Die Poesie, die Welt und ich
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Olga Tokarczuk und Peter Handke haben in Oslo ihre "Nobel Lectures" gehalten. Darin kommen sich beide erstaunlich nahe. Ihnen geht es um die Macht des Wortes und den Schutz eines fragilen Ichs, kommentieren unsere Literaturkritiker.
Vor der feierlichen Übergabe der Literaturnobelpreise am Dienstag stellen sich die beiden Gewinner der Jahre 2019 und 2018, Peter Handke und Olga Tokarczuk, mit im Livestream übertragenen Nobelvorlesungen der Weltöffentlichkeit. Unsere Literaturkritikerinnen und -kritiker Wiebke Porombka und Helmut Böttiger haben sich die "Nobel Lectures" angehört und kommen zu einem überraschenden Schluss:
Preisträgerin und Preisträger hätten im Kern in etwa das Gleiche gesagt. Beide hätten poetologische Reden gehalten, in denen es um das fragile Ich ging, das sich selbst in der Poesie vergewissert und sich gegen die Mediensprache, die aufgesetzte Sprache von außen, zu wehren sucht. Beide setzten also auf die Macht des Wortes und das poetische Moment, das sich nicht vom aktuellen Diskurs vereinnahmen lässt.
Kein reaktionäres Zurück
Zudem hätten sich beide nur indirekt zu den Themen geäußert, die man von ihnen erwartet hatte, berichten Porombka und Böttiger: Also Handke zu Jugoslawien und Tokarczuk zu Polen. Ersterer mittels seiner slowenischen Familiengeschichte und letztere mittels eines allgemeinen Appells, keinem reaktionären Zurück in eine angeblich heile Welt nachzuhängen.
Handke habe sich in seiner Rede zudem auf seine romantische Tradition berufen, auf sein Bild der hohen Poesie, erklärt Böttiger. "Das ist im Moment bei dieser Nobelpreisverleihung das Interessante: Wie bewertet man seine Haltung zu Jugoslawien, zu Serbien? Es wurde heute noch einmal deutlich, dass es darauf ankommt, wie man dieses Verrennen in diese Milošević-Nähe gewichtet. Sein Bezug zur Dichtung, also was für ihn das romantische Ideal ist, ist das, worüber man diskutieren müsste."
Dem entgegnet Porombka: "Das ist aber etwas sehr Ich-Bezogenes und mit Blick auf die vergangenen Debatten etwas nicht sehr über den Tellerrand Blickendes - und ich hatte das Gefühl, man sieht da einem sehr alt gewordenen Dichter zu."
Tokarczuk habe durch ihren Fokus auf die Poesie zwar eine sehr zeitlose, damit aber auch relativ unoriginelle Rede gehalten, so Porombka weiter. "Sie hat sich damit unfreiwillig nochmal in den Schatten von Handke gestellt."