Noam Chomsky: "Rebellion oder Untergang. Ein Aufruf zu globalem Ungehorsam zur Rettung unserer Zivilisation"
Westend-Verlag 2021
128 Seiten, 15 Euro
Wie wir die Apokalypse noch verhindern können
10:21 Minuten
Angesichts von Klimawandel und drohenden Nuklearkriegen müssen wir handeln, fordert Noam Chomsky, dessen Buch "Rebellion oder Untergang" am Montag erschienen ist. Doch die Zeit sei knapp und Wandel nur innerhalb bestehender Institutionen möglich.
Ute Welty: Wie groß der Einfluss von Noam Chomsky seit Jahrzehnten auf die Debatten ist, lässt sich an verschiedenen Kenngrößen festmachen: Mehr als 30 Mal wird ihm zwischen Uppsala und Peking die Ehrendoktorwürde verliehen. Ungefähr genauso häufig sind andere Auszeichnungen wie 2005 die Wahl zum führenden Intellektuellen weltweit.
Heute erscheint Chomskys neues Buch auf Deutsch: "Rebellion oder Untergang". Ein Aufruf zum globalen Ungehorsam, sagt Noam Chomsky im Gespräch. Und er sagt auch: Da gibt es überhaupt nichts misszuverstehen.
Noam Chomsky: Wenn jemand behauptet, er handele zugunsten eines höheren Ziels, bedeutet das überhaupt nichts. Die Frage ist stets: Was ist das Ziel? Diejenigen, die am 6. Januar auf das Kapitol stürmten, wollten als Ziel einen Staatsstreich, sie wollte eine legitim gewählte Regierung durch eine nicht gewählte Regierung ersetzen, und das nennen wir einen Staatsstreich.
Woran ich denke und was ich beabsichtige, ist etwas vollständiges anderes. Ich gebe zu verstehen, dass wir einen grundlegenden Wandel brauchen, um den Menschen als Art vor der Auslöschung durch Umweltprobleme oder durch einen nuklearen Krieg zu bewahren.
Welty: Sie haben es gerade schon angesprochen, die Zerstörung der Demokratie ist das eine große Menschheitsrisiko, die beiden anderen sind Nuklearkrieg und Erderwärmung. Lässt sich der Untergang angesichts der umfassenden Bedrohung überhaupt noch aufhalten?
Chomsky: Zum Glück wissen wir ziemlich genau, welche Maßnahmen wir ergreifen müssen, um diesen Untergang zu verhindern. Wir haben tatsächlich Chancen, mit diesen Mitteln die Erderwärmung abzumildern und auch zu beenden, und wir wissen auch, mit welchen Mitteln wir die Gefahr eines nuklearen Konfliktes begrenzen und auch überwinden können. Diese Mittel umzusetzen, wie das gehen soll, das ist die große Frage.
Atomwaffenfreie Zonen, vor allem im Nahen Osten
Welty: Haben Sie denn diesbezüglich einen Vorschlag, wie das gehen soll, wie das gehen kann?
Chomsky: Ich habe soeben zusammen mit dem Wirtschaftswissenschaftler Robert Pollin ein Buch verfasst, in dem wir darlegen, welche Mittel wir ergreifen müssen, um bis Mitte dieses Jahrhunderts die Ziele des IPCC, des internationalen Klimarates, von null Emissionen zu erreichen, und wie wir dann weiter vorangehen können, um eine bessere Welt zu schaffen, eine nachhaltigere, lebenswertere Welt, und auch die Erhitzung der Erdatmosphäre zu beenden.
Was die nukleare Bewaffnung angeht, so wurde am Freitag ein wichtiger Schritt unternommen durch die Unterzeichnung des UNO-Abkommens zum Verbot atomarer Waffen, von 122 Staaten unterschrieben, leider nicht von den Atommächten.
Diese sind aber durch den Vertrag über die Nichtverbreitung von Atomwaffen auf dasselbe Ziel verpflichtet. Man kann sie dahin drängen, sich diesem Ziel anzuschließen. Und wir haben eine ganze Reihe von anderen hochwirksamen Mitteln, um dieses Ziel zu erreichen, zum Beispiel die Errichtung mehrerer atomwaffenfreier Zonen, insbesondere einer im Nahen und Mittleren Osten.
Wandel nur innerhalb der bestehenden Institutionen
Welty: Sie wollen unsere Zivilisation retten, aber ist es nicht genau diese Zivilisation, die all diese Probleme verursacht?
