Dietmar Dath: "Gentzen oder: Betrunken aufräumen. Kalkülroman". Matthes & Seitz Berlin, Berlin 2021. 604 Seiten, 26 Euro
Preis der Leipziger Buchmesse 2022
Wir stellen die nominierten Bücher für den "Preis der Leipziger Buchmesse" 2022 vor © Getty Images / iStock
Bühne frei für die nominierten Romanciers
54:23 Minuten
Die Frühjahrsbuchmesse ist abgesagt, ihre Preise aber werden verliehen – auch der angesehene „Preis der Leipziger Buchmesse“ für Bücher der Kategorien Belletristik, Sachbuch/Essayistik und Übersetzung. Wir stellen die nominierten Romanciers vor.
Aus nicht weniger als 441 Büchern, erschienen in 169 Verlagen, hat die Jury des "Preises der Leipziger Buchmesse" fünfzehn Finalisten ausgewählt, je fünf aus Belletristik, Sachbuch/Essayistik und Übersetzung.
"Mitreißende Intensität"
"Die nominierten literarischen Werke zeichnen sich durch ihre außergewöhnliche Sprachkunst aus, die überhaupt erst eine Auseinandersetzung mit ihren Themen ermöglicht", begründete die Sprecherin Insa Wilke die Auswahl. „Auch im Sachbuch hat uns die mitreißende Intensität überzeugt, mit der die Autor*innen sich mit völlig unterschiedlichen rhetorischen Ansätzen ihren Fragestellungen widmen."
Katrin Schumacher (MDR) und Jörg Plath stellten am 3. März im Literarischen Colloquium Berlin am Wannsee die fünf Romanciers in Gespräch und Lesung vor.
Die Nominierten
Der 1945 verstorbene Logiker Gerhard Gentzen zählte zu den genialsten seines Fachs. Doch wer kennt ihn noch? Ein Schriftsteller namens Dietmar Dath macht sich mit Laura und Jan auf die Suche nach jemandem, an den sie sich nicht mehr erinnern. Der Roman entfaltet einen Denkraum mit vielen Figuren zwischen 1728 und 2130. Frank Schirrmacher, der sich den Kopf über das Internet zerbricht, tritt auf, dazu Jeff Bezos, Ruth Garrett Millikan, Lady Gaga, eine schiefe Tante und ein geheimnisvolles Wesen, das das Leben auf der Erde in Gefahr bringen wird.
Tomer Gardi: "Eine runde Sache". Zur Hälfte übersetzt aus dem Hebräischen von Anne Birkenhauer. Literaturverlag Droschl, Graz/Wien 2021. 256 Seiten, 22 Euro
Ein gewisser Tomer Gardi unternimmt im ersten, auf Deutsch verfassten Teil des Romans mit einem Deutschen Schäferhund und dem Elfen- oder gar Erlkönig an seiner Seite auf eine surreal-abenteuerliche Odyssee, die auch durch einen deutschen Wald führt. Der zweite Teil, ein aus dem Hebräischen übersetzter historischer Roman, erzählt von dem im 19. Jahrhundert lebenden indonesischen Maler Raden Saleh, der von Java nach Europa und zurück reist. Beide Künstler erfahren die Fremde und denken auf manchmal schreiend komische Weise über Identität, Kunst und Leben nach.
Heike Geißler: "Die Woche". Roman. Suhrkamp Verlag. Berlin 2022. 314 Seiten, 24 Euro
Die Erzählerin und ihre Freundin sind proletarische Prinzessinnen, „wie sie nicht in jedem Buche stehen. Aber wartet nur, wir schreiben uns in die Bücher hinein". Sie wollen Widerstand leisten, eine Revolte anzetteln, die alten Märchen überschreiben. Denn etwas ist in Leipzig aus den Fugen geraten. In der Stadt der Legida-Aufmärsche und der Gegendemos ist die Woche mit einem Mal voller Montage. Die Prinzessinnen rüsten für den Protest und bezweifeln ihr Tun, sie haben Mitleid mit dem Tod an ihrem Küchentisch und kümmern sich doch um ihn.
Emine Sevgi Özdamar: "Ein von Schatten begrenzter Raum". Roman. Suhrkamp Verlag, Berlin 2021. 766 Seiten, 28 Euro
1971 putscht das türkische Militär. Tausende werden verhaftet und gefoltert, auf den Straßen werden Menschen erschossen. Die Erzählerin dieses autobiographischen Romans, eine Schauspielerin, flieht aus Istanbul nach Europa. Sie spielt in Ost-Berlin Theater und lebt jenseits der Mauer. Sie folgt dem Regisseur Benno Besson nach Paris, kehrt dann wieder nach Berlin zurück, befreit sich im Zwiegespräch mit Tieren und Menschen, mit Krähen, Eseln und Regisseuren, mit Schriftstellern, Dichtern und Denkern zur Schriftstellerin. Ein ganz und gar ungewöhnlicher, szenischer und warmherziger Künstlerroman über das Licht in der Mitte eines von Schatten umgrenzten Raums.
Katerina Poladjan: "Zukunftsmusik". Roman. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2022. 186 Seiten, 22 Euro
Vier Generationen leben in der sibirischen Weite, tausende Werst östlich von Moskau, in einer Kommunalka auf engstem Raum zusammen: Großmutter, Mutter, Tochter und Enkelin sowie der bröckelnde Putz einer überholten Zeit. Es ist der 11. März 1985, und von der Zeitenwende, die an diesem Tag beginnt, ahnt niemand etwas. In der Küche der Gemeinschaftswohnung köchelt wie immer etwas auf dem Herd, das Bad ist wie immer besetzt, aber sonst ist nichts wie immer. Der Kammerspielalltag nimmt eine historische Pause.
(pla)
(pla)