Nora Bossong: "Kreuzzug mit Hund - Gedichte"
Suhrkamp, 2018
101 Seiten, 20 Euro
Gedichte über die deutsche Bürokratie
Nora Bossong hat ihren zweiten Gedichtband veröffentlicht. Darin beschäftigt sie sich mit Bürokratie und dem, was den Staat im Innersten zusammenhält - aber auch mit fernen Ländern und ihren Mysterien.
Frank Meyer: Heute erscheint ein neuer Gedichtband von Nora Bossong, "Kreuzzug mit Hund" heißt der. Nora Bossong spielt mit ihren Gedichtbänden in der ersten Liga der deutschsprachigen Literatur, genauso auch mit ihren Romanen. Als hochintelligente analytische Erzählerin wurde sie zum Beispiel gepriesen bei ihrem Wirtschafts- und Familienroman "Gesellschaft mit beschränkter Haftung" und jetzt ist sie hier im Studio. Seien Sie willkommen, Nora Bossong!
Nora Bossong: Hallo!
Meyer: Ich hab vorhin schon mal eine Zeile aus Ihrem Gedicht "Ach, Europa!" zitiert. Dieses Gedicht steht als erstes Gedicht in Ihrem Lyrikband. Warum haben Sie denn dieses Europagedicht da ganz an den Anfang gestellt?
Bossong: Das Gedicht hat natürlich erst mal einen Ausruf. "Ach, Europa!", das ist nicht ganz neu. Es gibt von Hans-Magnus Enzensberger etwas, was auch schon mal mit so einem Seufzer begann. Es ist ja ein Gedichtband, der sich von Europa bis hin in den Iran fortbewegt, der diese Kreuzzugsbewegung durchspielt. Und natürlich fängt es in Europa an und fängt mit diesem Seufzer, mit dieser Mischung aus Skepsis und Hoffnung an. Deswegen glaube ich, dass es als erstes Gedicht ganz gut passt.
Meyer: Die Mischung würde ich ganz gern mal zu Gehör bringen lassen von Ihnen. Würden Sie uns das vorlesen, bitte?
Bossong: Sehr gern. (liest Gedicht vor)
Meyer: Der letzte Vers, "Wir muntern Sie auf und beteuern, dass es einmal gut ausgeht mit ihr" – ich glaube, Sie selbst sind da nicht so ganz sicher, dass es wirklich einmal gut ausgeht mit Europa. Oder doch?
Nicht alles nur Party
Bossong: Ja, man muss es natürlich beobachten. Ich gehöre nicht so zu den Optimisten. Ich würde mich Realistin nennen. Aber, wie das bei Pessimisten der Fall ist, die nennen sich dann immer Realisten. Wahrscheinlich, von außen gesehen, würde man mich anders bezeichnen. Ich glaube, dass wir momentan an einem relativ schwierigen Punkt sind. Es ist so, dass einige Leute auch mal aufwachen und merken, dass nicht alles nur Party ist, und dass die Übersetzung der Political Party vielleicht mit Partei besser übersetzt ist als mit der ewigen Fete und Feier.
Meyer: Ist das so ein Aufruf – Sie haben auch mal einen Text geschrieben mit so einem Aufruf an die jüngere Generation, mal aus den Puschen zu kommen und sich für das Europa, das für die Jungen ja ganz selbstverständlich ist heute, mehr einzusetzen?
Bossong: Ja, genau. Und da ging es mir auch darum, dass man sich nicht nur mit Glitzerfolie einsetzt. Das ist ja schön und gut, aber ich glaube, das, was auch wichtig ist, dass man sich auch da einsetzt, wo es nicht mehr nur Spaß macht und wo es auch ein bisschen dröge wird. Und das ist etwas, was mir manchmal – es ist ja schön, dass mittlerweile der Protest und das Einsetzen für Europa wieder vielfältiger geworden ist. Aber es ist mir manchmal ein bisschen zu viel Spiel, zu niedlich, zu sehr als sozusagen Volksfest, was so einer kleinen, ohnehin bereits überzeugten Gemeinschaft gilt. Ich glaube, dass man sich auch tatsächlich den wirklichen Aufgaben stellen müsste. Und das lässt man dann gern bei der schönen Kombination von Theorie und Praxis aus, da wo es dann pragmatisch wird.
Unglaubliche Angst vor Bürokratie
Meyer: Ich weiß jetzt nicht, ob ein Kapitel Ihres Gedichtbands etwas mit dieser, ja, vielleicht auch etwas drögen Praxis zu tun hat. Sie haben ein Kapitel, das heißt "Bürgerliche Existenzen" und da liest man einige Gedichte, die sich mit Verwaltungsakten beschäftigen, mit Urkunden, Bürgerämtern, Formblättern, Sachbearbeiterinnen. Was hat Sie denn dazu gebracht, Gedichte über die deutsche Bürokratie zu schreiben?
