Nordkaukasus

Eine Region kämpft gegen den Terror

Verkehrskontrolle im Elbrus-Skigebiet im Kaukasus
Verkehrskontrolle im Elbrus-Skigebiet © Thomas Franke
Von Thomas Franke |
Der Nordkaukasus ist eine von Terror gebeutelte Gegend. Der Verfall, der hier mit dem Ende der Sowjetunion einsetzte, wurde bisher nicht gestoppt. In der Kleinstadt Tyrnyaus lebten einst 30.000 Menschen. Heute sieht das ganz anders aus.
Die Fassaden sind grau. Stahlträger rosten durch den Beton. Rundherum Berge, grau-braune Felsmassive. Ein Schützenpanzer mit Sicherheitskräften fährt durch.
"Die tragen immer Schutzwesten."
Die Sicherheitskräfte sind das Hauptziel von Anschlägen. Im vom Terror gebeutelten Kabardino-Balkarien sind selbst Posten der Verkehrspolizei mit Sandsäcken und Betonteilen geschützt.
Es schneit ein wenig. Die Wege sind glatt, grauer Schnee, Eis.
"Die Soldaten, die hierher kommen, bekommen Geld. Statt die armen Leute hier zu unterstützen, gibt der Staat das Geld für sie aus."
Tyrnyaus, ein Ort, dem der Sinn abhanden gekommen ist.
"Jetzt gibt es hier nur noch die Schule, die Poliklinik, den Kindergarten und Läden. Mehr nicht. Fakt ist jedenfalls, dass es hier sehr schwer ist."
Tyrnyaus ist ein Durchgangsort für Skitouristen. Früher kamen mehr von ihnen.
"Ich habe 19 Jahre oben im Skigebiet gearbeitet. Jetzt komme ich irgendwie durch. Man muss die Kinder durchbringen. Überhaupt ist es sehr schwierig. Ich weiß nicht, was weiter wird."
Gewaltspirale aus Antiterror und Terror
So geht es auch den Verantwortlichen in der Republik Kabardino-Balkarien und in Moskau. Es gibt eine Gewaltspirale aus Antiterroroperationen und Terror. Niemand weiß mehr, was zuerst war. Die Mehrheit der Bevölkerung in Kabardino-Balkarien sind Moslems. Und die Unruhegebiete Tschetschenien und Dagestan sind nicht weit weg.
2005 stürmten rund 200 islamistische Terroristen die Polizeistationen in der Gebietshauptstadt Naltschik, die Kaserne und den Sitz des Geheimdienstes. 145 Menschen starben. 2011 gab es Anschläge, so wurde unter anderem eine Seilbahn im Skigebiet am Ende der Landstraße, die durch Tyrnyaus führt, in die Luft gesprengt. Drei Menschen starben. Die russische Regierung und die Sicherheitskräfte reagierten. Sie sperrten das langgestreckte Tal für neun Monate. Systematisch durchkämmten sie Häuser und Wohnungen. Neun Monate lang konnte man nur unter großen Schwierigkeiten nach Tyrnyaus kommen.
Die Frauen vor dem Supermarkt ziehen die Schals hoch. Es hat angefangen zu regnen. Terroristen? Die Frauen vor dem Supermarkt zucken mit den Achseln.
"Mit denen haben wir keinen Kontakt. Vereinzelt gibt es welche. Aber man kann doch wegen eines Menschen nicht der ganzen Stadt das Leben verderben. Bei uns beten alle. Und glauben. Genau, wie bei Ihnen. Aber man kann ja nicht alle über einen Kamm scheren."
Eine Frau in langem Mantel mit Kopftuch kommt aus dem Laden. Ihre schmalen Lippen sind rot geschminkt.
"Guten Tag. Ist das unsere Presse? Deutsche Presse, ach so, mit denen rede ich nicht. Man beschmutzt sein eigenes Land nicht. Fremden Leuten erzähle ich nicht von unseren Problemen."
Zweite Frau: "Ach, die wissen sowieso mehr als wir."
Gegen die allgemeine Agonie in Kabardino-Balkarien setzen einige Eigeninitiative.
Biker kommen für die Teigtaschen nach Tyrnyaus
"Die Preise bei uns sind nicht so wie oben am Berg. Sie können also ruhig ein gutes Essen bestellen. Diese Brisoli habe ich gerade eben zubereitet. Übrigens, als die Biker hier waren, haben sie gesagt, es lohnt, hier her zu fahren, nur um das zu essen. Das ist aus Fleisch, eine Rolle, und drinnen Tomaten, Mayonnaise, Nüsse und Kräuter. Ich habe es gerade gemacht, Sie können das kalt oder warm essen. Ich habe auch Soljanka. Als Vorsuppe. Das sind Stücke Rindfleisch drin, Salzgurken, Kartoffeln, Möhren. Also dicke Suppe. Wollen Sie Püree? Oder einen kleinen Salat dazu?"
Ein Tresen, im hinteren Zimmer vier Tische mit Stühlen. Sie sei Juristin, erzählt Julia, hat aber nie als Juristin gearbeitet. Erst kam die Perestroika und sie hat zwei Kinder großgezogen, dann brach die Sowjetunion zusammen. Ihr Mann ist Bauarbeiter. Sie konnte nicht mehr länger rumsitzen und klagen, sagt sie. Das Bistro ist eigentlich eine Erdgeschosswohnung.
"Machen Sie bitte die Tür zu. Das ist der Direktor unserer Schule."
Gerüchte verstummen nicht, dass Jugendlichen Waffen untergeschoben werden, um sie zu verhaften und so Erfolge im Kampf gegen Terroristen vorweisen zu können. Auch, dass sie bereits als jugendliche Moslems dem Generalverdacht des Terrorismus ausgesetzt werden, treibt sie in die Wälder und die Berge. Unbegründet ist das nicht. Auch, wenn die Gewalt zurück geht. Laut der Internetplattform Kavkazkij Uzel starben 2011 noch 129 Menschen an den Folgen von Terror, im letzten Jahr waren es nur noch 49.
Der Lehrer bestellt Salat Olivier, ein klassisches russisches Festtagsessen aus Kartoffeln, Eiern, Wurst, Gurken und Erbsen aus der Dose kombiniert mit Mayonnaise.
"Was haben die jungen Leute schon für Perspektiven. Die einzige ist, von hier weg zu fahren, um Arbeit zu finden. Hier gibt es überhaupt keine Perspektiven."
"Es gibt bestimmte Gruppen, die sagen, sie töten wegen Gott, wegen Allah, aber in Wirklichkeit ist das eine Bande. Einem echten Christen oder einem echten Moslem wird nirgendwo vorgeschrieben, dass er kämpfen soll. Das stimmt nicht. Aber die nehmen Religion als Vorwand. Leider."
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