Notfalls auch ohne Herz

Von Johannes Halder |
Joseph Beuys ist vor allem als Filz- und Fettkünstler bekannt. Dem Zeichner Beuys widmet sich jetzt eine Schau in Karlsruhe. Zeichnen, so die Botschaft, war für Beuys archaisch und elementar, und die Ausstellung zieht den Besucher schnell in ihren Bann mit der Intimität der abgedunkelten Kabinette und den kostbaren Trophäen, die aus der Schau, wie so oft bei Beuys, fast eine liturgische Veranstaltung machen.
Ein Strand in Kenia, 1974, eine Bilderstrecke wie aus einem Werbespot: Joseph Beuys, damals 53 und im besten Mannesalter, in der Badehose. Ohne Fliegerweste, ohne Hut, mit kahl rasiertem Schädel posiert er vor der Kamera des Düsseldorfer Fotografen Charles Wilp. Mit einem Stöckchen ritzt er Elche, Ziegen, Frauen in den Sand, signiert mit seinem Namen und lässt die Zeichnungen dann wieder von den Wellen löschen. Beuys, ein fotogener Popstar wie seinerzeit Picasso, zelebriert sein Ritual am Strand: Zeichnen als Transformation.

Zeichnen, so die Botschaft, war für Beuys archaisch und elementar, und die Ausstellung zieht den Besucher schnell in ihren Bann mit der Intimität der abgedunkelten Kabinette und den kostbaren Trophäen, die aus der Schau, wie so oft bei Beuys, fast eine liturgische Veranstaltung machen.

Gleich im ersten Saal kommt uns der Aktionist lebensgroß entgegengestiefelt, auf dem berühmten Foto von 1971 mit dem Titel "La rivoluzione siamo noi - Die Revolution sind wir." Das ist Programm. Ein Einzelkämpfer mit messianischem Selbst- und Sendungsbewusstsein, der uns zugleich vorführt, welch elastischen Begriff von Kunst und Zeichnung er hat. Kuratorin Kirsten Voigt:

"Also bei ihm ist die Zeichnung alles, was er mit dem Bleistift oder mit ganz verschiedenen anderen Malmitteln, Substanzen, Pinseln aufs Papier bringt. Sie dient ihm der Klärung seiner Gedankenwelt, der Zusammenhänge, die er durchdringen will und sie dient ihm immer wieder auch der Erklärung dessen, was er vermitteln will."

Im Mittelpunkt bei Beuys steht buchstäblich der Mensch. Eine große schwarze Tafel, darauf mit weißer Schrift ein einziges Wort: Mensch. Dazu auf dem Boden ein gusseiserner Bräter, gefüllt mit Teer, Quarzsteinen und einem schwarzen Telefon. Mit derlei Devotionalien kommuniziert Beuys sein revolutionäres Denken und benutzt dabei die Zeichnung als "eine andere Form der Sprache." Er bezeichnet Tischplatten und entwirft didaktische Diagramme und Schaubilder, entwickelt Partituren für Performances, malt mit absonderlichen Tinkturen und zeichnet, besonders in der Frühzeit, zart und blass, mit fragilen, sinnlichen Strichen: silhouettenhafte Figurenchiffren und organoide Formen, Mütter mit Kindern, Kreuze und Gekreuzigte oder ausgezehrte Figuren.

"Es geht ja das Gerücht, dass Beuys’ Welt grau und braun und dunkel sei. Wir haben sehr viele Zeichnungen, die wirklich aus mit Goldbronze gemacht sind. Die strahlen, die leuchten, wenn man den richtigen Lichteinfall hat. Eine wunderbare Welt. Also mit dieser intensiven Farbigkeit stattet er sehr viele seiner Figuren, seiner Frauenfiguren aus. Es gibt Blätter, auf denen sich Hasenblut findet, was für ihn auch wichtig war. Es gibt Aquarelle, die leuchten und strahlen, wenn er Natur schildert, also es ist eine große auch farbliche Bandbreite, die man feststellen kann."

Beuys pinselt kleine Frauenakte, Torsi, seine berühmten Hirsche und anderes Getier, er strichelt rätselhafte Geräte, auch mal eine Kläranlage: Alles ist Kreislauf, Leben, Osmose, Teil eines ganzheitlichen Prozesses. Und alles ist ständige Erkundung, Verwandlung, Übergang, Transformation: das Verdichten, das energetische Aufladen, das Isolieren, das Bündeln und Sammeln, das Alchimistische, und vor allem: "Vergesst mir das Denken nicht", wie Beuys immer wieder mahnte. Das alles speichert, sendet, strahlt, kommuniziert und polarisiert.

Zeichnung, das heißt bei Beuys auch Aufzeichnung, also Texte. In den Vitrinen liegen gut zwei Dutzend Schriften, und wie man sieht, hatte Beuys ein Händchen dafür, wie man seine Notizen schon zu Lebzeiten so zubereitet, dass die Worte ästhetischen Mehrwert und inhaltliche Bedeutsamkeit gewinnen. Allein schon diese Handschrift! Und die Auswahl dessen, worauf er zeichnete und schrieb, war Intuition, wenn nicht künstlerisches Kalkül: Briefumschläge dienen als Hülle für Botschaften, Hotelquittungen sind Hinweis auf den ständigen Transit, Hefte stehen für Lehren und Lernen, stockfleckige Zettelchen deuten Alter, Aura und Erfahrung des Autors an.

Und da ist auch er - Beuys, der Witzbold, der Ironiker, der Aphoristiker: "Notfalls leben wir auch ohne Herz" lesen wir auf einem fleckigen Fragment, und einem anderen Blättchen entnimmt man das Bekenntnis: "Mit dem Ende der modernen Kunst beginnt für mich die Kunst erst."

"Solche kleinen Epigramme über seinen Kunstbegriff, also dass Kunst sich dem Menschengemäßen widmen muss, und wenn sie sich dem nicht widmet, ist sie keine Kunst."

Keine Kunst zu machen war schwer für Beuys, dem irgendwie alles zu Kunst gerann. Diese Zettelwirtschaft freilich, aus der sich kaum der Gang seines Denkens rekonstruieren lässt, ist nicht selten reine Privatmythologie - undurchschaubar, unbegreiflich.

Trotzdem: Beuys wird hier in der Schau richtig bekömmlich - ohne Fett, und fast gänzlich ohne Filz. Natürlich muss man Beuys auch heute noch erklären, doch wer sich nicht von sich aus einfühlt in das Werk, bekommt nur schlecht eine Witterung für das, was es verborgen hält.

Doch darf man über Beuys auch lachen? Beuys bestand sogar darauf. "Ihr lacht mir zu wenig", schrieb er 1958. "Das ist mir ein Zeichen, dass ihr es nicht ernst meint." Und er schloss: "Das können Sie nicht ertragen: einen lachenden Menschen."


Service:
Die Ausstellung "Ich bin interessiert an Transformation, Veränderung, Revolution" – Joseph Beuys, Zeichnungen ist bis zum 7. Januar 2007.in der Staatlichen Kunsthalle Karlsruhe zu sehen.