Hören Sie hier auch einen Bericht von Axel Dorloff, der die unweit der Grenze gelegene chinesische Stadt Dandong besucht hat. Hier betreibt man Handel mit den nordkoreanischen Nachbarn:
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Aus Familien werden Fremde
Wie Deutschland wurde auch Korea nach dem Zweiten Weltkrieg aufgeteilt. Fast 70 Jahre stehen die Sperranlagen nun schon und trennen Verwandte und einstige Freunde. Der Süden hofft auf Frieden durch Verhandlungen, eine Gefahr sei US-Präsident Trump.
Insadong heißt die Fußgängerzone im Herzen von Seoul, in der es jeden Tag wimmelt von Menschen, Koreanern und anderen. Hier werden auch Souvenirs verkauft, gerne auch T-Shirts mit kessen Sprüchen, möglichst aktuell. Der Aufdruck "Park muss weg" ist passé. Er bezog sich auf Park Geun-hye, die ehemalige Staatspräsidentin, die unter dem Druck der Straße im März vom Regierungspalast ins Gefängnis umziehen musste – wegen Korruption.
Die jüngste T-Shirt Parole lautet: "Kein Trump, kein Krieg" - "No Trump, no war!"
Während des Staatsbesuchs des amerikanischen Präsidenten vor einer Woche lief auf Großleinwänden in der südkoreanischen Hauptstadt immer wieder der Ausschnitt aus jener Rede, die Trump am 19. September vor der Vollversammlung der Vereinten Nationen gehalten hatte. Er habe keine Wahl, als Nordkorea vollständig zu zerstören.
Die Demonstranten fürchten Trump mehr als seinen Widersacher Kim Jong-un, den Machthaber im Norden. Einer ihrer Sprecher sagt:
"Diese Kerzenlicht-Mahnwache richtet sich gegen Trump, gegen seine Kriegsdrohung, den Zwang, seine Waffen zu kaufen und den wirtschaftlichen Druck aus Amerika."
Nicht so laut und nicht so entschieden äußern sich Passanten in der Insadong-Straße. Eine Frau um die 40 sagt:
"Amerika und China machen immer nur Druck. Sie wollen ihre eigenen Positionen durchsetzen. Das ist schon beunruhigend. Aber ich glaube, unsere Regierung wird eine friedliche Lösung finden. Es gibt ja keine Alternative."
Kein Grund zur Panik
Ein junges Paar fasst die aktuelle Stimmung zusammen: Ja, erhöhte Spannung; aber nein, kein Grund zur Panik.
"Ich bin schon ein bisschen nervös. Seoul ist ja nur 50 Kilometer von der Grenze entfernt. Jede Rakete kann uns erreichen!"
"Ich denke aber, dass es nicht zum Krieg kommt. Ganz einfach, weil niemand etwas davon hätte."
Ein älterer Herr zuckt mit den Achseln:
"Es war immer ein bisschen gefährlich hier, aber ich denke, sie werden zu einem Einvernehmen kommen. Wenn nicht, also wenn es wirklich Krieg gibt, dann ist sowieso alles vorbei."
Staatsziel bleibt die Wiedervereinigung
Die relative Gelassenheit angesichts der unmittelbaren Bedrohung durch Nordkorea erklärt Sven Schwersensky, Direktor der Friedrich-Ebert-Stiftung in Seoul, mit eigenen Erfahrungen:
"Ich selbst bin gebürtiger Berliner und habe die Mauer nie als Bedrohung erlebt. Oder den Osten nie als Bedrohung erlebt. Das war in vielen Teilen Westdeutschlands anders. Insofern würde ich, wenn ich da eine Parallele ziehe, sagen: Desto näher man dran ist, entweder verdrängt man das stärker, oder man ist einfach stärker dran gewöhnt."
An 117 Orten in 36 Ländern der Welt stehen Reste der Berliner Mauer. Doch nirgendwo – vom Originalschauplatz abgesehen – sind sie so sinnfällig wie am "Berliner Platz" in Seoul: Als Symbol der Wiedervereinigung, die beide Koreas zum Staatsziel erklärt haben. Der Politologe Hong Min arbeitet am regierungseigenen Koreanischen Institut für Nationale Vereinigung.
