Norwegen

Offene Wunden

Von Tim Krohn, ARD-Korrespondent Stockholm |
Der Regierungssitz in Oslo ist eine Ruine. Das Hochhaus aus den 50er-Jahren galt als Symbol des Aufschwungs. Soll man es nun abreißen oder wiederaufbauen? Die Norweger tun sich schwer im Umgang mit den Wunden des 22. Juli.
17 Stockwerke in graue Pastikplanen verpackt, Sperrholzwände drumherum, auch drei Jahre nach dem Anschlag sind Norwegens Wunden noch sichtbar. Die Folie an der Außenfassade des Hochhauses wirkt wie ein staubiges altes Pflaster, das längst nicht mehr hilft. Es löst sich ab. Es hält nicht mehr.
Paul Chaffey ist Staatssekretär der norwegischen Regierung. Früher hatte auch er mal sein Büro da drüben in der sichtbaren Wunde. Denn dieses Hochhaus war einmal der Sitz der norwegischen Regierung:
"Es mutet schon etwas merkwürdig und befremdlich an, wenn man diese Wunde hier so offen sieht. Aber die politische Arbeit musste ja irgendwie weitergehen. Und ich fand es imponierend, wie die Kollegen das in der Zeit direkt nach dem Terroranschlag geschafft haben."
Es wird noch immer improvisiert
Seit dem 22. Juli 2011 wird improvisiert. Chaffey und seine Leute sind einfach umgezogen. Man spricht nicht mehr über das, was geschehen ist. Man sieht es ja, jeden Tag aufs Neue.
Umfrage:
Frau: "Ich finde, es sollte stehen bleiben. Es tut gut, es da zu sehen"
Mann: "Das Haus gehört ja zum gewohnten Stadtbild. Und es ist ein Stück Architekturgeschichte. Es gibt genügend Gründe dafür, das Haus stehen zu lassen. Rein symbolisch!"
Dieses Haus, das die Norweger Höyblokka nennen, steckt voller Symbolik. Da sind Picassos fröhliche Wandgemälde, eine Familie am Strand zum Beispiel, als Relief in den Beton geritzt. Und da ist die pure Größe, 17 Stockwerke, das Höyblokka war das erste Hochhaus in ganz Norwegen. Schön? Das kann man aus heutiger Sicht nun wirklich nicht sagen. Aber so hat man halt gebaut in den 50ern: grau, groß, klobig. Völlig unpraktisch noch dazu, sagen die Architekten von heute. Also warum nicht abreißen und etwas Neues bauen?
Chaffey:"In der Zeit nach dem Terroranschlag entstand natürlich eine öffentliche Debatte darüber, wie es nun weitergehen soll. Viele hatten dabei gefordert, das Hochhaus Höyblokka zu erhalten, damit etwas Altes im Neuen weiterleben kann. Es wird etwa zehn Jahre dauern, bis das neue Regierungsviertel fertig ist. Aber wir sind aktiv. Die Arbeit kann jetzt losgehen."
Norwegen bleibt behutsam
Also noch mal zehn Jahre mit dem schlecht sitzenden Pflaster. In Norwegen braucht man Geduld. "Hier werden keine Entscheidungen gefällt, hier werden Kompromisse gefunden", so formuliert es Fabian Stang, der Bürgermeister von Oslo.
Norwegen tut sich schwer mit den Wunden des 22. Juli. Das geplante Mahnmal gegenüber der Insel Utöya? Verschoben, die Anwohner und Hinterbliebenen haben sich quer gelegt. Das zerstörte Hochhaus in Oslo? Irgendwann in diesem Sommer werde man zumindest wohl eine Empfehlung aussprechen, verspricht Paul Chaffey, der Staatssekretär:
"Ich glaube, dass dieser Anschlag erlebt wurde als ein Angriff auf etwas vom Wichtigsten, was wir haben, nämlich Demokratie und Offenheit. Und das hat dann auch zu dieser großen und breiten Debatte geführt, wie denn unsere Zukunft aussehen soll. Das war gesund und gut. Die Debatte hat ja gezeigt, dass die Menschen das Höyblokka als Symbol für unsere Demokratie begreifen."
Es sei doch nur gut und richtig, sich Zeit zu lassen, sagt Chaffey. Höyblokka, deutet er an, wird wohl bleiben. Nur die Gebäude drumherum sollen weichen. Vielleicht. Vielleicht aber auch nicht. Norwegen bleibt behutsam. Es wird wohl noch dauern, bis die Folien verschwinden.
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