Nordkorea hat "keine adäquaten Kapazitäten" für einen Atomschlag
Nordkorea verfügt nach Ansicht des Politikwissenschaftlers August Pradetto nicht über die Mittel, um den angedrohten atomaren Angriff tatsächlich durchzuführen. Die USA und Südkorea seien zudem militärisch haushoch überlegen.
Nana Brink: Kann man sich noch weiter ins Aus manövrieren? Das fragen sich derzeit viele mit Blick auf Nordkorea, dieses abgeschottete, totalitäre Regime, das gestern sogar mit einem Atomschlag gegen die USA drohte.
Der Hintergrund: Die Führung in Pjöngjang fühlt sich durch ein gemeinsames Manöver der USA mit Südkorea provoziert. Das Regime hatte ja bereits Mitte Februar einen unterirdischen Atomwaffentest unternommen, es war bereits der dritte, und daraufhin reagierte der UN-Sicherheitsrat gestern in seltener Einmütigkeit und verabschiedete neue Sanktionen.
Unter anderem werden Konten gesperrt und Einfuhrverbote verschärft. Am Telefon ist jetzt Professor August Pradetto vom Institut für internationale Politik der Bundeswehr-Universität in Hamburg. Einen schönen guten Morgen, Herr Pradetto!
August Pradetto: Guten Morgen!
Brink: Sehen wir hier das übliche Säbelrasseln?
Pradetto: Eine ernst zu nehmende Drohung jedenfalls ist diese Ankündigung wohl kaum. Denn erstens hat Nordkorea keine adäquaten Kapazitäten, um einen solchen Schlag, der angedroht worden ist, auszuführen. Es gibt ein paar nukleare Sprengköpfe, es gibt einige Raketen, aber das bedeutet noch lange keine interkontinentale Schlagfähigkeit.
Aber noch entscheidender ist natürlich, dass die nordkoreanische Führung genau weiß: Wenn auch nur ein begrenzter Angriff auf US-Streitkräfte in Südkorea – in Südkorea sind ja fast 30.000 Mann der USA mit stationiert –, wenn auch nur ein begrenzter Angriff erfolgen würde, würde das die vollständige Vernichtung des nordkoreanischen Militärs und auch seiner politischen Führung nach sich ziehen. Die USA und Südkorea sind ja militärisch haushoch überlegen.
Brink: Was verspricht sich aber dann die Regierung Nordkoreas von diesen Drohgebärden?
Pradetto: Nun, jedes Jahr finden Manöver der südkoreanischen Armee zusammen mit der US Army statt. Die haben jetzt gerade begonnen, und auch diesmal wieder in ganz erheblichem Ausmaß, 200.000 Südkoreaner treten hier zusammen mit 10.000 US-Soldaten, zwei Monate lang den Ernstfall.
Und Nordkorea begreift dies als Provokation, wie jedes Jahr, weil als Vorbereitung auf einen irgendwann zu erwartenden Angriff auf Nordkorea. Und die Reaktion ist auch jedes Mal die gleiche, eigene Manöver und eine martialische Hasssprache, die vor allem Drohgebärde sein soll, zum einen, aber natürlich auch eine innenpolitische Funktion hat: Wir stehen vereint - so ist die Botschaft - und entschlossen gegen die Imperialisten.
Brink: Aber ist das, erscheint es uns hier nur so, dass es jetzt noch mal so eine Eskalationsstufe gegeben hat, einmal mit diesem angedrohten Atomschlag gegen die USA, aber gleichzeitig ja auch mit der Aufkündigung des Nichtangriffspaktes gegenüber Südkorea?
Pradetto: Ja, auch das ist nicht wirklich eine materielle Angelegenheit, die sich in irgendeiner Weise militärisch von nordkoreanischer Seite umzusetzen vermag. Das heißt nicht, dass die Situation nicht ungefährlich ist. Diese Manöver und auch diese Scharmützel, die es zeitweise an den Grenzen gibt, die sind, die haben das Potenzial zu einer Eskalation.
Es gibt fast jedes Jahr Zwischenfälle, manchmal auch größeren Ausmaßes, vor allem im Ostchinesischen Meer, wo die Grenze zwischen Nord- und Südkorea umstritten ist. Und solche Zwischenfälle haben, wie gesagt, das Potenzial zu einer Eskalation. Aber das bedeutet nicht, dass die Ankündigung, den Waffenstillstandsvertrag aufzulösen, eine wirkliche militärische Drohungsabsicht, eine wirkliche militärische Angriffsabsicht zeigt.
Brink: Interessant ist ja, dass die USA sehr, sehr gelassen reagieren, zumindest nach außen hin, sehr wohlformulierte Worte, nur ja keine Eskalation. Und interessant ist auf der anderen Seite auch: China steht nun an der Seite der USA! Zum Beispiel im UN-Sicherheitsrat, das ist ja zum ersten Mal so gewesen. Rückt damit auch der letzte große Verbündete von Nordkorea ab?