Mauerstück am Berliner Platz
"In der Schule lernen alle Kinder, dass Südkorea die Wiedervereinigung anstrebt. Das ist ein Dogma. Aber in Wahrheit will das niemand, jedenfalls nicht zum jetzigen Zeitpunkt. Gerade junge Leute, die keine Arbeit haben, wollen nicht auch noch Konkurrenz aus dem Norden. Man muss also unterscheiden zwischen dem, was sie sagen, und dem, was sie meinen."
Die Antworten auf der Straße sind entsprechend indifferent:
"Ob es nach so langer Zeit noch eine Wiedervereinigung geben kann, weiß ich nicht."
"Sie muss kommen, aber das kann noch dauern."
"Ich weiß es nicht. Aber ich wünsche es mir. Denn wir sind doch ein Volk!"
Fahrt nach Norden zur "Entmilitarisierten Zone"
Auf der knapp einstündigen Autofahrt von Seoul gen Norden tauchen linkerhand schon bald hohe Zäune auf, bemannte Wachtürme direkt am Flussufer, die verhindern sollen, dass Nordkoreaner unbeobachtet über die Grenze kommen. Es könnten ja Spione sein. Jenseits der Zäune liegt der verminte Todesstreifen. Die DMZ, Abkürzung für "Entmilitarisierte Zone", ist 248 Kilometer lang – von Küste zu Küste – und vier Kilometer breit.
Die Straße mündet auf einen großen Parkplatz. Dort gibt es alle möglichen Einrichtungen für die angeblich rund 500.000 Touristen im Jahr: Restaurants und Kinderkarussells, Souvenirläden, Gedenksteine, Aussichtsterrassen, eine von Einschüssen durchlöcherte Lokomotive aus dem Koreakrieg, zerstörte Brücken und einen Knopf, auf den jeder drücken darf.
Dann läuft ein alter Schlager, der die Wiedervereinigung beschwört, er soll 1983 in einer Fernsehshow gespielt worden sein: an 138 Tagen, insgesamt 453 Stunden und 45 Minuten, wie ein Schild am Lautsprecher erklärt, was ihm eine Eintragung ins Guinness-Buch der Rekorde bescherte.
Hier müssen Besucher in Busse umsteigen. Ab jetzt sind sie in Händen südkoreanischer und US-amerikanischer Soldaten – stets umzingelt vom Wort Wiedervereinigung, Tongil. Ob Brücke oder Fluss, ob Tempel oder Park, alles trägt diesen Namen. Sogar das Dorf, das wir mit einer Ausnahmegenehmigung besuchen dürfen.
Das "Wiedervereinigungs"-Dorf
Friedlicher könnte die Stimmung nicht sein. Zehn Kindergartenkinder spielen selbstvergessen auf dem Pausenhof. Als sie uns entdecken, begrüßen sie uns fröhlich und lautstark:
44 Kinder, Schüler unterschiedlicher Stufen, brüten in den Klassenzimmern. Eine kleine Schule also, aber auch eine ganz ungewöhnliche, sagt die Direktorin Kim Hee-Su:
"Wir liegen ja unmittelbar an der Grenze, das ist schon etwas Besonderes. Das wissen die Kinder auch. Aber wir wollen, dass sie trotzdem glücklich sind. Ich denke, sie nehmen die Bedrohung durch den Norden auch gar nicht so wahr wie die Erwachsenen."
Draußen auf der Dorfstraße schiebt eine Bäuerin ihren Handkarren vor sich her. Wie das Dorf früher hieß, wollen wir wissen, bevor man es Tongil-chon getauft hat, "Wiedervereinigungsdorf". Pak Puk Nyong hat es vergessen:
Grenztruppen-Garnison
"Ich bin ja ungefähr 72. Bei der Teilung war ich also acht. Den alten Namen weiß ich nicht mehr. Ich weiß nur noch, dass wir damals zwölf Leute waren in unserer Familie. Die meisten sind gestorben oder weggezogen. Aber mein Mann und ich bauen hier immer noch Reis an. Und Sojabohnen."
