Norman Doidge, Wie das Gehirn heilt – Neueste Erkenntnisse aus der Neurowissenschaft
Übersetzt von Carl Freytag, Campus, Frankfurt /New York 2015, 477 Seiten, 29,99 Euro
Das Gehirn - ein plastisches Organ
Mit Wärmeimpulsen, Lichtstrahlen und ganz einfachen Bewegungen ist es möglich, dem Gehirn zu helfen, sich zu regenerieren - so die Überzeugung des Psychiaters Norman Doidge. In seinem neuen Werk beschreibt er, wie sich das Gehirn selbst heilen kann.
Bei schweren Verletzungen des Gehirns oder chronischen Nervenkrankheiten wie Parkinson oder Multiple Sklerose können Neurologen ihren Patienten wenig Hoffnung machen. Allerdings nutzt die moderne Medizin bis heute kaum die die Möglichkeiten zur Selbstheilung des Gehirns, beklagt der kanadische Psychiater Norman Doidge.
Sein zweites Buch zum Thema "Selbstheilung des Gehirns" überzeugt durch exakte Beobachtungen und viele Fakten. Der Schreibstil erinnert an den kürzlich verstorbenen Neurologen Oliver Sacks, den er mehrfach zitiert. Im Unterschied zu Sacks belässt Norman Doidge es jedoch nicht bei der Beschreibung der Patienten. Ihm geht es um Heilverfahren, die seiner Meinung nach bislang vernachlässigt wurden.
Wie schon in seinem ersten Buch "Neustart im Kopf" wendet er sich gegen die verbreitete Ansicht, das Gehirn sei eine Art fest verdrahteter Computer. Vielmehr betrachtet er das Gehirn als plastisches Organ, das nicht durch Zellen oder Operationen repariert werden muss, sondern sich selbst heilen kann, wenn es die Gelegenheit dazu erhält. Um seine Leser zu überzeugen, stellt Doidge viele Menschen vor, die als unheilbar krank galten, denen es aber gelungen ist ihre Krankheit zu besiegen oder wenigsten deren Fortschritt aufzuhalten oder zu verlangsamen.
Durch Übungen und Berührungen die die Körperwahrnehmung verbessern
Der Südafrikaner John Pepper erkrankte früh an der Parkinson-Krankheit. Er entwickelte zunächst viele der typischen Symptome wie Zittern und Bewegungsstörungen. Dann aber gelang es ihm, seine Bewegungsfähigkeit teilweise wieder zu gewinnen. Er entwickelte eine Walking-Technik, bei der er sich aufmerksam auf jede einzelne Bewegung konzentriert. Beim Gehen achtet er darauf, wie er seinen linken Oberschenkel hebt, das Knie beugt, sich von den Zehen abhebt und das Bein nach vorne schwingt. Solange diese Konzentration anhält, kann er sich flüssig bewegen. Sobald die Aufmerksamkeit abschweift, treten erneut leichte Parkinson-Symptome auf.
Andere Patienten überwinden schwere Sehstörungen oder die Folgen eines Schlaganfalls durch bewusstes Training, durch kalte Laserbestrahlung oder Übungen und Berührungen, die die Körperwahrnehmung verbessern. Laut Norman Doidge nutzen alle diese Heilverfahren, die Möglichkeiten des Gehirns zur Selbstheilung. Denn oft sind Bewegungsstörungen erlernt. Die Gliedmaßen könnten sich bewegen, aber das Gehirn hat nach einem Unfall oder durch Krankheit gelernt, dass die Bewegung nicht funktioniert und die entsprechenden Nervenbahnen stillgelegt. Es kann neu lernen und neue Formen der Bewegung entwickeln.
Zweifel der Kollegen an den Überzeugungen Doidges
Viele der Verfahren, die Norman Doidge beschreibt, treffen bei etablierten Ärzten und Wissenschaftlern auf Skepsis. Die meisten Spezialisten bevorzugen den Gedanken einer Reparatur und setzen kaum Hoffnung auf Selbstheilung. Dabei steht dieser Ansatz keineswegs im Widerspruch zu Erkenntnissen moderner Neurowissenschaft und Hirnforschung, betont Doidge immer wieder. Allerdings sind die Erfolgsaussichten der von ihm beschriebenen Verfahren durch klinische Studien schwer nachweisbar. Jedes Gehirn reagiert anders und was einem Patienten hilft, bleibt bei anderen wirkungslos.