteil. Diese ganzen Sachen, die wir da herstellen, für dieses weiche, warme, umsorgte Gefühl zu haben, das macht ja draußen alles kaputt."
Draußen, das ist die Umwelt. Draußen ist aber auch die Gesellschaft, der nicht nur an black fridays durch aggressive Werbung eingetrichtert wird, was sie zu kaufen hat. Und wir rennen los und kaufen. Nachtserum mit Hyaluronsäure. Make-up mit Mineralien. Cremes für anspruchsvolle Haut. Volle Tiegel, leere Versprechungen.
"Mit dieser Armut, die ich hatte, habe ich dann wieder ein Bewusstsein dafür entwickelt, was ich eigentlich für einen Platz in der Welt hab’."
Eyeliner aus Kokosnussöl und Kakaopulver
Einen Platz mit Verantwortung, in einer Welt, in der Bedürfnisse für Dinge geschaffen werden, nur um damit Profit zu machen. Und in einer Welt, in der alles unfassbar bequem ist. Wir kriegen, was wir wollen, immer, sofort, in zigfacher Ausführung und bis in die Dusche geliefert. Die Produkte sind praktisch verpackt, sauber abgefüllt und top designt.
Deo selber machen? Klingt nach zig Wegen durch die Stadt, um alle Zutaten zu kriegen, klingt nach Wasserbad auf’m Herd, nach Umrühren, Abfüllen und Kleckern? Klingt kompliziert.
"Die Herstellung dauert zehn Minuten."
Buchhandlungen und Bibliotheken stehen voll mit einschlägiger Literatur. Und das nicht erst seit gestern. Ich finde Rezepte für Eyeliner aus Kokosnussöl und Kakaopulver, für Rouge aus Rote Bete und Lippenpflege aus Bienenwachs.
Viele der Rezepte brauchen ebenfalls keine zehn Minuten in der Herstellung, steht da. Die Zutaten gibt es in Bio- und Unverpackt-Läden. Das ist Vera sehr wichtig, also, dass sie nicht mehr Verpackung kauft, als bei einem Industrieprodukt. Je weniger sie konsumiert, desto klarer wird ihr, was notwendig ist.
"Im Prinzip ist die Welt schon so am Arsch, dass nur noch ’ne globale Revolution, ’ne Konsumverweigerung hilft. Kleider nicht mehr kaufen, sondern tauschen, Flohmarkt, verschenken…"
Kosmetik selber herstellen. Ich bin dabei.
"Ich bin gespannt, was da noch kommt, ich glaub’ da ehrlich, dass da noch ganz viel passiert."