Norbert Röttgen zur US-Wahl

Trump wird als Präsident scheitern

Der zukünftige US-Präsident Donald Trump
Der zukünftige US-Präsident Donald Trump © picture alliance / dpa / Ron Sachs
Norbert Röttgen im Gespräch mit Gerhard Schröder |
Donald Trump hat in seinem Wahlkampf große, diffuse Erwartungen geschürt. Norbert Röttgen, Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses, sieht das Scheitern des US-Präsidenten damit vorprogrammiert. Die große Frage sei, wie er versuchen werde, diese Enttäuschungen zu kompensieren. Damit verbinde sich eine absehbare Gefahr.
Donald Trump hat es geschafft, er zieht ins Weiße Haus ein, wird Nachfolger von Barack Obama als US-Präsident, und damit der mächtigste Mann der Welt. Die Frage ist nur: Was fängt er mit seiner Macht an? Setzt er seine vollmundigen Wahlversprechungen um? Wird er eine Mauer zu Mexiko bauen, keine Muslime mehr ins Land lassen? Einen Handelskrieg mit China riskieren? Und was bedeutet seine Wahl für die transatlantischen Beziehungen? Bleiben die USA der wichtigste Verbündete Deutschlands?
Darüber sprechen wir im "Tacheles" mit Norbert Röttgen, seit 2014 Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses im Deutschen Bundestag, mit vielfältigen Beziehungen und Gesprächsfäden zu republikanischen Abgeordneten, zu republikanischen Senatoren oder Think Tanks. Allerdings nicht zum Umfeld Donald Trumps. Denn der sei ein Ein-Mann-Unternehmen geblieben.

Das Interview im Wortlaut:
Deutschlandradio Kultur: Herzlich willkommen zur Sendung. Donald Trump also hat es geschafft. Der siebzigjährige Immobilienmilliardär wird ins Weiße Haus einziehen und Barack Obama, den ersten afroamerikanischen Präsidenten in den USA, ablösen. Trump steigt damit zum mächtigsten Mann der Welt auf, Oberbefehlshaber einer Weltmacht mit atomarer Bewaffnung. Und die Frage ist: Was wird er anfangen mit seiner Macht? Was wird er umsetzen von den vollmundigen Ankündigungen im Wahlkampf? Und welche Folgen hat das für die transatlantischen Beziehungen? Bleiben die USA unter einem Präsidenten Donald Trump noch der wichtigste Verbündete Deutschlands?
Darüber wollen wir reden mit Norbert Röttgen, Christdemokrat und Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses im Bundestag. Guten Tag, Herr Röttgen.
Norbert Röttgen: Guten Tag, Herr Schröder.
Deutschlandradio Kultur: Herr Röttgen, Sie haben vor der Wahl Donald Trumps klar Stellung gegen den Kandidaten bezogen. Sie waren sich, wie viele andere auch, sicher, dass er es nicht schaffen würde, dass die Vernunft am Ende siegen würde. – Wie konnten Sie sich so täuschen?
Norbert Röttgen: Weil ich und viele andere offensichtlich unterschätzt haben das Ausmaß, die Dimension des Gefühls in Amerika von vielen Menschen in Amerika, wirtschaftlich und kulturell bedroht zu sein und von der Politik nichts mehr erwarten zu können. Dass das da ist, war klar, aber ich habe es für ausgeschlossen gehalten, dass 47 Prozent der Wähler danach entscheiden und trotz der Offensichtlichkeit des Kandidaten Trump, für dieses Amt nicht vorbereitet zu sein, um es freundlich zu sagen, trotz seiner Ausführungen, trotz seines Verhaltens, seiner Wut, die er geäußert hat, des Hasses, den geschürt hat, also trotz der Offensichtlichkeit des Charakters, dann trotzdem ihn zu wählen. Das habe ich mir nicht vorstellen können.
Deutschlandradio Kultur: Jetzt ist von einem Erdbeben die Rede, von einer Zäsur, von einem Aufstand gegen das politische Establishment. – Wie würden Sie beschreiben, was da passiert ist vor drei Tagen?