Pradetto: Nein, das ist nicht das erste Mal, die Chinesen haben schon …
Brink: Aber das ist das erste Mal eine gemeinsame Erklärung in dieser Deutlichkeit?
Pradetto: Nordkorea ist vielfach in Sicherheitsratserklärungen und -beschlüssen verurteilt worden wegen seiner Nuklearwaffenpolitik. Das haben China und Russland mitgetragen. China steht da sehr wohl an der Seite der USA, weil weder China noch Russland noch die Vereinigten Staaten ein Interesse haben, dass sich das Nuklearwaffenpotenzial, das einige Mächte in ihrem Vorrat an militärischen Möglichkeiten vorhalten, dass die sich weiter verbreitet. Und hier gibt es eine generelle Gemeinsamkeit der Großmächte, dies zu verhindern. Das heißt nicht, dass China jetzt Nordkorea nicht mehr unterstützen würde.
Brink: Was bringen die weiteren Sanktionen, wie die UN sie beschlossen hat? Also, die Kontensperrungen, die Einfuhrverbote?
Pradetto: Eher wenig, so wie die bisherigen Sanktionen. Alle wesentlichen Sanktionen, die politisch im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen durchsetzbar sind, sind eigentlich schon verhängt worden, und zwar zusammen mit der Pekinger Führung, wie gesagt. Die neuen Strafmaßnahmen sind eher symbolisch. Sie beschränken die Bewegungsfreiheiten nordkoreanischer Diplomaten, und einige Waffenhändler – wie man vermutet – Pjöngjangs werden auf die schwarze Liste gesetzt.
Aber was wollen Sie damit erreichen? Was Peking nicht will, sind über militärisch relevante Güter hinausgehende wirtschaftliche Sanktionen, die die ohnehin fragile nordkoreanische Ökonomie erdrosseln würden. Denn dann folgt der Kollaps. Und wenn der Kollaps erfolgt, dann erfolgt eine Massenflucht, und dies will man nicht. Also, wenn es um Pekings Strategie geht, dann wird Pjöngjang offen demonstriert die Missbilligung mit diesem Nuklearbewaffnungsprogramm. Und ansonsten wird der nordkoreanischen Führung der erfolgreiche chinesische Weg einer Transformation der Wirtschaft ohne grundlegende Transformation der politischen Strukturen schmackhaft gemacht.
Brink: Professor August Pradetto vom Institut für internationale Politik der Bundeswehr-Universität in Hamburg. Schönen Dank für das Gespräch, Herr Pradetto!
Pradetto: Gerne!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Der Hintergrund: Die Führung in Pjöngjang fühlt sich durch ein gemeinsames Manöver der USA mit Südkorea provoziert. Das Regime hatte ja bereits Mitte Februar einen unterirdischen Atomwaffentest unternommen, es war bereits der dritte, und daraufhin reagierte der UN-Sicherheitsrat gestern in seltener Einmütigkeit und verabschiedete neue Sanktionen.
Unter anderem werden Konten gesperrt und Einfuhrverbote verschärft. Am Telefon ist jetzt Professor August Pradetto vom Institut für internationale Politik der Bundeswehr-Universität in Hamburg. Einen schönen guten Morgen, Herr Pradetto!
August Pradetto: Guten Morgen!
Brink: Sehen wir hier das übliche Säbelrasseln?
Pradetto: Eine ernst zu nehmende Drohung jedenfalls ist diese Ankündigung wohl kaum. Denn erstens hat Nordkorea keine adäquaten Kapazitäten, um einen solchen Schlag, der angedroht worden ist, auszuführen. Es gibt ein paar nukleare Sprengköpfe, es gibt einige Raketen, aber das bedeutet noch lange keine interkontinentale Schlagfähigkeit.
Aber noch entscheidender ist natürlich, dass die nordkoreanische Führung genau weiß: Wenn auch nur ein begrenzter Angriff auf US-Streitkräfte in Südkorea – in Südkorea sind ja fast 30.000 Mann der USA mit stationiert –, wenn auch nur ein begrenzter Angriff erfolgen würde, würde das die vollständige Vernichtung des nordkoreanischen Militärs und auch seiner politischen Führung nach sich ziehen. Die USA und Südkorea sind ja militärisch haushoch überlegen.
Brink: Was verspricht sich aber dann die Regierung Nordkoreas von diesen Drohgebärden?
Pradetto: Nun, jedes Jahr finden Manöver der südkoreanischen Armee zusammen mit der US Army statt. Die haben jetzt gerade begonnen, und auch diesmal wieder in ganz erheblichem Ausmaß, 200.000 Südkoreaner treten hier zusammen mit 10.000 US-Soldaten, zwei Monate lang den Ernstfall.