Chomsky: Aus diesem Grund wollen wir diese Zivilisation ändern. Eine grundlegende Änderung der Institutionen ist im Rahmen der uns zur Verfügung stehenden Frist nicht möglich. Deshalb sind wir gezwungen, mit und innerhalb der bestehenden Institutionen einen derartigen Wandel einzuleiten.
Wir haben durchaus machbare umsetzbare Möglichkeiten, diese Institutionen so umzugestalten mithilfe eines geringen Anteils am Bruttosozialprodukt, um wichtige Schritte zur Überwindung dieser Krise einzuleiten und zu bewältigen.
Welty: Apropos Institutionen: Für die demokratische Partei haben Sie die Präsidentschaftskandidatur von Bernie Sanders unterstützt, jetzt ist es aber Joe Biden geworden. Wie enttäuscht sind Sie?
Chomsky: Das Ergebnis dieser Wahlen ist sehr positiv. Wir haben zumindest vorläufig geschafft, die gefährlichste Gestalt auf der politischen Bühne in dieser Welt beiseite zu räumen, Donald Trump, der mit aller Kraft darauf hinarbeitete, den Einsatz von fossilen Brennstoffen zu erhöhen. Das war eine existenzielle Bedrohung. Diese dunkle Wolke ist mindestens vorläufig vom Horizont verschwunden.
Was Joe Biden angeht, so sind seine programmatischen Vorschläge für die Bekämpfung des Klimawandels nicht ausreichend, aber sie sind ein Schritt in die richtige Richtung. Mit Druck seitens der Bevölkerung wird es möglich sein, ihn noch zu weiteren Schritten zu bewegen, die notwendig sind, wenn wir als Art überleben wollen.
Schlimmer als der Zweite Weltkrieg
Welty: Als der Zweite Weltkrieg beginnt und der spanische Bürgerkrieg endet, schreiben Sie mit elf Ihren ersten politischen Artikel und thematisieren den Faschismus in Spanien. Stand die Welt damals nicht noch näher am Abgrund als heute?
Chomsky: Damals war die Lage schlimm genug, aber sie war nicht derart, dass es zur Auslöschung der menschlichen Gesellschaft schlechthin geführt hätte. Die Bedrohung durch den Faschismus war real, sie war schrecklich.
Was ich damals nicht wusste, war, dass Planungsabteilungen in den USA tatsächlich davon ausgingen, es würde zu einem Krieg kommen und er würde dann zu einer Spaltung der Erde in zwei Sphären führen – die eine dominiert von den USA und die andere Hälfte der Welt unter der Herrschaft von Deutschland, von Nazideutschland. Diese Aussicht war schrecklich genug, aber sie bedeutete nicht das Ende einer wohlgegliederten Gesellschaft schlechthin.
Jetzt dagegen sehen wir uns mit dieser Perspektive konfrontiert, dass die menschliche Gesellschaft in wohlgeordneten Bahnen auf dieser Erde vollständig ausgelöscht werden könnte. Ich beziehe mich auf einen Bericht der weltmeteorologischen Organisation, vor einigen Wochen erschienen, eine Analyse des gegenwärtigen Zustandes der Umwelt.
Diese Wissenschaftler sagen voraus, dass wir, wenn wir so weitermachen wie bisher, schließlich vier bis fünf Grad Celsius Erwärmung gegenüber der vorindustriellen Zeit haben werden, was wirklich zu einem Zusammenbruch der menschlichen Gesellschaft schlechthin führen wird. Aus diesem Grund müssen wir wirklich unbedingt den Einsatz von fossilen Brennstoffen beenden.
Junge Menschen als Hoffnungsträger
Welty: Was lässt Sie denn hoffnungsvoll auf diesen Montag schauen, außer dass Ihr Buch heute auf Deutsch erscheint?
!!Chomsky:! Gründe für den Optimismus gibt es mehrere. Zuerst einmal der Blick in die Geschichte: Immer wieder hat es in der Menschheitsgeschichte schreckliche Krisen gegeben. Die Menschen waren imstande, durch Organisation, durch Mobilisierung und durch gemeinsames Handeln diese Krisen zu überwinden.
Zweitens, es gibt sehr viele Menschen, vor allem junge Menschen, die aktiv und mutig darangehen, diese Krisen zu überwinden.
Drittens, wir haben im Grunde zwei Alternativen vor uns: Entweder wir lassen es bleiben und sagen, es hat sowieso keinen Sinn, es ist hoffnungslos, also lassen wir das Schlimmste geschehen, oder wir sagen, lasst uns die Chancen ergreifen, vielleicht schaffen wir es, die Krise zu überwinden und dann eine bessere Welt zu schaffen. Ich meine, angesichts dieser Alternativen ist die Wahl doch eigentlich klar.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.