Spürt sie etwas von einer größeren Spannung, seit Kim Jong-ils Raketenoffensive?
"Ach was, alles wie immer."
Der Duft von fermentierten Sojabohnen wabert durch das Dorf mit seinen rund 450 Bewohnern. Der Ort ist größer geworden, seit der Diktator Park Chong-hee 1973 hier eine Garnison von Grenztruppen samt ihren Familien stationiert hat.
Einer der Soldaten ist Herr Ban, ein junger Mann mit gelangweiltem Gesicht. Er ist zu unserer Begleitung abgestellt. Oder zur Bewachung, je nachdem. Sagen darf er nichts, sagt er. Aber der Norden habe auch befestigte Dörfer im Grenzstreifen. Herr Ban bringt uns aus dem beschaulichen Grenzdorf an die Front. An die Propaganda-Front wenigstens.
Die Korea-Front für Touristen
Zur Touristen-Tour gehört der Besuch eines Kinos, in dem die Besucher mit martialischem Lärm empfangen werden.
Der Film versucht, in acht Minuten den Korea-Krieg vom Beginn 1950 bis heute nachzuzeichnen. Nicht immer ganz neutral.
"Nordkoreas Provokationen werden immer aggressiver. Die Angriffe auf die Korvette "Choenan" und auf die Insel Yeonpyeong im Jahre 2010 sind mehr als eine Provokation gewesen. Es war eine Kriegserklärung."
Bustouren betonen die Gefahr
Einige Fakten sind umstritten, und der Tonfall des Films passt nicht in eine Zeit, in der der südkoreanische Präsident Moon Jae-in angetreten ist, um den abgerissenen Gesprächsfaden mit Nordkorea neu zu knüpfen. Aber die gut gebuchten Bustouren sind nicht auf Versöhnung getrimmt, sondern auf Warnung vor der weiter bestehenden Gefahr:
"Bis 1990 wurden immer wieder Versuche Pjöngjangs vereitelt, durch Tunnel hinter die südlichen Linien vorzustoßen. Seoul ist nur 50 Kilometer von der Grenze entfernt."
Ganze Schulklassen werden heute in den Tunnel Nummer drei geführt, damit sie das Gruseln packt. Doch die Kinder halten das offenbar eher für einen Abenteuerspielplatz. Drei halbwüchsige Freundinnen erklären quietschvergnügt:
"Eigentlich ist es ganz schön hier. Ich meine, für einen Schulausflug. Wir sind ja nicht freiwillig hier. Aber ein Schulausflug macht ja immer Spaß!"
"Die USA sind das Hauptproblem" für Frieden
So heiter erleben nicht alle Besucher das Grenzgebiet. Ein Mann Mitte 40 sieht in Nordkorea eine reale Gefahr:
"Es wird jetzt viel über Krieg geredet. Da dachte ich mir, wer weiß, wann ich hier noch mal herkommen kann. Als Christ will ich natürlich keinen Krieg. Aber vielleicht wird er unvermeidlich sein. Das liegt in Gottes Hand."
Ein älteres Ehepaar erklärt:
"Das ist ja ein geschichtsträchtiger Ort. Früher hatte ich noch Verwandte im Norden, aber die sind alle tot. Und ob ich noch die Wiedervereinigung erlebe? Ich weiß es nicht. Die ganzen Raketentests, der Druck aus den USA, das alles macht mir Sorge."
"Es könnte tatsächlich zum Krieg kommen. Trump sollte sich um Frieden bemühen. Nichts anderes wollen wir."
Dieser Wunsch gilt für die allermeisten Südkoreaner, sagt Ahn-Kim Jeong-Ae von der Frauengruppe "Women Making Peace".
"Die USA sind das Hauptproblem. Die Sanktionen gegen Nordkorea wirken ja. Kim Jong-un ist einem enormen Druck ausgesetzt. Und er entscheidet ja nicht allein. Er hat großes Interesse an Gesprächen, aber die Amerikaner wollen das nicht."