Bossong: Ich denke, zwei Dinge. Zum einen meine unglaubliche Angst vor Bürokratie. Ich meine, Bürokratie ist wichtig, Bürokratie ist das, was einen Staat auch zusammenhält und davor bewahrt, im Chaos zu versinken. Gleichzeitig macht es mir unglaublich Angst. Ich weiß, dass ich vor der Uni-Bürokratie immer sehr viel mehr Angst hatte als vor den Uni-Prüfungen, weil ich der immer eine gewisse Willkür unterstellte. Und zum anderen vielleicht – das ist natürlich ein Teil, den wir sehr schnell aus den Augen verlieren, aber unglaublich spannend eigentlich. Diese Hinterflure, in denen das alles geordnet und sortiert und in dem unser Leben abläuft und sortiert wird und sich auf die groben Formulare beschränken lässt.
Poetische Tradition im Iran
Meyer: Dann gibt es in Ihrem Buch so was wie einen Gegenpol vielleicht zu diesem sachlich-bürokratischen Ambiente, das letzte Kapitel, "Mysterien". Sie haben es schon gesagt, das Buch hat so eine Bewegung von Europa in den Iran, oder nach Persien, um ein altes Wort zu nehmen. Da führen Sie uns in drei Städte im Iran, Teheran, Isfahan und Shiraz. Waren das Mysterien für Sie tatsächlich, diese Orte, weil Sie da in eine fremde Welt geraten sind?
Bossong: Für mich war das natürlich eine extrem interessante Reise. Da überlagern sich aber ganz viele Bedeutungsebenen. Zum einen natürlich die Religion. Dann die Politik, die die Religion sozusagen in Zwangsgemeinschaft hält, was der Religion, glaube ich, überhaupt nicht gut tut. Und zum Dritten natürlich die Tradition, auch die poetische Tradition, die ich dort ganz stark erlebt habe, die sich behauptet und die auch eine Sprechweise ist, die neben all dieser überpolitisierten und zwangspolitisierten Religion, zwangsreligiösen Politik, diese Mischung ist dort ja vorhanden, immer noch so eine Form des Freiraums gibt und natürlich die unterschiedlichen Epochen und Zeitebenen miteinander verschränkt. Ich habe dort unglaubliche Schönheit gesehen und ich hab auch sehr viel Bedrückendes gesehen. Die schwarzen Flaggen, die sich dort wellen und sofort so eine Art Düsternis über das gesamte Land legen.
Meyer: In diesem Iran-Kapitel findet man auch Ihr Titelgedicht "Kreuzzug mit Hund". Warum heißt das Buch denn "Kreuzzug mit Hund"?
Bossong: Es ist ja eine Form des Kreuzzugs. Kreuzzug ist ein nett gesagt ambivalentes Buch, vielleicht auch eher ein sehr negatives Wort. Es ist natürlich kein imperialistischer Kreuzzug, sondern vielleicht genau das Gegenteil davon. Der Versuch einer Annäherung verschiedener Kulturen, verschiedener Mentalitäten, verschiedener auch Religionen …
Meyer: Sie meinen jetzt, was Sie machen mit dem Buch, das sei eine Art Kreuzzug.
Bossong: Genau. Der ursprüngliche Kreuzzug war etwas – brachialer. Und der Hund zeigt das vielleicht. In dem Gedicht ist das ja ein hinkender Hund, einer, der sich versteckt zwischen zwei Autos. Und diese Verletzlichkeit, diese Versehrtheit kommt dann vielleicht damit auch deutlich zum Ausdruck. Und deswegen der Titel, der für mich diesen gesamten Band ganz gut zusammenbringt.
Mit Gedichten Kulturen kennenlernen
Meyer: Und diese Reisebewegung – wir haben gesprochen über die Gedichte, über die deutsche Bürokratie. Es gibt einen Versuch über Provinz, das spielt auch eher bei uns. Dann sind Sie eher so im südeuropäischen Raum unterwegs, Portugal, Spanien, Italien, Jerusalem spielt eine wichtige Rolle. Es gibt auch ein Jerusalem- oder Israel-Kapitel, und dann eben der Iran. Sie sind offenbar ganz schön viel unterwegs in Ihrem Leben. Welche Rolle spielen da Gedichte? Ist das auch ein Mittel, um so die Flüchtigkeit, die das ja auch immer hat, so zu reisen, unterwegs zu sein, um das festzuhalten, um da Momente, die bleiben, draus zu machen?
Bossong: Ja, zum einen natürlich das Lesen von Gedichten. Um in eine Kultur einzusteigen oder mehr als einen rein touristischen Blick auf ein Land zu haben, hilft mir das ungemein, die Literatur aus den Ländern zu lesen, der nahezukommen, da einzudringen. Zum anderen natürlich, sozusagen das Verarbeiten. Ich muss sagen, im Iran war ich ja mit Navid Kermani, der nun wirklich alles besser kann als ich und ich bin fast verzweifelt. Und irgendwann fiel mir ein, na ja, aber Gedichte kann ich vielleicht doch besser schreiben. Und das war so mein Ausweg, um mir da irgendwie meine kleine Schutzzone zu errichten, zu erhalten, und nicht von dieser intellektuellen Übergröße erdrückt zu werden. Aber es war auch sehr schön, mit ihm zu reisen.
Meyer: Navid Kermani hat einen Vorteil, weil seine Eltern aus dem Iran gekommen sind, das meinen Sie damit.