Dramatische Zäsur von historischen Dimensionen

Norbert Röttgen: Meine Beschreibung ist, dass es eine dramatische Zäsur ist, die auch historische Dimensionen hat. Das ist der Fall. Und das, was diese Zäsur jedenfalls definitiv ausmacht, ist, dass – glaube ich – zum ersten Mal die Welt, aber eben auch wir Europäer, wirklich nicht wissen können, welche Politik kommt auf uns zu. Und Amerika ist eben nicht irgendein Land, es ist das wichtigste, das mächtigste Land. Es ist die Führungsmacht der westlichen Welt. Und wir können nicht sagen, welche Außenpolitik, welche Sicherheitspolitik in zentralen Fragen – ob es die Nato ist, ob es um den Mittleren Osten geht, der in Brand steht –, welche Politik er machen wird.
Das allermindestens kombiniert mit seinem Verhalten im Wahlkampf bedeutet, das ist ein Bruch mit der bisherigen Tradition amerikanischer Politik und Außenpolitik.
CDU-Politiker Norbert Röttgen
CDU-Politiker Norbert Röttgen© pa/dpa/von Jutrczenka
Deutschlandradio Kultur: Jetzt sagen viele, bei Ronald Reagan war das ähnlich, ein Schauspieler, der plötzlich US-Präsident wird, der auch mit einem radikalen Programm antrat, 1980 war das, von dem heute viele sagen, er war ein großer Staatsmann. – Kann Donald Trump ein zweiter Ronald Reagan werden?
Norbert Röttgen: Ich halte die Parallele zu Ronald Reagan für blanken Unsinn und schlicht falsch. Ronald Reagan war vorher Gouverneur. Er hatte also wirkliche politische Erfahrung. Er kam aus dem Mainstream seiner Partei. Er hatte ein klares außenpolitisches Programm. Das musste einem nicht gefallen, gar keine Frage. Aber all das, was man heute gegen Donald Trump sagt, war bei Ronald Reagan nicht der Fall.
Also, damals gab es eine linke, politisch begründete Ablehnung gegen Reagan. Und heute ist der Fall der, dass man den Kandidaten Trump, der sich unbeherrscht benommen hat, der nur auf Emotion gesetzt hat und ohne Programm und Personal in diesen Wahlkampf gegangen ist, allgemein und nicht aus einer politischen Richtung heraus sozusagen kritisieren muss. Darum ist der Vergleich absolut falsch.
Deutschlandradio Kultur: Schauen wir nochmal auf die USA. Wir haben acht Jahre Barack Obama hinter uns, der erste afroamerikanische Präsident, der antrat vor acht Jahren mit dem Slogan "Yes, we can!". Heute sehen wir, das Land ist tief gespalten, vielleicht so tief wie seit langem nicht mehr. – Ist also Barack Obama an seiner wichtigsten Aufgabe gescheitert, nämlich das Land zu versöhnen, zu einen?

Eine Hasskultur, die es kaum je gegeben hat

Norbert Röttgen: Ich glaube, man muss schon sagen, dass diese Entwicklung eine Tragödie in der Amtszeit von Barack Obama bildet, und zwar deshalb, weil Obama ja angetreten ist wirklich mit der Intention, das Land zu versöhnen, zu einen. Er hatte diese Programmatik. Aber in diesen gesamten acht Jahren ist dieser Präsident, der erste schwarze Präsident, benutzt worden von republikanischer Seite als Feindbild. Er ist dämonisiert worden. Er ist benutzt worden zu einer Polarisierung und zur Etablierung einer Hasskultur im politischen System der Vereinigten Staaten, die es so noch kaum je gegeben hat.
Und all das hat ihm, Obama, glaube ich, es unmöglich gemacht, die Brücken zu bauen, die er bauen wollte und die Versöhnung herbeizuführen. Also, das ist, glaube ich, im Wesentlichen das Werk der republikanischen Opposition, die ja immer wieder nicht davor zurückgeschreckt hat, den Staat vor den Staatsbankrott zu bringen, also auch das politische System blockiert hat. Das, glaube ich, ist eine Tragödie darum in der Amtszeit von Obama.
Was man aber auch sagen muss ökonomisch, und das kann man nicht nur den Republikanern anlasten, nach den acht Jahren Obama ist das mittlere Einkommen der Amerikaner geringer als vorher. Das heißt, die Wirtschaftskrise, auch die Perspektivlosigkeit ökonomischer Art ist eben nicht wirksam angegangen worden unter seiner Präsidentschaft.
Deutschlandradio Kultur: Was bleibt dann von der Präsidentschaft Barack Obamas?
Norbert Röttgen: Er hat die Krankenversicherung eingeführt und damit für zig Millionen von nichtversicherten Menschen, die außerhalb des sozialen Sicherheitsnetzes waren, ein Sicherheitsnetz geschaffen.
Deutschlandradio Kultur: Die aber bald wieder abgeschafft werden wird möglicherweise.
Norbert Röttgen: Das muss man erstens abwarten und zweitens ist natürlich nie ein Gesetz davor geschützt, dass es wieder rückgängig gemacht wird. Was also bleibt, weiß man nicht. Das ist jedenfalls das, was er geschafft hat. Das ist eine enorme Leistung, die er erbracht hat.

