Norbert Bolz: Zurück zu Luther
Wilhelm Fink Verlag, Paderborn 2016
141 Seiten, 19,90 Euro
Glaube und Gnade statt Moraldenken
Norbert Bolz als Hobbytheologe zum anstehenden Reformationsjubiläum: Mit "Zurück zu Luther" bringt der Medientheoretiker den Reformator gegen den "sentimentalen Humanitarismus" unserer Zeit in Stellung – der ihm selbst schon lange ein Dorn im Auge ist.
Wer erwartet, der Kommunikationstheoretiker Norbert Bolz würde sich mit seiner Schrift "Zurück zu Luther" vor allem den Kommunikationsstrategien des Reformators zuwenden, der irrt. Gleich am Anfang führt sich Bolz, ehemaliger Assistent des Religionsphilosophen Jakob Taubes, als Hobbytheologe und einfaches Mitglied der evangelischen Kirche ein und nennt sein Programm: Er will Luther gegen den sentimentalen Humanitarismus unserer Zeit in Stellung bringen. Das Gutmenschentum, als Haltung des Sich-moralisch-besser-Fühlens, ist Bolz schon lange ein Dorn im Auge; nun sieht er in Luther einen Verbündeten und im anstehenden Reformationsjubiläum einen Anlass, dagegen erneut Stellung zu beziehen.
Hoffen auf Gottes Gnade
Der Mensch ist immer schuldhaft, aber wenn er sich sündenbewusst Christus zuwendet, kann er auf die Befreiung durch göttliche Gnade hoffen – das ist Luthers Ansatz der Rechtfertigung allein durch Glauben, den Bolz jedem Moraldenken, ja sogar jeder menschlichen Gerechtigkeitsvorstellung entgegen hält. Dabei polemisiert er gegen eine Heilssuche im eigenen Selbst ebenso wie gegen einen Kuschelglauben mit Gott als liebem Papa und Jesus als sozial engagiertem Wanderprediger. Auch eine Zivilreligion, in der Glaube nur noch als gesellschaftlicher Kitt gebraucht wird, befriedigt ihn nicht. Denn der Mensch braucht die Öffnung zur Transzendenz – was zugleich den Einsatz von Vernunft und Wissenschaft zur Welterkenntnis nicht ausschließt.
Man kann Bolz zu Gute halten, dass er sich nicht in theologischen Detailfragen verliert, sondern Luthers Botschaften knapp zusammenfasst, Kernsätze zitiert und den Anmerkungsapparat ans Ende des Buches verbannt. Der Rückgriff auf griechische Schlüsselbegriffe des Neuen Testaments ist hilfreich. Was aber größtenteils auf der Strecke bleibt, ist eine Einordnung von Luthers Thesen in seine Zeit, in den größeren Kreis der Reformatoren, in Luthers eigenes bewegtes Leben. Das muss die geneigte Leserin entweder alles schon wissen oder anderswo lesen, denn hier geht es vor allem um die direkte Übertragung von Luthers Lehre auf heute, Teufel und Erbsünde inklusive.
Erstaunlich vage und unkonkret
Darin bleibt Bolz erstaunlich vage und unkonkret – trotz seiner Rückgriffe auf Philosophen wie Marx, Nietzsche oder Heidegger, Literaten wie Goethe oder Thomas Mann, bisweilen auch Theologen wie Kierkegaard oder Benedikt XVI. Aber Bemühungen von Historikern und Theologinnen, Luther als Mensch des Mittelalters zu verstehen, greift Bolz nicht auf. Für ihn bringen Luthers Thesen den Sprung in die Neuzeit gleich in mehrfacher Hinsicht: Das Bibelstudium und das Priestertum aller Gläubigen bedeutet eine "kopernikanische Wende" zur Innerlichkeit und zur religiösen Autonomie. Und durch die Zwei-Reiche-Lehre begründet Luther die Souveränität des sich entwickelnden modernen Staates und gibt den Startschuss für die Ausdifferenzierung sozialer Systeme.
Das eigentliche Geschenk Luthers an den Menschen, die Lehre, dass menschliches Sein Glaube ist und wir einen gnädigen Gott haben, habe die Neuzeit zurückgewiesen, schreibt Bolz. Stattdessen habe sie auf Selbstermächtigung und Selbstbehauptung durch Leistung gesetzt und sei damit gescheitert; nun herrsche eine Nostalgie nach dem Absoluten. Das Absolute ist in Luthers Denken sicherlich zu finden. Fraglich bleibt, ob dieses Buch Lesern, denen theologisches Denken fremd ist, Luthers Geschenk wirklich attraktiv macht.