Noch ein Wort zu Christian Wulff
Der Theologe Rainer Kampling hält die Erwartungen an den jeweiligen Bundespräsidenten für überspannt. Auch in Christian Wulff sieht der Professor für Biblische Theologie und Neues Testament das Opfer einer Ethik, die der Normalbürger nur noch Spitzenpolitikern abverlangt.
Tage sind vergangen. Und doch bleibt immer noch etwas zu sagen. Sicher war der Rücktritt von Christian Wulff unvermeidlich. Er beendete eine Zeit der Peinlichkeiten, die die bundesdeutsche Gesellschaft nicht länger ertragen wollte. Sich vorzustellen, der Bundespräsident spiele in der Gesellschaft die Rolle, die in Familien der Onkel inne hat, den man wegen seines schlechten Benehmens nicht einladen will, war eben ein Zuviel an Zumutung.
Hatte Wulff doch in den vergangenen Jahren ohne Unterlass das Hohe Lied der politischen und persönlichen Ehrlichkeit und Wahrhaftigkeit angestimmt, sodass er zum schärfsten Kritiker seiner selbst wurde. Und denkt man an die innige Beziehung, die zuvor zu bestimmten Zeitungen bestand, konnte man dann gewahr werden, wie aus einem renommierten Politiker der Zauberlehrling wurde, der die Geister, die er rief, nicht mehr los wurde.
Fast könnte man meinen, dass der Winter 2011/2012 eine Hochzeit von Moral und Ethik in diesem Land war. Anstand, Pflicht und Ehrlichkeit waren Worte, die man selten so oft gehört hatte. Selbst das Wort von der Tugend machte laut die Runde, sodass Robespierre, der Tugend mit Terror durchsetzen wollte, seine helle Freude gehabt hätte. Denn die Erregung fand ihren Anhalt nicht vorrangig an politischem Fehlverhalten, sondern an einer unterstellten Gier und Schnäppchenmentalität.
Letzteres ist nun allemal bizarr in einer Gesellschaft, in der die Wahrung des eigenen finanziellen Vorteils fast zu einem Volkssport geworden ist, in der ganze Wirtschaftszweige davon leben, dass man eben diese Mentalität bedient. In der Konsumgesellschaft besteht die selbstbezogene Ethik nun mal darin, seinen eigenen Schnitt zu machen. So gesehen war der scheidende Bundespräsident tatsächlich Repräsentant dieser Gesellschaft.
Aber ganz offensichtlich gibt es auch in der konsumorientierten Gesellschaft einen Rest von Scham darüber. In dem Augenblick, in dem dieses Gebaren durch den höchsten Würdenträger als gleichsam selbstverständlich vorgelebt wird, entdeckt man, dass dieses Wertesystem nicht hinreichend ist. Es gab ganz offensichtlich ein Unbehagen daran, den Spiegel vorgehalten zu bekommen und erleben zu müssen, wie nahe Eigennutz und Lächerlichkeit sind.
Damit ist zweifelsohne nicht gesagt, dass sich das Verhalten der Mehrzahl der Deutschen ändern wird. Das Bedürfnis nach Katharsis scheint durch den Rücktritt befriedigt. Der Bundespräsident hat letztlich damit der Gesellschaft einen Stellvertreterdienst erwiesen. Ob man das Heuchelei, doppelbödige Moral oder ein gesellschaftliches Spiel nennt, bleibt letztendlich gleichgültig.
Bemerkenswerter ist es, dass offensichtlich auch in einer Demokratie Erwartungen an Politiker gestellt werden, die sie signifikant von dem übrigen Teil der Bevölkerung abheben sollen. Ohne jeden Zweifel sollen und müssen Politiker sich an Recht und Gesetz halten. Daraus folgert aber keineswegs zwingend anzunehmen, dass sie in allen Bereichen ethische und moralische Höchstleistungen vollbringen.
Bei näherer Betrachtung werden sie durch überhöhte Erwartungen gleichsam sakralisiert. Das Klagen über die Politiker-Kaste ist dann hohl, wenn man sie durch solche fast religiösen Stilisierungen erst erzeugt. Man kann sie daran messen, ob sie das, wofür sie gewählt wurden, gut machen, nicht aber daran, ob sie die besseren Menschen sind.
Joschka Fischer, gewiss einer der bedeutendsten politischen Rhetoriker, hat es in der ihm eigenen Art auf den Punkt gebracht: Auf die Frage, ob er sich vorstellen könne, Bundespräsident zu werden, antwortete er, dass er den Ansprüchen nicht gerecht werde, denn von nun an müsse ein Bundespräsident übers Wasser wandeln können.