Was von Obama bleibt? – Die Krankenversicherung, das Iran-Abkommen

Man muss vor allen Dingen auch das Iran-Abkommen nennen, das aus meiner Sicht die Wahrscheinlichkeit eines Krieges und die Wahrscheinlichkeit der Verbreitung von Nuklearwaffen gerade in dieser Region auf zehn bis fünfzehn Jahre jedenfalls mal vom Tisch geräumt hat.
Er hat an der Seite Europas und Deutschlands gestanden im Konflikt um die Ukraine, die von Russland ausgelöst worden ist. Und er bleibt ein Präsident, den wir als Deutsche sehr gemocht haben, der einen großartigen Stil in die Politik eingeführt hat, eine große Sprache, ein großer Redner war. Und er hat damit auch die emotionale Beziehung in diesem transatlantischen Verhältnis wirklich gestärkt. Das klingt ja immer so technisch, transatlantisches Verhältnis, es lebt eben von Personen und Menschen und auch von amerikanischen Präsidenten, die wir mögen und die wir respektieren.
Deutschlandradio Kultur: Donald Trump ist nun das genaue Gegenteil von Barack Obama. Er ist im Wahlkampf aufgetreten als jemand, der mit Pöbeleien arbeitet, der Minderheiten beleidigt. – Glauben Sie, dass er den Schalter jetzt umlegen kann, dass er zu einem Staatsmann werden kann, der eine Weltmacht führt?
Norbert Röttgen: Man muss sicher sagen, dass das gesamte Verhalten und alle Aussagen, die er gemacht hat, Wahlkampfaussagen waren, Wahlkampfverhalten war, und dass alles, was er gesagt hat, auch nur auf den amerikanischen Wähler abgezielt hat. Es gab ein paar ausländische Zuhörer, wenn er was über die Nato gesagt hat. Das hat Trump aber nicht interessiert. Das müssen wir in unsere Interpretation einstellen. Wir haben zwar zugehört, er hat aber nur mit den amerikanischen Wählern gesprochen – mit Erfolg.
Und darum, glaube ich, muss man sagen: Der Wahlkämpfer Trump ist nicht zwingend der Präsident Trump. Man hat schon seine Acceptance Speech gehört. Am Tag vorher wollte er Hilary Clinton noch ins Gefängnis werfen. Am Tag danach hat er sie gepriesen und für ihren Einsatz für das Vaterland gelobt.
Ich habe trotzdem Zweifel, was die Persönlichkeit anbelangt. Er ist 70 Jahre alt. Wir werden keine neue Persönlichkeit, keinen neuen Charakter von Donald Trump erleben. Das heißt: Inhaltlich eine Blackbox, den Charakter haben wir im Wahlkampf gesehen.
Deutschlandradio Kultur: Donald Trump, das haben Sie erwähnt, hat keinerlei Regierungserfahrung. Er ist auch ein Außenseiter in seiner eigenen Partei, den Republikanern. Umso wichtiger ist ja jetzt die Frage, mit welchen Leuten umgibt er sich. Wer sind seine Berater? Wer sind die Experten, die ihm einflüstern? Wer sind auch die Leute, die vielleicht dann in sein Kabinett einziehen? – Ist das schon absehbar, in welche Richtung das geht, aus Ihrer Sicht?

