Autorin von „Die Vegetarierin“

Literaturnobelpreis 2024 für Han Kang

Illustration von Han Kang.
Wird am 10. Dezember in Stockholm geehrt: Han Kang. © Niklas Elmehed © Nobel Prize Outreach
Die Südkoreanerin Han Kang erhält den diesjährigen Nobelpreis für Literatur. Die 1970 geborene Autorin wurde durch ihren Roman „Die Vegetarierin“ international bekannt.
Nachdem Han Kang 2016 für „Die Vegetarierin“ bereits den renommierten Man Booker International Prize bekommen hatte, erhält sie nun auch die bedeutendste Auszeichnung der Literaturwelt. Die Südkoreanerin wird mit dem Nobelpreis geehrt - für ihre „intensive poetische Prosa“, die sich mit historischen Traumata auseinandersetze und die Zerbrechlichkeit menschlichen Lebens aufzeige. Das teilte die Schwedische Akademie in Stockholm mit.
Die Autorin beleuchte die „Verbindung zwischen Körper und Seele, den Lebenden und den Toten“, heißt es in der Begründung. Mit ihrem „experimentellen Stil“ sei sie eine Erneuerin der zeitgenössischen Prosa. Akademiemitglied Anna-Karin Palm nannte Han Kangs Werk „reich und komplex“. Ihr Stil sei „sowohl zärtlich als auch brutal und manchmal etwas surreal“.
Han Kang ist die 18. Frau, die den Literaturnobelpreis erhält. Mit der Auszeichnung der 53-Jährigen geht der Literaturnobelpreis zum ersten Mal nach Südkorea. Beobachter hatten bereits vor der Bekanntgabe mit einer Preisträgerin gerechnet. Auch war spekuliert worden, dass der Preisträger nach 2023 und 2022 wahrscheinlich nicht weiß sein und nicht aus einem westlichen Land kommen werde.
Die Schwedische Akademie hatte vor Längerem angekündigt, bei ihrer Auswahl diverser werden zu wollen. Sie stand lange in der Kritik, weil sie jahrzehntelang vor allem männliche weiße Autoren aus westlichen Ländern ausgezeichnet hatte.
Nach einem Skandal um sexuellen Missbrauch im Jahr 2018 sicherte sie zu, bei ihren Entscheidungen mehr Weltregionen einzubeziehen und stärker auf Geschlechterparität zu achten. Mit Han Kang wurden seitdem vier Frauen und drei Männer mit dem Literaturnobelpreis ausgezeichnet. Im Vorjahr war die Auszeichnung an den Norweger Jon Fosse gegangen. 2023 wurde die französische Schriftstellerin Annie Ernaux geehrt.

Wichtigste literarische Stimme Koreas

Han Kang gilt als wichtigste literarische Stimme Koreas. Einsamkeit, Trauer, Gewalt und Traumata sind wiederkehrende Themen ihrer Literatur. Sie treibe die Frage um, wie man als Teil der Menschheit leben könne, zu deren Wesen die Gewalttätigkeit gehöre, hat sie einmal gesagt.
Im Zentrum ihres Romans „Menschenwerk“ (2017) beispielsweise steht ein Aufstand im südkoreanischen Gwangju im Jahr 1980, der brutal niedergeschlagen wurde. Über das Grauen des Massakers berichten die Toten, Hinterbliebenen und Davongekommenen, die noch Jahre später, wie es im Roman heißt, „von der Schande überlebt zu haben, verfolgt werden.“ 
Mit „Menschenwerk“ brach Han das gesellschaftliche Schweigen über das Massaker von Gwangju. Und auch mit ihrem Roman „Die Vegetarierin“ (2007) beging Han einen Tabubruch: Die Autorin erzählt darin die Geschichte einer Frau, die sich weigert, sich den gängigen Ernährungsnormen zu unterwerfen, was schlimme Folgen für sie hat. Vegetarismus gilt in Südkorea als subversiver Akt.
Hans Figuren sind oft Außenseiter, die nicht so recht in die Gesellschaft passen. Bisweilen enthalten ihre Geschichte surreale Elemente. Die titelgebende Protagonistin in „Die Vegetarierin“ beispielsweise hat zunehmend das Gefühl, sich in eine Pflanze zu verwandeln. „Griechischstunden“ (2011) handelt von einer Frau, die plötzlich ihre Stimme verliert.
Als literarische Stimme steht Han Kang exemplarisch für viele Autorinnen Südkoreas. Die Gesellschaft des asiatischen Landes ist bis heute sehr traditionell geprägt, wogegen viele Frauen aufbegehren. Han Kang möchte mit ihren Romanen und Erzählungen die alten Rollenbilder aufbrechen.
Während der Präsidentschaft von Staatschefin Park Geun Hye (2013 bis 2017) stand Han auf einer Schwarzen Liste mit 9.000 Kulturschaffenden, die Kritik an der Regierung geübt oder die liberale Opposition unterstützt hatten.
Mit Han Kang wird eine Autorin ausgezeichnet, deren Bücher international ein großes Publikum erreichen. Das ist ganz und gar keine Selbstverständlichkeit beim Literaturnobelpreis. Ihr Buch „Die Vegetarierin“ wurde verfilmt.

Debüt mit Gedichten in einer Zeitschrift

Han Kang wurde 1970 in Gwangju im Südwesten Südkoreas geboren. Ihr Vater war Schriftsteller. Im Alter von zehn Jahren zog sie mit ihrer Familie nach Seoul. Han Kang studierte koreanische Literatur an der Yonsei-Universität. Ihr literarisches Debüt gab sie mit fünf Gedichten in der Zeitschrift "Literatur und Gesellschaft" 1993.
Im Jahr darauf begann sie ihre erfolgreiche Karriere als Romanautorin. Schon 1994 gewann sie mit "Roter Anker" einen Literaturwettbewerb in Seoul, weitere Auszeichnungen in Südkorea und auf internationalem Parkett folgten.
Der internationale Durchbruch gelang Han Kang mit „Die Vegetarierin“ (2007). Zu Hans Werken gehört außerdem die Kurzgeschichtensammlung "Die Früchte meiner Frau" von 2000 und Romane wie "Deine Kalten Hände" aus dem Jahr 2002 und "Weiß" von 2016.

In einer Liga mit Hemingway und Sartre

Seit der ersten Preisvergabe im Jahr 1901 sind mit Han Kang 121 Literaturnobelpreisträger benannt worden. Darunter waren weltbekannte Literaten wie Ernest Hemingway und Jean-Paul Sartre, aber auch Persönlichkeiten wie der frühere britische Premier Winston Churchill und der US-Musiker Bob Dylan. Die letzten deutschen Preisträger waren Herta Müller vor 15 und Günter Grass vor 25 Jahren, der letzte deutschsprachige der Österreicher Peter Handke vor fünf Jahren.
Der Literaturnobelpreis ist derzeit mit elf Millionen Schwedischen Kronen (aktuell rund 967.000 Euro) dotiert. Die Preisgala findet traditionell am 10. Dezember in Schwedens Hauptstadt Stockholm statt, dem Todestag Alfred Nobels.
tmk
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