Nordkorea von innen

Einblicke in den Alltag der Diktatur

33:11 Minuten
Ein Fahrradfahrer fährt über eine Brücke über den Taedong-Fluss in Pjöngjang. Im Hintergrund sind Hochhäuser zu sehen.
Nordkorea besteht nicht nur aus Paraden und Aufmärschen, es gibt dort auch normalen Alltag. Den bekommt man von außen jedoch kaum zu sehen. © picture alliance/dpa/TASS
Moderation: Ellen Häring, Andre Zantow · 23.12.2021
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Diktatur, Führerkult, Atomprogramm - stimmt eigentlich das Bild von Nordkorea, das wir haben? Diese Frage stellt unser Hörer Wolfgang Mey und wünscht sich zu Weihnachten eine Antwort darauf. Wir sprechen mit Menschen, die Nordkorea von innen kennen.
Lee JeongCheol war 14 Jahre alt, als er seine Heimatstadt in Nordkorea an der Grenze zu China verlassen hat.
„Ich bin 2006 gegangen. Im Winter. Deswegen konnte ich den Yalu-Fluss nach China überqueren. Ich lief über das Eis. Im Sommer oder Frühling muss man schwimmen.“

Propaganda in der Schule

Heute lebt er in Südkorea und arbeitet bei einem Radiosender. Seine Mission: Er will aufklären und die Menschen in Nordkorea aufrütteln. Sie wissen nichts über die Welt, ist sich Lee JeongCheol sicher. Alles, was sie erfahren, ist Propaganda.
„In der Schule wird Geschichte unterrichtet. Und darin geht es vor allem um die Kim-Familie: wie sie Nordkorea aufgebaut haben und das Land erfolgreich führen. Jetzt kann ich sagen, das waren alles Lügen. Aber in Nordkorea – als ich jung war – habe ich das geglaubt: Nordkorea ist das Paradies auf Erden. Was natürlich nicht wahr ist.“
Ein nordkoreanisches Propagandabild zeigt einen salutierenden jungen Soldaten in Uniform, daneben eine junge Frau im Matrosenanzug.
Als Kind glaubte Lee Jeong Cheol der Propaganda, dass Nordkorea das Paradies auf Erden sei.© imago images/UIG
Lee JeongCheol gehört zu den Nordkoreanern, die in Südkorea politisch arbeiten. Zu diesen Dissidenten hat auch Kathrin Erdmann, ARD-Korrespondentin in Tokio und auch zuständig für Süd- und Nordkorea, regen Kontakt. Aber es sind nicht die einzigen Informationsquellen, die sie nutzt. Neben den Sozialen Medien, diversen Online-Publikationen und privaten Kontakten reist sie auch in ihrem Berichtsgebiet. Zweimal war sie bereits in Nordkorea für jeweils eine Woche. Auch wenn es sich selbstverständlich um „Betreutes Reisen“ handelt, bekam sie Eindrücke, die authentisch sind.

Informationen richtig einordnen

„In den Bergen habe ich Familien gesehen, die ein Picknick gemacht und gesungen und getanzt haben. Mit ein paar Jungen habe ich mich über Fußball unterhalten – das ist Normalität und die gibt es auch. Negatives wie die Versorgungslage versucht das Regime gegenüber Journalisten natürlich zu vertuschen.“
Steve Gong hat einen ungewöhnlichen Weg gewählt, um Nordkorea kennenzulernen. Er ist in China geboren, wuchs in Italien auf, lebt heute aber in den USA. Er ist 2010 von China aus mit einer chinesischen Reisegruppe nach Nordkorea gefahren – auf dem Landweg. Er hat heimlich einen Film gedreht, in dem sich Szenen des offiziellen Programms mit seinen Erfahrungen in einem Friseursalon mischen. Sein Film ist nicht politisch, sondern zeigt das Leben und den Alltag in Nordkorea.

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"Ein bisschen wie DDR 2.0"

Mindestens so ungewöhnlich waren auch die mehrfachen Nordkorea-Reisen von Bernd Seiler. Er organisiert für "FarRail Tours" Reisen für Enthusiasten, die sich für Dampflokomotiven interessieren und diese weltweit fotografieren. „Ist so ein bisschen wie DDR 2.0“, erklärt er: Man habe ständig jemand an der Seite, jeder Schritt müsse genehmigt und geplant werden, spontan gehe gar nichts.
Analytisch und kenntnisreich erklärt Eun-Jeung Lee ihre Sicht auf Nordkorea. Sie leitet an der Freien Universität Berlin das Institut für Korea-Studien und organisiert Studienreisen – eine nordkoreanische Studentengruppe war erst 2019 zu Besuch.
„Das Bild Nordkoreas ist geprägt durch die Berichterstattung in den Medien. Da geht es um das Atomprogramm, Hungersnöte und einen despotischen Führer. Aber das ist nur die halbe Wahrheit.“

Eine Diktatur unter vielen

Tatsächlich hat sich die Versorgungslage seit den 90er-Jahren deutlich verbessert, der Wohnungsbau ist vorangekommen und die nordkoreanische Bevölkerung ist keineswegs so uninformiert wie oft behauptet. Es gibt aufgrund der Isolation und der Sanktionen von außen einen Zusammenhalt in der Gesellschaft, der nicht nur vorgetäuscht oder erzwungen ist.
„Die Menschen leben in einer Diktatur und mit einem autokratischen Führer. Aber sie erleben das nicht tagtäglich als bedrückend und einengend. Ich bin auch in einer Diktatur aufgewachsen.“
Südkorea wurde erst Ende der Achtzigerjahre demokratisch und stand lange wirtschaftlich im Schatten Nordkoreas. „Das sollte man nicht vergessen“, mahnt Prof. Dr. Eun-Jeung Lee.
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