Trump ohne politischen Plan

Norbert Röttgen: Aus meiner Sicht ist es nicht absehbar. Es gab, anders als bei allen anderen Kandidaten auch in der Vergangenheit, nicht das Politikteam. Ich bin auch überzeugt, dass Trump selber weder eine inhaltliche Idee von der Politik hat, die er wirklich machen will, noch dass er wirklich die Personen schon im Hinterkopf hat, die er vielleicht zum Außen-, Verteidigungsminister oder nationalen Sicherheitsberatern machen möchte. Das muss man jetzt schlicht abwarten, wie er sich dort entwickelt, welche Entscheidungen er trifft.
Es werden dann, glaube ich, schon Personen auch erscheinen, die wir kennen, so dass man dann wiederum anknüpfen kann an bestehende Kontakte. Und zu den neuen Leuten muss man neue Kontakte knüpfen. Das ist klar.
Deutschlandradio Kultur: Einige Namen sind im Gespräch, Rudolph Giuliani beispielsweise, ein Hardliner, ehemals Bürgermeister von New York, oder Newt Gingrich. – Was sagt Ihnen das?
Norbert Röttgen: Ich glaube, das sind Spekulationen. Ich habe keinen Hinweis auf irgendwen. Wir müssen es schlicht abwarten.
Deutschlandradio Kultur: Haben Sie irgendwelche Beziehungen in das Lager von Donald Trump? Hat die Bundesregierung Kontakte in das Lager? Oder ist das tatsächlich Neuland, das jetzt bearbeitet werden muss?
Norbert Röttgen: Wir haben natürlich, auch ich persönlich und viele andere, Beziehungen und Kontakte und Gesprächsfäden zu republikanischen Abgeordneten, zu republikanischen Senatoren oder Think Tanks. Aber Sie haben ja eben gesagt: Das ist ja nicht Donald Trump. Donald Trump ist von außen. Er hat sozusagen die republikanische Partei von außen als Ein-Mann-Unternehmen erobert. Und er ist ein Ein-Mann-Unternehmen geblieben.
Ich habe mich bemüht bei meinen Besuchen in den letzten Monaten, Kontakte zu einem Politikteam Trump zu entwickeln. Ich habe gefragt: Wer ist denn das? Und die Antwort war bei mir wie bei anderen Deutschen: Es gibt diese Leute nicht. Und darum können wir sie auch nicht kennen.
Deutschlandradio Kultur: Gleichwohl, Donald Trump hat ja hohe Erwartungen geschürt durch seinen Wahlkampf. Er hat gesagt, er will Amerika wieder groß machen. Er will Jobs, die verloren gegangen sind, wieder zurückholen, Jobs sichern. Er will die, die vor der Globalisierung Angst haben, vor Einwanderung Angst haben, die sich da als Verlierer fühlen, schützen, denen will er eine Stimme geben. – Wie kann er diese Erwartungen jetzt erfüllen? Was muss er da jetzt eigentlich machen, um nicht als jemand dazustehen, der alle Versprechen gebrochen hat?

"Woher sollen denn jetzt auf einmal die Jobs kommen?"

Norbert Röttgen: Aus meiner Sicht kann er den Ton, den er angeschlagen hat, die diffusen Erwartungen, die er geschürt hat, nicht erfüllen. Ich glaube, er muss scheitern. Das ist nahezu unausweichlich. Woher sollen denn jetzt auf einmal innerhalb Jahresfrist die Jobs kommen in den Staaten, in denen der industrielle Wandel langsam vonstatten geht? Das kann man nicht alles in diese Staaten hineinwerfen. Er wird also nach meiner Einschätzung Enttäuschung produzieren. Und dann ist die große Frage: Wie wird er versuchen, diese Enttäuschung auf anderen Gebieten vielleicht zu kompensieren? Das ist vielleicht noch die am ehesten absehbare Gefahr, die man benennen kann.
Deutschlandradio Kultur: Was meinen Sie da? Er hat ja zum Beispiel angekündigt eine Mauer zu Mexiko, illegale Einwanderer radikal abschieben.
Norbert Röttgen: Ja. Wenn man im Kern nicht liefern kann, dass man sich andere Felder sucht, wo man den Eindruck des starken Mannes dann macht. Und da bietet sich die Außenpolitik durchaus immer an.
Deutschlandradio Kultur: Sprechen wir über die Außenpolitik. Norbert Röttgen, Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses, heute in Tacheles. Herr Röttgen, die USA und Europa, die USA und Deutschland, das waren bislang wichtige Verbündete. – Können die USA unter einem Präsidenten Donald Trump noch für Europa, für Deutschland der wichtigste Verbündete sein?
Norbert Röttgen: Das müssen sie. Und wir sollten jetzt auch nicht das Land, das Fundamentale unserer Beziehungen, die Geschichte der deutsch-amerikanischen Beziehungen alles sozusagen nur mit Herrn Trump identifizieren, sondern Deutschland, Amerika in der Geschichte und der Notwendigkeit, dieses Verhältnis aufrecht zu erhalten, ist viel mehr als Trump.
Ich glaube auch, dass man auf amerikanischer Seite in dem gesamten Politikbetrieb über die Parteien hinweg über die Bedeutung dieses Verhältnisses gerade zu Deutschland unbedingt weiß. Darum bin ich da nicht wirklich skeptisch, dass Trump alles das verändern wird.
Deutschlandradio Kultur: Nun hat Trump gerade Deutschland und die Bundeskanzlerin Angela Merkel in seinem Wahlkampf quasi als abschreckendes Beispiel bezeichnet. Auf der anderen Seite: Außenminister Frank-Walter Steinmeier sprach vom "Hassprediger" Donald Trump. – Wie zerrüttet ist denn, noch bevor der Kandidat ins Amt kommt, die Beziehung zu den USA?

