Nordirland-Konflikt

Die zweifelhafte Rolle des Geheimdienstes

Britische Soldaten umzingeln während eine Gruppe von Demonstranten
Etwas besser aufgearbeitet: Die Übergriffe der staatlichen Organe beim blutigen Sontnag in Derry im Jahr 1972. © dpa / picture alliance / UPI
Von Martin Alioth |
Im Nordirland-Konflikt waren das britische Militär und die nordirische Polizei keine neutralen Schiedsrichter zwischen katholischen und protestantischen Milizen. Bis heute hat der britische Staat die vergangene Willkür kaum aufgearbeitet.
Während des gesamten Nordirlandkonflikts gab es keine Kontrollen an der 500 Kilometer langen Grenze zwischen der Republik Irland und dem britischen Nordirland – obwohl die Irisch-Republikanische Armee das Grenzgebiet der Republik schamlos als logistisches Hinterland missbrauchte. Aber ein paar hundert Meter innerhalb des nordirischen Territoriums hatte sich die britische Armee mit Bunkern, Schikanen und Beobachtungstürmen verschanzt, um den Verkehr zu kontrollieren.
In ganz Nordirland waren die Polizeiposten zu regelrechten Festungen ausgebaut worden, mit sieben Meter hohen Verschanzungen. Nur schmale Schlitze im Beton erlaubten den Beamten die Beobachtung der bedrohlichen Außenwelt.
Im Grenzgebiet, so berichteten Spötter, müsse jeder Teebeutel zweimal per Helikopter transportiert werden: einmal vor dem Gebrauch, einmal nachher.
Diese sichtbare Militarisierung des Staates und seiner Organe hatte gute Gründe: die IRA bedrohte die Beamten und die Soldaten rund um die Uhr; mit Scharfschützen, Mörsergranaten, Bomben. Doch der Anblick von Armeepatrouillen, die mit geschwärzten Gesichtern und angeschlagener Waffe durch nordirische Provinzstädte rannten wie wenn es sich um ein vietnamesisches Dorf handelte, strafte die Behauptungen der britischen Regierung Lügen, es handle sich bloß um "Troubles", um ärgerliche Nadelstiche von irregeleiteten Desperados.

Die Killerkommandos infiltriert

Die Kompromittierung der britischen Sicherheitskräfte hatte schon früh begonnen. Sie verloren ihre anfängliche Unschuld, als 1971 Hunderte von angeblichen Mitgliedern der IRA ohne Prozess interniert wurden. Es handelte sich großteils um die falschen Verdächtigen, die protestantischen Milizen blieben sinnigerweise verschont.
Wir wissen heute mit Bestimmtheit, dass das britische Militär und die bewaffnete nordirische Polizei nicht einfach neutrale Schiedsrichter zwischen katholischen und protestantischen Milizen waren. Nein, die Ordnungskräfte – namentlich der polizeiliche Geheimdienst – waren Teilnehmer, waren kombattant.
Sie hatten die Killerkommandos infiltriert, ihre Spitzel beeinflussten nicht selten die Auswahl der nächsten Mordopfer. Nach vollbrachter Tat schlampte die Polizei, besonders bei protestantischen Tätern, um ihre Spitzel zu schützen.
Die Justiz wurde ebenfalls in diesen kriegerischen Strudel hineingezogen. Geschworenenprozesse wurden abgeschafft, um der Einschüchterung vorzubeugen, Einzelrichter stützten sich auf schwer belastete Kronzeugen, deren Behauptungen sich letztendlich immer als fadenscheinig und korrupt erwiesen.

Willkür der eigenen Agenten nicht aufgearbeitet

Jeder einzelne Schritt dieses langwierigen Prozesses konnte als vernünftig und verhältnismäßig gerechtfertigt werden, doch gesamthaft mündete der Verzicht auf rechtsstaatliche Normen in der Kompromittierung des britischen Staates. Sein Gewaltmonopol und sein Anspruch auf moralische Überlegenheit wurden schrittweise ausgehöhlt; entsprechend konnte die klammheimliche Unterstützung des Terrors durch eine Minderheit der Bevölkerung nie nachhaltig ausgetrocknet werden.
Im Zuge des Friedensprozesses wurde die nordirische Polizei von Grund auf reformiert. Aus der parteilichen Royal Ulster Constabulary wurde der Police Service of Northern Ireland, dessen innere Kontrollmechanismen vorbildlich geworden sind.
Die Bewältigung der trüben Vergangenheit indessen harzt. Unverzeihliche Übergriffe der staatlichen Organe wie der Bloody Sunday in Derry 1972 wurden zwar aufgearbeitet und mit einer glaubwürdigen Entschuldigung der britischen Regierung abgeschlossen. Doch bis heute zögert der britische Staat, die vergangene Willkür seiner Agenten aufzuklären.
Dass dies aufseiten der IRA und der protestantischen Killerkommandos natürlich auch nicht geschehen ist, versteht sich von selbst, aber der Staat sollte stets anspruchsvolleren Maßstäben genügen als selbst ernannte Guerilleros.
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