Kämpfer gegen die Arroganz der Macht
Der Sprachwissenschaftler und Aktivist Noam Chomsky ist die bedeutendste Stimme des "anderen" Amerika – eines Amerika, das sich auf seine alten republikanischen und demokratischen Werte beruft. Heute wird er 85 Jahre alt.
Noam Chomsky scheint unverwüstlich zu sein. Noch immer absolviert der amerikanische Gelehrte, der am 7. Dezember 1928 in Philadelphia im US-Bundesstaat Pennsylvania geboren wurde, anstrengende öffentliche Auftritte, auch in der Bundesrepublik, bei denen er sein Land politisch an den Pranger stellt. Schon seit Jahrzehnten erhebt er seine Stimme gegen jene Arroganz der Macht, die er in der amerikanischen Politik am Werk sieht. In der Weltmacht USA mit ihren ungeheuren militärischen und ökonomischen Ressourcen erkennt er eine permanente Drohkulisse, hinter der zugleich Sendungsbewusstsein und Paranoia lauern. Chomsky hat noch die Worte von Präsident Obamas Vorgänger George W. Bush im Ohr, der am 1. Juni 2002 verkündete:
"Wir befinden uns in einem Kampf zwischen dem Guten und dem Bösen. Amerika wird das Böse bei seinem Namen nennen. Wir werden die Welt in diesem Kampf anführen und müssen imstande sein, in jeder dunklen Ecke der Welt zuschlagen zu können."
Die Rolle des Weltpolizisten, der den anderen Gut und Böse erklärt und in barschem Ton befiehlt, wo es langzugehen hat, hält Chomsky für fatal. Schon die schiere Präsenz der USA auf der Weltbühne, ihr Droh- und Strafpotenzial, sorge dafür, dass die anderen, wer immer sie seien, kuschten.
"Hier geht es nicht so sehr darum, ob der andere tut, was verlangt wird oder nicht, weil die Botschaft sowieso lautet: Du kannst meinen Anweisungen folgen oder nicht, wenn du willst, ich werde dich sowieso auf die eine oder andere Weise zerstören, weil ich die Möglichkeiten und die Macht dazu habe. Es ist wie in dem Film 'Der Pate', in dem der Don irgendeinem Untergebenen einschärft: Du weißt, was du zu tun hast. Das bedeutet, ihm eine Message schicken, und wenn er nicht tut, was von ihm erwartet wird, dann ist er erledigt. Es ist dieselbe instruktive Gewalt."
Kurse für geistige Selbstverteidigung
Angesichts der weltweiten Aktivitäten der amerikanischen Geheimdienste und ihrer Angriffe auf die Demokratie selbst, rät Chomsky:
"Die Bürger demokratischer Gesellschaften sollten Kurse für geistige Selbstverteidigung besuchen, um sich gegen Manipulation und Kontrolle wehren zu können."
Über Noam Chomskys jahrzehntelangem politischen Engagement, das ihm nicht nur Zustimmung, sondern auch heftige Kritik eingetragen hat, vergisst man leicht, dass er als Sprachwissenschaftler ein imponierendes Lebenswerk vorzuweisen hat. Schon in jungen Jahren veröffentlichte er bahnbrechende linguistische Arbeiten, mit denen er in kürzester Zeit nicht nur in Amerika, sondern auch in Europa für Furore sorgte.
Mit seinen im Jahr 1957 veröffentlichten Syntactic Structures und mit Language and Mind, Vorlesungen, die auch ins Deutsche übersetzt wurden, schrieb sich der brillante Gelehrte an die Spitze der zeitgenössischen Linguistik. Seine sprachwissenschaftlichen Forschungen kann man am ehesten als den Versuch beschreiben, die Darstellung natürlicher Sprachen zu formalisieren. Da formale Sprachen in Informatik und Computerwissenschaft eine zentrale Rolle spielen, gelten die Werke Chomskys neben denen des britischen Mathematikers Alan Turing als wegweisend auf dem Gebiet der Computerlinguistik. Bis zu seiner Emeritierung forschte und lehrte Chomsky am renommierten Massachusetts Institute of Technology.
Ein furchtloser Kritiker seines Landes
Imponierend an Chomsky ist und bleibt, neben seiner wissenschaftlichen Leistung, sein unermüdliches Engagement als öffentlicher Intellektueller, der sich auch von der Staatsmacht nicht einschüchtern lässt. Sein Ende der Sechzigerjahre publiziertes Buch über Amerika und die neuen Mandarine zeigte ihn als furchtlosen Kritiker seines Landes, der keiner Konfrontation aus dem Wege geht. Diese Haltung hat sich Noam Chomsky bis ins hohe Alter bewahrt, indem er genau das beherzigt, was er einst über die "Verantwortlichkeit der Intellektuellen" geschrieben hat:
"Für eine privilegierte Minderheit hält die westliche Demokratie die Muße, die Einrichtungen und die Ausbildung bereit, die es ihr erlauben, die Wahrheit zu suchen, die sich hinter dem Schleier von Verzerrung und Verdrehung, Ideologie und Klasseninteresse verbirgt … Die Intellektuellen haben die Verantwortung, die Wahrheit zu sagen und Lügen aufzudecken."