Beziehungen zu den USA sind "sehr, sehr stabil"

Norbert Röttgen: Nicht zerrüttet, kein bisschen davon. Und ich glaube, man tut wirklich gut daran, wenn man den Wahlkampf nur als Wahlkampf ansieht. Und nochmal: Alle Abfälligkeiten, Infragestellen der Nato und was es alles gegeben hat, nach meiner Einschätzung hat Herr Trump das ausschließlich gemacht und getan, um Emotionen bei amerikanischen Wählern zu erzeugen, die sie veranlassen sollen ihn zu wählen.
Und darum würde ich jetzt sagen: Jetzt ist Cut mit dem Wahltag und es fängt neu an. Deshalb muss es nicht gut werden, er hat Zweifel gesät, begründete Zweifel, aber er hat noch nicht bewirkt, dass es eine Verschlechterung der deutsch-amerikanischen Beziehungen gibt. So schnell dürfen wir auch nicht zulassen, dass wir davon reden. Das ist schlicht noch nicht der Fall. Unsere Beziehungen sind sehr eng, sehr vielfältig auf breitester gesellschaftlicher Ebene angelegt. Sie sind sehr, sehr stabil.
Deutschlandradio Kultur: Die Bundeskanzlerin hat die Beziehungen zu den USA quasi mit Bedingungen versehen in ihrem Glückwunschtelegramm an Donald Trump, das im Ton recht kühl war. Sie hat gesagt, sinngemäß: Ja, wir können weiter zusammenarbeiten, wenn die USA die Menschenrechte akzeptieren, auf die gemeinsamen Werte vertrauen, auf Demokratie, auf Freiheit, auf Rechte und Würde für alle. – Das ist neu, dass Deutschland den USA Bedingungen für Zusammenarbeit stellt.
Norbert Röttgen: Ich habe auch die Worte der Bundeskanzlerin so nicht verstanden. Sie hat, glaube ich, auf sehr, sehr kluge Weise eigentlich mit einer kurzen Ansprache zwei Adressaten gleichzeitig angesprochen und ansprechen müssen. Sie hat zum einen sich gewendet an Donald Trump, hat ihm gratuliert, hat ausgedrückt, wir respektieren selbstverständlich die demokratischen Entscheidungen in Amerika. Und wir wollen, sind darauf angewiesen, wir freuen uns auf Kooperation und brauchen die im wechselseitigen Interesse. – Das war der eine Adressat.

Deutsche Bevölkerung berechtigterweise verunsichert

Und der andere Adressat war die deutsche Bevölkerung, die natürlich zugehört hat, wenn Donald Trump zu seinen Wählern gesprochen hat. Und die sind berechtigterweise verunsichert, wenn mal eben so die Nato infrage gestellt wird, wenn mal ebenso ein freundlich-freundschaftliches Sonderverhältnis zum autoritären Herrscher Wladimir Putin angedeutet wird oder der Rückzug aus dem Nahen Osten, dessen Auswirkungen wir ja in Europa außerhalb der Region am stärksten zu spüren sind.
Und den Deutschen hat sie gesagt und vermittelt und versichert: Wir treten in diesem transatlantischen Verhältnis für die Werte ein, die diese Allianz ausmachten. Da könnt ihr ganz sicher sein, dass wir für diese Werte stehen. Da müsst ihr nicht verunsichert sein.
Deutschlandradio Kultur: Die Frage ist aber: Welches Interesse hat die USA unter Trump überhaupt noch an diesen gemeinsamen Werten, an dem gemeinsamen Bündnis? Sie haben es genannt: Zweifel an der Nato. Donald Trump sagt America first, wir machen dieses Land wieder groß. Außenpolitik interessiert da gar nicht so sehr. – Beginnt da eine neue Phase des Isolationismus, also des Rückzugs auf die USA selbst?
Norbert Röttgen: Was man sagen kann, ist, dass das Verhalten von Trump im Wahlkampf diese Fragen ermöglicht und auch als berechtigt erscheinen lässt. Wie er nun am Ende sich verhalten wird, wissen wir nicht. Aber die Möglichkeit von Isolationismus, wir kümmern uns nur um uns, sollen die anderen für ihre Sicherheit sorgen, das ist eine denkbare Variante. Diese Offenheit, die Tatsache, dass man keine Sicherheit hat im Moment, in welche Richtung sich amerikanische Außenpolitik bewegen wird, doch mehr oder weniger in den traditionellen Bahnen oder den Fall, den es in der Geschichte der amerikanischen Außenpolitik auch schon gegeben hat, eben eine isolationistische Phase, wir kümmern uns nicht mehr um die Welt. – Das würde die Welt unsicherer machen.

