Die Documenta auf neuen Wegen
Kassel als exklusiver Standort der Documenta – diese Idee hat für den künstlerischen Leiter Adam Szymczyk in Zeiten der Globalisierung ausgedient. Athen sieht er als Symbol der Finanzkrise und möchte einen Lernprozess zwischen beiden Städten anstoßen. Die erste Aufregung über diese Idee hat sich in Kassel inzwischen gelegt, längst arbeitet das Documenta-Team an einem konkreten Konzept.
"Das war natürlich eine große Überraschung das Konzept, als er das Konzept präsentiert hat. Und das hat dann bei dem einen oder anderen natürlich zu Verwunderung geführt."
Annette Kulenkampff erinnert sich. "Learning from Athens – Von Athen lernen". Als Adam Szymczyk vergangenen Herbst seine Pläne vorstellte, die 14. Documenta 2017 nicht nur in Kassel, sondern auch in Athen stattfinden zu lassen, erntete der damalige Direktor der Kunsthalle Basel heftige Reaktionen.
Kulenkampff, seit einem Jahr als erste Frau Geschäftsführerin der Documenta, saß vor zwei Jahren in der Jury, die Szymczyk auswählte. Bei dem Gedanken, gleich bei ihrer ersten Schau zwei Standorte organisieren zu müssen, beschlichen sie zwar gemischte Gefühle, aber: …
"… ich dachte von Anfang an; es ist ne sehr, sehr gute Idee, sehr sehr spannend und es würde auch der Documenta, nachdem sie ja in Kabul letztes Mal schon eine Ausstellungsstation hatte … dachte ich, das ist völlig stimmig."
Kassel als exklusiver Standort der Documenta – diese Idee hat für Szymczyk in Zeiten der Globalisierung ausgedient. Athen sieht er als Symbol der globalen Finanzkrise und der Krise Europas. Die Künstler sollen sich mit diesen Problemen beschäftigen. Er will einen Lernprozess zwischen den Metropolen in Nordhessen und der am Mittelmeer anstoßen. Ungewöhnlich dabei: Keine Documenta zuvor hat je so früh ihr Konzept bekannt gegeben. Welche Idee der jeweilige Kurator oder die Kuratorin hatte, konnte man erst sehen, wenn die Ausstellung ihre Tore öffnete. Kulenkampff hält Szymczyks Vorgehen für einen Vorteil:
"Weil man sich jetzt erst auch einmal damit auseinandersetzen kann. Es gibt sehr viele Initiativen, die auch gar nichts mit der Documenta zu tun haben, wie die Evangelische Akademie in Hofgeismar, die im Vorfeld jetzt zum Beispiel ein philosophisches Seminar machen will, oder natürlich das Theater hier … also man kann sich jetzt wirklich darauf vorbereiten, alle haben Zeit zweieinhalb Jahre, was machen wir zu diesem Thema. Und ich finde das ist ein Riesengeschenk, das ist ‘ne tolle Gelegenheit. Und vielleicht ist es dann auch so, dass 2017, was die Kultur angeht, in Deutschland ein griechisches Jahr wird."
Athener Oberbürgermeister: "Die Documenta ist Hoffnung"
Die erste Aufregung über Szymczyks Idee hat sich in Kassel inzwischen gelegt. Längst arbeitet das Documenta-Team an dem Konzept. In Athen hat es Gespräche geführt, Kooperationspartner ausfindig gemacht, mögliche Ausstellungsorte besichtigt, wie etwa die Athener Kunsthochschule. "Die Documenta ist Hoffnung" fand kürzlich selbst der Athener Oberbürgermeister Yiorgos Kaminis bei einem Besuch in Kassel. Was die Welt von Athen lernen kann, sollen freilich die Künstler zeigen, die Hauptpersonen jeder Documenta. Ende des Jahres soll die Teilnehmerliste stehen:
"Es ist schon das Thema: Was die Künstler, die jetzt gefunden werden, im Moment gibt’s die Zahl hundert … Dass die eben dann Besuche machen werden in Kassel und Athen. Und aus diesem Spannungsverhältnis, was immer sie da erleben, wird etwas entstehen."