Rainer Kampling, geboren 1953 im Münsterland. Studium der Katholischen Theologie, Lateinischen Philosophie und Judaistik. Seit 1992 Professor für Biblische Theologie und Neues Testament an der Freien Universität Berlin, Initiator und Leiter des Ernst-Ludwig-Ehrlich-Masterstudiengangs Geschichte, Theorie und Praxis der Jüdisch-Christlichen Beziehungen.
Hatte Wulff doch in den vergangenen Jahren ohne Unterlass das Hohe Lied der politischen und persönlichen Ehrlichkeit und Wahrhaftigkeit angestimmt, sodass er zum schärfsten Kritiker seiner selbst wurde. Und denkt man an die innige Beziehung, die zuvor zu bestimmten Zeitungen bestand, konnte man dann gewahr werden, wie aus einem renommierten Politiker der Zauberlehrling wurde, der die Geister, die er rief, nicht mehr los wurde.
Fast könnte man meinen, dass der Winter 2011/2012 eine Hochzeit von Moral und Ethik in diesem Land war. Anstand, Pflicht und Ehrlichkeit waren Worte, die man selten so oft gehört hatte. Selbst das Wort von der Tugend machte laut die Runde, sodass Robespierre, der Tugend mit Terror durchsetzen wollte, seine helle Freude gehabt hätte. Denn die Erregung fand ihren Anhalt nicht vorrangig an politischem Fehlverhalten, sondern an einer unterstellten Gier und Schnäppchenmentalität.
Letzteres ist nun allemal bizarr in einer Gesellschaft, in der die Wahrung des eigenen finanziellen Vorteils fast zu einem Volkssport geworden ist, in der ganze Wirtschaftszweige davon leben, dass man eben diese Mentalität bedient. In der Konsumgesellschaft besteht die selbstbezogene Ethik nun mal darin, seinen eigenen Schnitt zu machen. So gesehen war der scheidende Bundespräsident tatsächlich Repräsentant dieser Gesellschaft.
Aber ganz offensichtlich gibt es auch in der konsumorientierten Gesellschaft einen Rest von Scham darüber. In dem Augenblick, in dem dieses Gebaren durch den höchsten Würdenträger als gleichsam selbstverständlich vorgelebt wird, entdeckt man, dass dieses Wertesystem nicht hinreichend ist. Es gab ganz offensichtlich ein Unbehagen daran, den Spiegel vorgehalten zu bekommen und erleben zu müssen, wie nahe Eigennutz und Lächerlichkeit sind.
Damit ist zweifelsohne nicht gesagt, dass sich das Verhalten der Mehrzahl der Deutschen ändern wird. Das Bedürfnis nach Katharsis scheint durch den Rücktritt befriedigt. Der Bundespräsident hat letztlich damit der Gesellschaft einen Stellvertreterdienst erwiesen. Ob man das Heuchelei, doppelbödige Moral oder ein gesellschaftliches Spiel nennt, bleibt letztendlich gleichgültig.
Bemerkenswerter ist es, dass offensichtlich auch in einer Demokratie Erwartungen an Politiker gestellt werden, die sie signifikant von dem übrigen Teil der Bevölkerung abheben sollen. Ohne jeden Zweifel sollen und müssen Politiker sich an Recht und Gesetz halten. Daraus folgert aber keineswegs zwingend anzunehmen, dass sie in allen Bereichen ethische und moralische Höchstleistungen vollbringen.
Bei näherer Betrachtung werden sie durch überhöhte Erwartungen gleichsam sakralisiert. Das Klagen über die Politiker-Kaste ist dann hohl, wenn man sie durch solche fast religiösen Stilisierungen erst erzeugt. Man kann sie daran messen, ob sie das, wofür sie gewählt wurden, gut machen, nicht aber daran, ob sie die besseren Menschen sind.
Joschka Fischer, gewiss einer der bedeutendsten politischen Rhetoriker, hat es in der ihm eigenen Art auf den Punkt gebracht: Auf die Frage, ob er sich vorstellen könne, Bundespräsident zu werden, antwortete er, dass er den Ansprüchen nicht gerecht werde, denn von nun an müsse ein Bundespräsident übers Wasser wandeln können.
Rainer Kampling, geboren 1953 im Münsterland. Studium der Katholischen Theologie, Lateinischen Philosophie und Judaistik. Seit 1992 Professor für Biblische Theologie und Neues Testament an der Freien Universität Berlin, Initiator und Leiter des Ernst-Ludwig-Ehrlich-Masterstudiengangs Geschichte, Theorie und Praxis der Jüdisch-Christlichen Beziehungen.