Eine bedrohliche Entwicklung für Europa

Deutschlandradio Kultur: Jetzt sagen viele, wenn die USA das Interesse an der Welt verlieren, an Europa verlieren, gleichzeitig sehen wir Russland, das sich sehr breit macht, das stark signalisiert, wir sind wieder da auf der Weltbühne, was bedeutet das für Europa? Europa muss für sich selber sorgen? Europa muss selber stark sein?
Norbert Röttgen: Wenn Amerika sich von der Welt abwendet, dann ist das eine Schwächung und auch eine bedrohliche Entwicklung für Europa. Denn die Umgebung von Europa wird einerseits immer gefährlicher, immer chaotischer. Sie haben eben Russland erwähnt, das den Konsens, der im Kalten Krieg erreicht worden ist, der heißt, wir alle respektieren die Grenzen der anderen, nicht mehr akzeptiert. Denn die Grenze zur Ukraine wird verletzt. Die Krim ist annektiert worden. Russland führt aktiv einen brutalen Krieg in Syrien, der wiederum Flüchtlingswellen auslöst, die nach Europa kommen.
Und Europa ist auf der anderen Seite in dieser Situation von geopolitischem Chaos um uns herum in seiner inneren schwersten Krise seit den Römischen Verträgen. Das heißt, dieser Fall wäre für Europa ein wirklich existenzieller Fall, der und ganz schnell zu sehr weitreichenden Konsequenzen führen müsste. Wir können Amerika nicht ersetzen, aber wir müssten dann selber viel stärker, geschlossener und eigenständiger werden.
Deutschlandradio Kultur: Aber gerade das ist derzeit ja nicht zu sehen. Wir sehen, der deutsch-französische Motor stockt. Wir sehen, rechtspopulistische Bewegungen sind im Auftrieb. – Wer oder wo sehen Sie denn jemanden, der dieses Europa zusammenbringt, der dieses Europa anführt?
Norbert Röttgen: Das wäre dann gewissermaßen der Zwang von außen, der klar macht, wir können uns diesen kleinkarierten staatlichen Egoismus, den wir überall in jedem Land erleben, und den Nationalismus, der wieder aufkommt, nicht leisten. Weil, wenn wir so weitermachen, dann ist das eine echte Bedrohung für die Bürgerinnen und Bürger in Europa und in jedem Land. Je östlicher, je kleiner die Länder sind, desto stärker und früher werden sie es verspüren. Aber auch für uns würde das sofort klar sein. Wir brauchen dann europäische Stärke. Und die beruht allein in europäischer Geschlossenheit.
Das heißt, der Zwang von außen ist sowieso das, was – glaube ich – die Europäer wieder auf den Pfad der Vernunft zurückbringt. Wir selber sind nicht in der Lage es zu verstehen.
Deutschlandradio Kultur: Nun wäre eine Möglichkeit: Deutschland bringt Europa zusammen. Aber ausgerechnet Deutschland ist ja eher an den Rand gedrängt worden. In der Flüchtlingskrise haben sich viele gegen Deutschland gestellt, haben gesagt, ihr seid auf dem Irrweg. Das machen wir nicht mit. – Also, wo bleibt die Kraft?
Norbert Röttgen: Das, was sie beschreiben, ist ja der Status quo. Und in der Verfassung, in der wir im Moment sind, wenn wir darin blieben, wären wir nicht in der Lage, die notwendige Stärke zu erreichen, um auch uns der Gefahren, die um uns herum sind, zu erwehren.

"Wir brauchen einen radikalen Politikwechsel in Europa"