Bei den Ausstellungen soll es nicht bleiben. Jede Documenta hat ein großes Rahmenprogramm. Doch der kulturelle Austausch zwischen den Standorten, stellt Kulenkampff klar, ist Szymczyk diesmal besonders wichtig:
"Da kann es jetzt sein, dass es einen Austausch von Schulklassen zwischen Kassel und Athen gibt, oder den Austausch zwischen den Kunsthochschulen. Die Universität ist sehr interessiert. Es kann auch sein, dass es eine Firma gibt, die einen Lehrling mal für ein bestimmtes Praktikum nimmt, Wir werden die nächsten zwei Jahre nutzen, konkretisieren."
Wer die Documenta-Macher dieser Tage in Kassel besucht, dem fällt auf, dass das Stichwort "Learning from Athens" nicht mehr ganz so häufig fällt. Schwer zu sagen, ob sie gemerkt haben, dass sie Gefahr laufen, mit dem Fokus Athen in ein politisches Wespennest zu greifen. Jedenfalls argumentiert Kulenkampff neuerdings mit dem wesentlich allgemeineren Begriff "Nord-Süd":
"Und die Documenta wird sich natürlich auch weit über Griechenland hinaus bewegen. Denn sie beschreibt ja auch dieses Thema Nord-Süd. Was sich ja nicht beschränkt auf Kassel und Athen, sondern das steht ja nur als Symbol für diese Auseinandersetzung zwischen dem Süden und dem Norden der Welt … auch das ist ja inzwischen ‘ne sehr sehr spannende Diskussion, die Effizienz des Norden gegen die Kunst zu leben des Südens. Und was ist da eigentlich das bessere Vorgehen. Aber auch in der Welt spielt ja Nord-Süd ‘ne große Rolle. Und ich denke mal, das wird die Documenta reflektieren, Ausgangspunkt: Diese relativ nahe Nord-Süd-Achse Kassel-Athen."
"Die Documenta ist eine Bürgerinitiative"
200 Biennalen gibt es inzwischen in der Welt. Einige verdanken ihre Entstehung Künstlerbewegungen, manche sind Produkte politisch motivierten Stadtmarketings. In Kassel wuchs die Documenta aus dem Engagement von Bürgern und Kunsthistorikern wie Arnold Bode. Kulenkampff will die Bürger der Stadt wieder stärker in die Vorbereitung einbeziehen und die Documenta so an die Ursprungsidee zurückbinden:
"Und letztendlich ist die Documenta eine Bürgerinitiative, das war ja ‘ne Bürgerinitiative von Arnold Bode, der hat ja gekämpft dafür mit seinen Mitstreitern und keiner wollte das eigentlich, es ist ‘ne Bürgerinitiative. Es ist aus der Bürgerschaft entstanden. Und das ist es auch geblieben."
Kunst hat derzeit keinen guten Ruf. Irrwitzige Rekordsummen auf Auktionen, Gerichtsverfahren wie das gegen den Kunstberater Achenbach, vielen Künstlern, aber auch der breiten Öffentlichkeit gilt Kunst inzwischen als Accessoire der Reichen und Mächtigen. Zwischen zu viel und zu teuer sieht Annette Kulenkampff die Kasseler Weltkunstschau als Garanten einer nicht korrumpierten Kunst:
"Sie ist absolut glaubwürdig … Aber sie macht sich nicht abhängig vom Markt … das ist auch das, wofür Arnold Bode immer sehr gestritten hat."
Zweieinhalb Jahre, nicht mehr allzu viel Zeit also, hat das Team um Adam Szymczyk. Im April 2017 öffnet der erste Teil der Schau in Athen. Geht sein Plan auf, könnte eine verunsicherte Kunstwelt über seine 14. Documenta womöglich einmal sagen: "Learning from Szymczyk".