100 Jahre „Nosferatu“

Ein brandaktueller Stummfilm-Klassiker

08:18 Minuten
Max Schreck als Nosferatu in "Nosferatu - eine Symphonie des Grauens", Deutschland 1921, Regie: Friedrich Wilhelm Murnau
"Nosferatu - eine Symphonie des Grauens" (1921) von Friedrich Wilhelm Murnau © imago/United Archives
Rolf Giesen im Gespräch mit Gesa Ufer · 02.03.2022
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Der Vampir-Streifen „Nosferatu“ ist der wohl bekannteste deutsche Film. Vor hundert Jahren wurde das Werk in Berlin uraufgeführt. Für den Filmhistoriker Rolf Giesen könnte die unheilvolle Geschichte aber aktueller nicht sein.
Als am 4. März 1922 „Nosferatu“ im Marmorsaal des Zoologischen Gartens in Berlin erstmals einem Publikum vorgeführt wurde, waren die Reaktionen begeistert. Die meisten Kritiken waren sensationell, sagt der Filmhistoriker Rolf Giesen. Man habe den Stummfilm von Regisseur Friedrich Wilhelm Murnau in die Tradition von E.T.A. Hoffman und Edgar Allen Poe gestellt. Vor allem die düsteren Naturaufnahmen hätten auf das Publikum Eindruck gemacht.

Krieg, Pandemie und Inflation

Doch auch die Schauer des Weltkriegs, der Spanischen Grippe und der sich anbahnenden Inflation hätten bei der Rezeption eine Rolle gespielt. „All das bedrückte das Publikum natürlich. Es war also eingestimmt auf diese Art von Schauerfilm.“
Es habe damals in Deutschland eine „Welle von Schauerfilmen“ gegeben, die die Pandemie und das Ende des Krieges thematisierten.

Murnau strich viele antisemitische Elemente

Neben solchen aktuellen Bezügen enthält „Nosferatu“ Verweise auf den Okkultismus. Doch in den Stoff waren auch „stark antisemitische Elemente“ eingebaut, weiß Filmwissenschaftler Giesen. Teilweise seien sie von Bram Stoker übernommen worden. Dessen Roman „Dracula“ hatte als Vorlage für die Geschichte gedient.

Um Murnaus "Nosferatu" geht es auch in unserem Gespräch mit dem Filmwissenschaftler Marcus Stiglegger. Neben "Nosferatu" erschien im Jahr 1922 zudem "Häxan" des dänischen Regisseurs Benjamin Christensen. Der Essayfilm befasst sich in halbdokumentarischer Form mit der Geschichte der Hexenverfolgung seit der frühen Neuzeit. Dieser "sehr spezielle Film" stehe zwar im Schatten von "Nosferatu". Aber seine "ikonischen Bildwelten" und nicht zuletzt die für die Zwanzigerjahre "revolutionären Spezialeffekte" machen den Film nach Stigleggers Ansicht bis heute sehenswert. Hören Sie hier das Gespräch in voller Länge.

Giesen sagt, es sei das Verdienst Murnaus, „viele dieser absurden Verweise gestrichen zu haben.“ Erhalten bleibt allerdings das Motiv der Ratten, so Giesen: „Im zeitgenössischen Kontext wurden Ratten tatsächlich sehr oft mit Juden identifiziert. Das war eine unausgesprochene Analogie.“ Der Regisseur habe aber insgesamt aus dem Stoff „mehr ein Melodram“ gemacht.

Analogien zur Gegenwart

Nach Ansicht des Experten zeigt Murnaus Film „interessante Analogien“ zur Gegenwart. „Wir haben einen Krieg, wir haben eine Pandemie, wir haben Inflation, Verschwörungstheorien geistern durch die Medien.“ Rolf Giesen findet: „Unter den deutschen Stummfilmen ist es der aktuellste und der unheilvollste.“
(tmk)
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