Darum zeigt das ja nur, dass schon jetzt, aber erst recht, wenn es zu einer isolationistischen Tendenz in Amerika kommen würde, wir einen radikalen Politikwechsel in Europa brauchen. Den brauchen wir.
Deutschlandradio Kultur: Herr Röttgen, Sie haben Russland erwähnt. Donald Trump hat überraschend versöhnliche, positive Signale nach Moskau gesandt, hat sich sehr positiv über Wladimir Putin geäußert. – Bahnt sich da nach jahrelanger Eiszeit eine Tauwetterperiode an?
Norbert Röttgen: Nicht vorhersagbar, welche Relevanz die Äußerungen im Wahlkampf, die in diese Richtung zeigen, dann tatsächlich haben. Ich glaube jedenfalls, dass im Kreml das Wahlergebnis mit großer Genugtuung zur Kenntnis genommen worden ist. Russland und die russische Politik in letzter Zeit versucht ja den Westen von Europa aus zu spalten, bislang wurde das versucht innerhalb Europas, aber auch den Keil zwischen USA und Europa zu treiben. Und vielleicht sieht man jetzt im Kreml die Möglichkeit von ganz anderer Seite, nämlich von Amerika aus den Westen zu spalten durch ein Sonderverhältnis, das man dort begründet. Das wäre eine große Gefahr für Europa. Es würde bedeuten, dass die Einheit des Westens, die unsere eigentliche Stärke ist, das Wichtigste, was wir haben, auf diese Weise einen Riss bekommen würde, gespalten würde. Das wäre fatal.
Deutschlandradio Kultur: Aber wäre es nicht auch eine Chance, dass die USA und Russland wieder ins Gespräch kommen. Wir sehen, in Syrien ist das ja ein Problem. Russland und die USA verfolgen ganz unterschiedliche Strategien, Interessen und sie kommen nicht zusammen an den Tisch. – Wäre also das nicht erst die Voraussetzung, dass beide wieder miteinander reden, dass auch in den internationalen Krisenherden Lösungen möglich werden?
Norbert Röttgen: Wenn der Preis eine Spaltung des Westens ist, dann ist dieser Preis zu hoch, weil, es würde bedeuten, dass der Westen nicht im Sinne unserer Werte, das sind Menschenrechte, Demokratie, Rechtsstaatlichkeit, auf diese Konfliktherde einwirken würde.
Wenn wir unsere Art zu leben, unsere Grundüberzeugungen von Freiheit, Toleranz und Solidarität behaupten wollen, dann werden wir es nur gemeinsam tun. Wenn wir glauben, wenn einzelne ausbüchsen und für sich sozusagen das Heil suchen, dann werden wir alle dabei verlieren. Darum wäre das kein Weg zu irgendeiner Verständigung, sondern es wäre der Einstieg in eine Entwicklung der Kapitulation.
Im Übrigen gibt es noch einen dritten großen Player, über den wir nicht gesprochen haben. Das ist natürlich China. Und auch das Verhältnis zu China wird ganz entscheidend sein, wenn der Isolationismus Amerikas sich auch auf das Verhältnis von China bezieht, zum Beispiel höhere Zölle, eine Art Handelskrieg bedeutet. Auch das würde Rückwirkungen für Europa haben.
Deutschlandradio Kultur: Genau das hat Donald Trump ja auch angekündigt, Strafzölle für chinesische Importe in die USA. Er hat sich überhaupt insgesamt sehr skeptisch gegenüber Freihandel geäußert, hat angekündigt, die USA werden auch da vor allem auf sich schauen. – Droht hier eine neue Phase von Handelskriegen etwa mit China?

Neue Handelskriege drohen

Norbert Röttgen: Wenn das so käme, dann ist das eine Attacke auf den freien Handel. Dann kann das bis hin zu Handelskrieg führen, der wiederum auch das außenpolitische Verhältnis beeinflussen würde. Das würde China, glaube ich, in der Reaktion zu einer noch härteren auch außenpolitischen Gangart – etwa im Südchinesischen Meer – bringen. Das würde insgesamt die Beziehungen zwischen den Staaten aggressiver, härter machen. Und darum ist es schon ökonomisch nachteilig, aber vor allen Dingen auch ein Aggressionspotenzial für die Beziehungen zwischen den Staaten.
Deutschlandradio Kultur: TTIP, das Freihandelsabkommen, das Europa und die USA mal geplant haben, über das sie verhandeln, ist nicht mehr wirklich in guter Verfassung. – Ist es mit Donald Trump ganz tot?
Norbert Röttgen: Das könnte sein. Insgesamt könnte die Handelspolitik, die amerikanische Position, freien Handel zu wollen als Teil einer liberalen internationalen Ordnung, möglicherweise zurückgedreht werden, weil hier Trump vielleicht zu der Überlegung kommen könnte, hier kann ich mich profilieren als ein Präsident, der amerikanische Jobs von der unfairen Konkurrenz von außen schützt.
Und das gilt sowohl im Verhältnis zu China als auch möglicherweise im Verhältnis zu Europa. Darum muss man bei der Handelspolitik, einer offenen liberalen Handelspolitik in besonderer Weise Sorge haben, dass sie unter Trump nicht weiter verfolgt wird.
Deutschlandradio Kultur: Herr Röttgen, der Wahlsieg von Donald Trump hat in Europa überwiegend Entsetzen ausgelöst. Einige haben gejubelt, rechtspopulistische Bewegungen, die wir überall sehen – die FPÖ in Österreich, der Front National in Frankreich, Geert Wilders in den Niederlanden, die AfD natürlich in Deutschland. – Wie sehr wird diesen Bewegungen der Erfolg von Donald Trump Rückenwind geben?
Norbert Röttgen: Diese Bewegungen, auch übrigens in Wahrheit die linkspopulistischen Bewegungen, die sich ja auch in Methoden und Inhalten sehr, sehr ähneln, fühlen sich ermuntert. Die haben ja beobachtet, dass das politische Geschäftsmodell Donald Trump Erfolg hatte. Er hat die Tabus verletzt. Er hat die Regeln verletzt. Er hat beleidigt. Er war aggressiv. Er hat Wut geäußert. – Und die vernünftige verantwortliche Mitte hat gesagt, so was kann niemals eine Mehrheit finden. Und er war genau mit dieser Methode, die eine Kampfansage an die Regeln ist, wie man sich in der Politik benimmt, gerade in diesem Ausdruck von Zerstörungswillen war sie erfolgreich.
Und meine Einschätzung ist, dass dies in Europa gewissermaßen verstanden wird, wie man erfolgreich ist in den Wahlen, indem man die Zerstörungsbereitschaft des etablierten politischen Systems sehr glaubwürdig macht.
Deutschlandradio Kultur: Aber gilt nicht für Europa, für Deutschland vielleicht auch, was für die USA gilt, nämlich dass die etablierten Parteien die Wut, den Zorn derjenigen, die nicht so erfolgreich sind, die abgehängt werden, die von der Globalisierung nicht profitieren, sondern verlieren, dass sie diesen Zorn nicht sehen, nicht in der Dimension, und deshalb überrascht sind von dem Erfolg der Rechtspopulisten?

