Notizen aus den Trümmerfeldern der Geschichte

Rezensiert von Maike Albath |
Felix Hartlaub ist das große Rätsel der deutschen Literaturgeschichte: Fast alle seiner Werke sind erst posthum veröffentlicht worden, oft mit starken Eingriffen. Die Literaturwissenschaftlerin Monika Marose legt mit "Unter der Tarnkappe" nun die erste Biographie des sagenumwobenen Intellektuellen vor, der als Archivar im Führerhauptquartier faszinierende Inneneinsichten aus dem Zentrum der Macht lieferte.
Werk und Leben von Felix Hartlaub tragen die Züge eines Kriminalromans, denn sowohl sein literarisches Vermächtnis als auch sein ungewisses Schicksal geben eine Fülle von Rätseln auf. Zu Lebzeiten publizierte Felix Hartlaub neben einer Novelle, die er als Zwölfjähriger verfasste und die auf das Betreiben seines einflussreichen Vaters erschien, lediglich seine Dissertation im Fach Geschichte. Alles andere - Erzählungen, Romanfragmente, Kurzprosa - überdauerte den Krieg in diversen Schreibtischschubladen und Koffern.

Hartlaubs Spuren verloren sich auf den Berliner Trümmerfeldern kurz vor Ende des Zweiten Weltkrieges. Der promovierte Historiker war im sogenannten Sperrbezirk II der Deutschen Wehrmacht beschäftigt und gehörte zu den Mitarbeitern des Führerhauptquartiers. Da sein Leichnam nie gefunden wurde, hoffte die Familie bis weit in die fünfziger Jahre hinein, er sei in russische Gefangenschaft geraten.

1955 besorgte die Schwester Geno Hartlaub eine Edition seiner Schriften und gab sie unter dem Titel Gesamtwerk heraus, drei Jahre später erschien ein erster Band mit Briefen - beides mit starken Eingriffen, wie sich später herausstellte. Die Schwester hatte die Erzählerfigur verändert, darüber hinaus waren ganze Passagen gestrichen oder umgeschrieben worden.

Da die Familie Felix Hartlaubs intime Verbindung mit der 23 Jahre älteren Erna Gysi missbilligte, bearbeitete der Vater, der renommierte Kunsthistoriker Gustav Friedrich Hartlaub, die Briefe seines Sohnes. Erna Gysi trat nur mit der diskreten Abkürzung "Frau G." in Erscheinung, und Liebesbriefe wurden in den Band gar nicht erst aufgenommen.

Dreißig Jahre nach der Veröffentlichung des vermeintlichen Gesamtwerkes gab Geno Hartlaub eine erneut revidierte und auf den Originaltexten basierende Ausgabe der Zeugnisse aus der Wolfsschanze heraus: Im Sperrkreis (1984). 2002 erschien im Suhrkamp Verlag schließlich die Sammlung Kriegsaufzeichnungen, literarische Fragmente und Briefe aus den Jahren 1939 bis 1945 von Felix Hartlaub.

Mit Unter der Tarnkappe legt die Literaturwissenschaftlerin Monika Marose die erste Biographie des sagenumwobenen Intellektuellen vor. Angereichert durch zahlreiche unveröffentlichte Fotografien und Briefe sowie Zeugnisse früherer Freunde entwirft sie ein facettenreiches Porträt von Felix Hartlaub.

1913 als Sohn des berühmten Kunsthistorikers und späteren Direktors der Mannheimer Kunsthalle Gustav Friedrich Hartlaub geboren, litt der frühreife und hochbegabte Felix seine gesamte Kindheit und Jugend hindurch unter den überzogenen Ansprüchen der Eltern. Das ehrgeizige Ehepaar dressierte den ältesten Sohn als Wunderkind: Er wuchs isoliert von Gleichaltrigen auf, wurde fortwährend zum Malen, Schreiben und Musizieren angehalten und musste bei den Abendgesellschaften der Eltern auf Kommando seine Künste vorführen.

Noch als Internatszögling der Odenwaldschule und als Student der Geschichtswissenschaften legte Felix Hartlaub beinahe jedes literarische Projekt seinem gestrengen Vater zur Beurteilung vor und passte sich sowohl in seinen meist historischen Stoffen als auch in der neoexpressionistischen Schreibweise den ästhetischen Vorstellungen Friedrich Hartlaubs an.

Eine Befreiung von der bedrohlichen Elternimago gelingt ihm erst in Berlin. 1934 schreibt er sich an der Friedrich-Wilhelm-Universität ein. Eines Tages läuft ihm sein früherer Mitschüler Klaus Gysi aus der Odenwaldschule über den Weg, der Felix Hartlaub in seine Familie und seinen Freundeskreis einführt und ihn endlich erlöst von der quälenden Außenseiterrolle.

Bei Gysis herrschen andere Umgangsformen - die von ihrem Mann getrennt lebende Mutter Erna lässt ihrem Sohn alle Freiheiten, fortwährend sind Gäste im Haus, man diskutiert, feiert, schreibt und liest. Hals über Kopf verliebt sich Felix Hartlaub in Klaus Gysis faszinierende und umschwärmte Mutter. Erna Gysi ist zwar anderweitig liiert, stürzt sich aber dennoch in eine rauschende Liebesgeschichte mit Felix, vermittelt ihm Selbstvertrauen und begeistert sich für seine literarischen Arbeiten.

Klaus Gysi ist Mitglied der Kommunistischen Partei und im Widerstand gegen die Nazis engagiert. Während Felix Hartlaub für die politischen Entwicklungen bisher kaum ein Auge hatte, wird er sich jetzt der radikalen Umbrüche bewusst. Erna, als Jüdin schon bald gefährdet, emigriert 1938 nach Frankreich. Hartlaub bleibt verzweifelt zurück - ein Leben in einem Land, wo nicht seine Muttersprache gesprochen wird, kann er sich nicht vorstellen, obwohl nach und nach viele seiner Freunde Deutschland den Rücken kehren.

Felix Hartlaub harrt in Berlin aus, er promoviert 1939 und wird kurze Zeit später eingezogen. Durch Zufall schickt man ihn als Archivar des Auswärtigen Amtes in das besetzte Paris. 1941 kommt er als Sachbearbeiter der Abteilung "Kriegsgeschichte" ins Oberkommando der Wehrmacht und Führerhauptquartier. Aus dieser Zeit stammen seine eindringlichsten Texte: Schilderungen aus dem Zentrum der Macht, entlarvende Porträts einer Generation von Tätern und Mitläufern.

Monika Marose hat mit Felix Hartlaubs Lebensgeschichte einen großartigen Stoff aufgegriffen. In der Darstellung allerdings zeigt sie sich mehrfach nicht auf der Höhe des Gegenstands: Streckenweise präsentiert Marose die Geschehnisse nach dem Muster eines Schulaufsatzes, und auch im Umgang mit dem zeitgeschichtlichen Hintergrund hätte man sich mehr analytische Tiefenschärfe gewünscht. Aber sie hat etliche Entdeckungen gemacht und zeigt auf, warum Hartlaubs Schriften eine Wiederentdeckung wert sind. Felix Hartlaub - ein deutsches Schicksal.


Monika Marose: Unter der Tarnkappe. Felix Hartlaub. Eine Biographie.
Transit Verlag Berlin 2005
216 Seiten. 19, 90 €