Norbert Frei, Franka Maubach, Christina Morina, Maik Tändler: "Zur rechten Zeit. Wider die Rückkehr des Nationalismus"
Ullstein Verlag, Berlin 2019
256 Seiten, 20 Euro
Die extreme Rechte in der deutsch-deutschen Nachkriegsgeschichte
06:23 Minuten
Nationalisten, Rechtsextreme und rechte Gewalt gab es in BRD wie DDR. Bisher war die extreme Rechte der Nachkriegszeit kaum Thema der Geschichtswissenschaft. Der Band "Zur rechten Zeit - Wider die Rückkehr des Nationalismus" schließt diese Forschungslücke.
In Deutschland gibt es eine Erinnerungslücke. Die AfD, Pegida und die neurechten Strippenzieher hatten Vorläufer. Diese Geschichte der rechten Mobilisierungsversuche gegen die zweite deutsche Demokratie, die Bundesrepublik, ist noch nicht geschrieben worden.
Zeit also, dass sich die Historiker in die aktuelle Debatte um den Rechtsruck in Deutschland einmischen. Die vier Zeithistorikerinnen Norbert Frei, Franka Maubach, Christina Morina und Maik Tändler tun das in "Zur rechten Zeit" weniger im Stile eines Manifestes, wie es der Untertitel "Wider die Rückkehr des Nationalismus" vermuten lässt. Sie wenden die nüchternen Mittel der Geschichtswissenschaft an.
Gesamtdeutsche Ursache
Die etablierte Erzählung der BRD als liberaldemokratische Erfolgsgeschichte konfrontieren sie mit den dunklen Seiten: Wer genauer hinausschaut, wie es die Autoren tun, sieht: Nationalisten, Rechtsextreme und rechte Gewalt durchziehen und prägen die bundesdeutsche Geschichte, auch die DDR-Geschichte, kontinuierlicher und stärker als generell angenommen. Dass die aktuell in Ostdeutschland stärker ausgeprägte rechte Mobilisierung gesamtdeutsche Ursachen hat, zeigen die Autoren klug auf.
Der Antifaschismus in der DDR war ambivalent: Breitenwirksam ja, aber der historische Nationalsozialismus war kein "Gegenstand reflektierender Betrachtung", so dass ein Gefühl entstand, "frei von historischer Verantwortung" zu sein. Gleichzeitig blühte in der DDR der Lokalpatriotismus, "der Heimatsinn", der sich leicht wieder nationalistisch mobilisieren lässt.
In der BRD war schon Ende der 1940er Jahre die Sehnsucht nach einem "Schlussstrich" groß. In den 1960er Jahren feierte die NPD mit der Warnung vor "Überfremdung" und der generellen Kriminalität der Gastarbeiter Wahlerfolge. Die 1970er Jahre waren nicht nur das "rote Jahrzehnt", sondern stehen auch für eine "Hitlerwelle" und "ins Terroristische drehenden Rechtsradikalismus".
Aus dem Westen importierte "Türkenhass"
In breiteren Bevölkerungsschichten werden "die Türken" zur Chiffre rassistischer Ressentiments. In beiden deutschen Teilen beginnt schon in den späten 1970er Jahren der Rassismus teils in offene Gewalt umzuschlagen. Es folgt der "Vereinigungsrassismus" der 1990er Jahre, in denen in manchen Gegenden offene "Straßengewalt zu einem Gewohnheitsrecht" wurde.
So können die Autoren den Terror des NSU als deutsch-deutsches Phänomen lesen: einerseits die Erfahrung der selbstermächtigten Gewalt gegen Ausländer in Hoyerswerda und Rostock-Lichtenhagen, andrerseits der importierte "Türkenhass" der extremen Rechten in der BRD.
Ebenso die jüngsten Proteste von Dresden und Chemnitz: Mit der Protesterfahrung des selbstermächtigten Aufbruchs 1989, der selbstermächtigten Gewaltwelle in den 1990er-Jahren verbunden, aber auch mit einer ganzen Reihe westdeutscher Führungsfiguren wie Alexander Gauland, Götz Kubitschek oder Björn Höcke, die im Osten ihren Sehnsuchtsort entdecken.
Kein Problem am Rand der Gesellschaft
Wichtig ist, dass die Autoren Xenophobie, Rassismus und die Sehnsucht nach einer Normalität der Nation nicht nur am Rande der Gesellschaft verorten. Sondern auch herausstellen, wie die sehr späte Anerkennung Deutschlands als Einwanderungsland den Weg für Antiasyl- und antiislamische Einstellungen geebnet hat.
Aber: Wahrscheinlich steht es sinnbildlich für die deutsche Zeitgeschichtsforschung, dass dieses Buch vom Verlag angestoßen wurde. Denn bisher war die geschichtswissenschaftliche Erforschung der extremen Rechten, zumal der rechten Gewalt und des rechten Terrors, den es seit den 1960er-Jahren kontinuierlich in Deutschland gab, eine Forschungslücke, die auch eine Erinnerungslücke zur Folge hatte. Dieses Buch zur Rechten in der deutsch-deutschen Nachkriegsgeschichte kommt spät, dennoch "zur rechten Zeit". Schön wäre es, wenn nun weitere und ausführlichere Studien folgten.