Trumps Erfolg als "Warnschuss an uns"

Norbert Röttgen: Ich stimme Ihnen zu. Wenn wir nicht verstehen, dass das auch ein Warnschuss an uns ist, dann werden wir durch Nichtreaktion, durch die Fortsetzung von business us usual, als wäre nichts passiert, dazu beitragen, dass sich diese Wut noch vergrößert.
Deutschlandradio Kultur: Was müssen wir daraus lernen? Welche Konsequenz müssen wir daraus ziehen?
Norbert Röttgen: Es fängt damit an, dass wir unseren Bürgern sagen müssen, wir haben diese Warnung verstanden. Das ist bislang noch nicht ausgesprochen worden, dass das auch etwas mit uns zu tun hat und dass es auch hier in Europa ist. Das müssen wir sagen, nicht nur sagen, wir erklären euch Bürgern, die ihr vielleicht etwas begriffsstutzig seid, unsere tolle Politik. Sondern wir müssen sagen: Wir müssen bei uns in der Politik etwas ändern. Wir haben Grund uns zu ändern. Wir haben die Botschaft verstanden. Das ist das Erste.
Das Zweite ist, dass wir für die Mitte, für Vernunft, für Verantwortung einfach offensiver werden müssen. Wir lassen es zu, übrigens wie in Großbritannien zu sehen vor dem Brexit, dass die an den Rändern links und rechts die Agenda setzen, dass die wenigen viel lauter sind als die Mitte, die verantwortlich, vernünftig ist. Das heißt, wir müssen offensiver werden.
Und drittens müssen wir uns fragen: Wo gibt es denn eigentlich objektives Scheitern? Und das gibt es ganz, ganz viel in den letzten fünfzehn Jahren – von der internationalen Finanzmarktkrise, die wir erlebt haben, der Eurokrise, Interventionspolitik, die im Nahen Osten gescheitert ist, von den Amerikanern angeführt. Es gibt ein fünfzehnjähriges großes Scheitern. Und in Europa gibt es ein großes Scheitern, das ich darin sehe, dass wir in vielen Ländern, nicht nur Griechenland, sondern Portugal, Spanien, Italien, Frankreich seit Jahren eine Jugendarbeitslosigkeit zwischen zwanzig und fünfzig Prozent haben.
Und wenn halbe Generationen von jungen Menschen keinen Platz in dieser Gesellschaft finden, man ihnen mitteilt, ihr seid überflüssig, wir können euch nicht gebrauchen, dann können wir nicht erwarten, dass diese jungen Menschen jubeln, wenn wir ihnen von Demokratie, Marktwirtschaft und Europa berichten. Das heißt, wir müssen die Probleme, die die Menschen wirklich bedrängen, wirklich lösen und auch uns in Deutschland dafür für verantwortlich ansehen.
Deutschlandradio Kultur: Also, da gäbe es noch sehr viel zu tun. Herr Röttgen, bis hier hin vielen Dank für das Gespräch.
Norbert Röttgen: Ich danke Ihnen sehr, Herr Schröder.
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