Norman Manea: Wir sind alle im Exil
Übersetzt aus dem Rumänischen von Eva Ruth Wemme, Georg Aescht, Paul Schuster, Roland Erb, Ernest Wichner
Hanser Verlag, München 2015
224 Seiten, 19,90 Euro
Am Anfang war die Freiheit ein Schock
Als Norman Manea aus dem Rumänien Ceausescus nach Westberlin floh, musste er sich an die Freiheit zunächst gewöhnen. In den USA halfen ihm die vielen Exilanten, sich weniger fremd zu fühlen, schreibt er in "Wir sind alle im Exil". Doch Zuhause fühlt er sich allein im Schreiben.
1986 hat Norman Manea Rumänien verlassen. Zu einer Zeit des kommunistischen Systems mit der Gewaltherrschaft unter Nicolae Ceausescu. Für ihn war es das zweite Exil, nachdem er als Kind jüdischer Eltern 1941 in ein Arbeitslager nach Transnistrien deportiert wurde.
1986 schickte ihn der Diktator jedoch in die freie und fremde Welt. Als wichtiger Bezugspunkt ist Manea immer geblieben: sein Heimatland – Rumänien. Manea schreibt über die Zeit vor dem Exil und nach dem Exil. Erlebt er die Jetzt-Zeit nicht mehr als Exil?
"Es bleibt doch Exil, glaube ich, ein leichteres Exil, als es war am Anfang. Ich bin dort in Amerika, weit von Heimat, weit von Europa. Ich bin dort und fast nirgends. Es ist dieses Gefühl in der Welt zu sein und doch nirgends zu sein. Es ist nicht so schlimm dieses Gefühl, fremd und wieder fremd zu sein."
Sein Exil begann in Westberlin. Er suchte zunächst Zuflucht in Büchern und Einsamkeit, um das unbekannte Terrain langsam zu erforschen und sich darin zu orientieren. Wie war das Ankommen? Erst fühlte er sich isoliert, dann kam er ins Gespräch mit den Berlinern und lernte die Vielfalt der Stadt kennen. Er lebte an einem geschützten Ort, denn er kam mit einem Literaturstipendium nach Berlin.
Als Stipendiat Nachbar von Arvo Pärt
"Es war am Rathenauplatz. Es war ein Gebäude für Stipendiaten. Mein Nachbar war der große Komponist Arvo Pärt. Am Anfang war es ein Schock, weil es war die freie Welt. Ich habe mich wohl in Deutschland gefühlt."
Alles, was auf ihn einstürmte in dieser ungewohnten Freiheit, drang durch den geschützten Ort nicht so schnell auf ihn ein. Neu war auf jeden Fall: hell erleuchtete Straßen, gut ausgebaute Wohnungen, volle Regale in den Supermärkten. Aber das reicht ja nicht aus, das Gefühl des Fremdseins zu überwinden. Die Vergangenheit war ja immer präsent.
"Die Vergangenheit war präsent, aber die unsichere Zukunft war auch präsent. Man wusste nicht, was kommt und wie zu entscheiden und wohin zu gehen. Das war die große Spannung. Ich war in einem unbekannten Land. Glücklicherweise war es Deutschland. Ich konnte die Zeitungen lesen. Ich konnte mit Leuten sprechen."
Im Schreiben hat Manea Zuflucht, sein Zuhause gefunden. Er konnte nun schreiben ohne Zensur, ohne gleich verdächtigt zu werden, nicht staatstreu genug zu sein. Auf der anderen Seite führte das Trauma der Entwurzelung zu Angst und Verwirrung. Aber die deutsche Sprache war Manea bereits vertraut, denn in der habsburgischen Bukowina, wo er aufgewachsen ist, haben Freunde und Eltern diese Sprache gepflegt. Nun konnte sie angewendet werden.
Dann ist Norman Manea nach Amerika gegangen, weil er dort ein Fulbright Stipendium bekam und nun am Bard College Europäische Kulturstudien lehrt. In seinem neuen Buch "Wir sind alle im Exil" spürt man, dass für den Exilanten Manea beim Ankommen am fremden Ort das Bedürfnis nach Zugehörigkeit besteht und zugleich der Wunsch nach einer individuellen Entfaltung in der kosmopolitischen modernen Umgebung. Das Geistige versteht Manea als das einzige wahre Domizil. Die Poesie als Rückzugsort, der durch nichts anderes zu ersetzen ist.
"Wenn ich schreibe, bin ich zu Hause"
"Wie Sie wissen, ich schreibe doch noch in Rumänisch. Das ist am Ende, wie es auch war am Anfang, meine Heimat. Auch wenn ich im Exil bin, wenn ich schreibe, bin ich zu Hause. Es gibt eine Änderung in diesen 30 Jahren. Ich wurde nicht nur entfremdet von meinem Land, von meiner Sprache und mir selbst. Ich habe auch gelernt, wie das ist mit der Fremde überall.
Das sind viele und Amerika ist ein Land der Exilanten. Wenn Sie in New York auf die Straße gehen, begegnen Sie dem ganzen Planeten. Das macht es ein bisschen einfacher, ein bisschen leichter. Es hat nicht die Kohärenz, die ein europäisches Land hat. Dieses Land wurde gebaut für alle diese fremden Leute. Ich bin ein Fremder, aber zwischen Fremden. Es gibt eine Solidarität, und was man verlangt in Amerika, das ist, man soll das Gesetz respektieren. Und das ist alles."
Seine großartigen Essays aus den Jahren 1989 bis 2015 zeigen uns, dass trotz Einschüchterung des Individuums, Demagogie und Überwachung im Heimatland es für den Neuankömmling möglich ist, mit seinen Talenten, Erfahrungen und auch Erinnerungen ein Werk zu schaffen, das uns neue Hoffnung und neues Vertrauen gibt.