"Präsident Moon müsste nach Pjöngjang fahren"
Die "Women Making Peace" veranstalten regelmäßig Friedensmärsche am Grenzzaun. Sie gehören zu den zahllosen Bürgergruppen, die im vergangenen Winter gegen die damalige Präsidentin Park demonstriert und den linksliberalen Moon Jae-in unterstützt haben. Heute sind sie von ihrem neuen Präsidenten enttäuscht.
"Im Wahlkampf hatte er versprochen, zuerst nach Pjöngjang zu fahren und dann in die USA. Nun war er doch bereits in Washington. Dabei wollte er doch direkt mit Kim verhandeln, von Koreaner zu Koreaner, und ohne die USA."
Der Politologe Dr. Hong Min vom Institut für Nationale Vereinigung bestätigt den Eindruck.
"Moons Wahl hat hohe Erwartungen geweckt. Seit zehn Jahren war der Gesprächsfaden zum Norden Stück für Stück gekappt worden, die Kanäle zugeschüttet, bis es gar keine Kommunikation mehr gab. Das sollte sich jetzt ändern, gerade weil ja auch China inzwischen mit beiden Koreas Probleme hat. Trotzdem hat Moon noch nichts bewirkt. Er muss dringend Flagge zeigen, eine 'Road-Map' zum Frieden vorlegen, damit er seinen Einfluss nicht verliert."
Bei seinem Besuch vergangene Woche hatte US-Präsident Trump überraschend Verhandlungen mit dem Norden ins Spiel gebracht. Das wäre eine Chance für Moon, die Entspannungspolitik, für die er gewählt worden ist, gegenüber dem zunehmend aggressiven Ton aus Washington anzumahnen.
"China hat ja schon lange den Vorschlag gemacht, gemeinsam abzurüsten. Also, dass die USA und Südkorea ihre andauernden Manöver herunterfahren und dafür Nordkorea ein Moratorium bei der Atom- und Raketenpolitik einhält. Viele Politiker bei uns unterstützen diesen Vorschlag."
Auch Sven Schwersensky von der Friedrich-Ebert-Stiftung in Seoul hält dies für den einzig gangbaren Weg:
"Dazu braucht es auch ein Gespräch zwischen den USA und Nordkorea, denn es geht ja nicht, dass es nur die geeigneten Bedingungen für die Amerikaner und die Südkoreaner sind, und dafür bedarf es auch eines Gesprächs zwischen Washington und Peking, um diese Bedingungen zu definieren. Das ist eine Initiative, die muss von Washington ausgehen."
Verhandeln mit Atommacht Nordkorea
Wie es weitergeht in diesem Konflikt, liegt für Schwersensky auf der Hand. Denn Nordkorea sei ja bereits eine Atommacht:
"Ich befürchte, dass er eine Bombe zünden muss, die auf einer Langstreckenrakete irgendwann dann mal im Pazifik untergeht. Erst dann wird alle Welt ihm glauben und dann wird die Aufgabe nicht mehr sein, diese Atomwaffen wegzuverhandeln, sondern darüber zu verhandeln, dass sie nicht zum Einsatz kommen."
Besonders friedlich klingt es an der Grenze zur Zeit nicht. Ein Hubschrauber donnert über den Todesstreifen. Besucher stehen Schlange an den Fernrohren, versuchen einen Blick auf echte Nordkoreaner zu erhaschen. Tatsächlich rumpelt ein LKW mit Soldaten über einen Feldweg.
Ob sie hören, was sie hören sollen? Aus gewaltigen Lautsprechern schallt südkoreanische Popmusik Richtung Norden, dazu Wettermeldungen, Nachrichten und Informationen über Geflohene. Die Wachsoldaten kennen das schon.
"Ich spüre keine besondere Spannung. Es ist hier genau so viel los wie immer."
"Über Bedrohung sollen sich die Generäle Gedanken machen. Wir sind ja nur Wehrpflichtige."
"Noch zwei Monate, dann bin ich fertig. Trotzdem ist es komisch. Nordkorea ist uns irgendwie sehr nah – und gleichzeitig ganz weit weg."