Und Nordkorea begreift dies als Provokation, wie jedes Jahr, weil als Vorbereitung auf einen irgendwann zu erwartenden Angriff auf Nordkorea. Und die Reaktion ist auch jedes Mal die gleiche, eigene Manöver und eine martialische Hasssprache, die vor allem Drohgebärde sein soll, zum einen, aber natürlich auch eine innenpolitische Funktion hat: Wir stehen vereint - so ist die Botschaft - und entschlossen gegen die Imperialisten.
Brink: Aber ist das, erscheint es uns hier nur so, dass es jetzt noch mal so eine Eskalationsstufe gegeben hat, einmal mit diesem angedrohten Atomschlag gegen die USA, aber gleichzeitig ja auch mit der Aufkündigung des Nichtangriffspaktes gegenüber Südkorea?
Pradetto: Ja, auch das ist nicht wirklich eine materielle Angelegenheit, die sich in irgendeiner Weise militärisch von nordkoreanischer Seite umzusetzen vermag. Das heißt nicht, dass die Situation nicht ungefährlich ist. Diese Manöver und auch diese Scharmützel, die es zeitweise an den Grenzen gibt, die sind, die haben das Potenzial zu einer Eskalation.
Es gibt fast jedes Jahr Zwischenfälle, manchmal auch größeren Ausmaßes, vor allem im Ostchinesischen Meer, wo die Grenze zwischen Nord- und Südkorea umstritten ist. Und solche Zwischenfälle haben, wie gesagt, das Potenzial zu einer Eskalation. Aber das bedeutet nicht, dass die Ankündigung, den Waffenstillstandsvertrag aufzulösen, eine wirkliche militärische Drohungsabsicht, eine wirkliche militärische Angriffsabsicht zeigt.
Brink: Interessant ist ja, dass die USA sehr, sehr gelassen reagieren, zumindest nach außen hin, sehr wohlformulierte Worte, nur ja keine Eskalation. Und interessant ist auf der anderen Seite auch: China steht nun an der Seite der USA! Zum Beispiel im UN-Sicherheitsrat, das ist ja zum ersten Mal so gewesen. Rückt damit auch der letzte große Verbündete von Nordkorea ab?
Pradetto: Nein, das ist nicht das erste Mal, die Chinesen haben schon …
Brink: Aber das ist das erste Mal eine gemeinsame Erklärung in dieser Deutlichkeit?
Pradetto: Nordkorea ist vielfach in Sicherheitsratserklärungen und -beschlüssen verurteilt worden wegen seiner Nuklearwaffenpolitik. Das haben China und Russland mitgetragen. China steht da sehr wohl an der Seite der USA, weil weder China noch Russland noch die Vereinigten Staaten ein Interesse haben, dass sich das Nuklearwaffenpotenzial, das einige Mächte in ihrem Vorrat an militärischen Möglichkeiten vorhalten, dass die sich weiter verbreitet. Und hier gibt es eine generelle Gemeinsamkeit der Großmächte, dies zu verhindern. Das heißt nicht, dass China jetzt Nordkorea nicht mehr unterstützen würde.
Brink: Was bringen die weiteren Sanktionen, wie die UN sie beschlossen hat? Also, die Kontensperrungen, die Einfuhrverbote?
Pradetto: Eher wenig, so wie die bisherigen Sanktionen. Alle wesentlichen Sanktionen, die politisch im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen durchsetzbar sind, sind eigentlich schon verhängt worden, und zwar zusammen mit der Pekinger Führung, wie gesagt. Die neuen Strafmaßnahmen sind eher symbolisch. Sie beschränken die Bewegungsfreiheiten nordkoreanischer Diplomaten, und einige Waffenhändler – wie man vermutet – Pjöngjangs werden auf die schwarze Liste gesetzt.
Aber was wollen Sie damit erreichen? Was Peking nicht will, sind über militärisch relevante Güter hinausgehende wirtschaftliche Sanktionen, die die ohnehin fragile nordkoreanische Ökonomie erdrosseln würden. Denn dann folgt der Kollaps. Und wenn der Kollaps erfolgt, dann erfolgt eine Massenflucht, und dies will man nicht. Also, wenn es um Pekings Strategie geht, dann wird Pjöngjang offen demonstriert die Missbilligung mit diesem Nuklearbewaffnungsprogramm. Und ansonsten wird der nordkoreanischen Führung der erfolgreiche chinesische Weg einer Transformation der Wirtschaft ohne grundlegende Transformation der politischen Strukturen schmackhaft gemacht.
Brink: Professor August Pradetto vom Institut für internationale Politik der Bundeswehr-Universität in Hamburg. Schönen Dank für das Gespräch, Herr Pradetto!
Pradetto: Gerne!
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