Notizen eines Einzelgängers
Autoritärer Berserker oder Jahrhundertliterat? An dem vor 30 Jahren verstorbenen Schriftsteller Arno Schmidt scheiden sich die Geister. Zehn seiner Erzählungen, die nun unter dem Titel "Kühe in Halbtrauer" als Hörbuch erschienen sind, gelten als Fingerübungen für sein Monumentalwerk "Zettels Traum", das umgerechnet 5000 Seiten umfasst.
"Früher, als junger Mensch, hab' ich mir wohl auch eingebildet, die Mienen- und Gebärdensprache sei von Liebenden erfunden worden - so 'Nachbarskinder', von 'harten Eltern' vorsichtshalber auf Armlänge auseinander gehalten. (...) Später dachte ich, es könnten kluge Diebe gewesen sein, nachts, in behelfsmäßig beleuchteten Juwelierläden; oder abhörgeräteumstellte Politiker in den Sieben Bergen, ruhend auf Rasengrund, zur Koalition bereit. Heute weiß ich, dass es zwei ältere Männer an der Kreissäge gewesen sein müssen; nach ungefähr 40 Minuten."
Jan Philipp Reemtsma, Vorsitzender der Arno Schmidt Stiftung, liest aus der Erzählung "Kühe in Halbtrauer" - gelassen, gut gestimmt, verständig. Ihm zuzuhören macht sogar dann noch Spaß, wenn man inhaltlich auf dem Schlauch steht. Die anderen beiden Vorleser fallen dagegen ein wenig ab. Joachim Kersten, im Hauptberuf Rechtsanwalt, neigt zum entspannten Schnarren...
"'Ah = Heu. Ahoi!', sagte es süß und kraftvoll hinter uns, wie man eben sechs Fuß groß und zwei Zentner schwer, es zu sagen vermag. Mit anderen Worten: Gretchen! Ergo war die Gefahr nicht so übermäßig, denn sie tat gern verständnisvoll - handfest mit uns Männern. Ob sie's tatsächlich war, stand wieder auf einem ander'n Brett."
...und Bernd Rauschenbach, Schmidt-Archivar und -Herausgeber, gibt weniger den Vorleser als vielmehr den Ausrufer.
"Dabei, was soll denn das alles? Narven merren, klöder drahlen, flappe zullen... Also, mir soll keiner von Avantgarde vorprahlen, und wenn er so lange Haare dran hat."
Arno Schmidt hatte weder lange Haare, noch gehörte er zur Avantgarde - denn das würde voraussetzen, dass ihm auf seinem Weg der radikalen Literaturerneuerung jemand nachgefolgt wäre. Das war nicht der Fall. Arno Schmidt blieb eine singuläre Erscheinung. In der Nachkriegszeit hat man den Mut des Hamburgers bewundert, die deutsche Orthographie durchzuschütteln und pointillistische Erzählungen ohne Handlung, dafür mit dickem akademischem Unterfutter zu schreiben.
Kersten: "Er konnte die dicken Worte nicht lassen. Je nun - es war halt sein Beruf. Die Leute wollen's ja auch so."
Die Bewunderung früher galt vielleicht Schmidts literarischer Unangepasstheit. Heute, 50 Jahre später, wiedergelesen oder vielmehr wiedergehört, mögen seine Texte auf nicht wenige Literaturliebhaber eher scheinriesig und auch bemüht unverständlich wirken.
Jan Philipp Reemtsma, bei der Hörbuchpräsentation in Hamburg abgepasst, kann solche Vorbehalte nicht verstehen:
"In Ihren Worten klingt mir eine bestimmte Erwartung an, was man gerne von einem Autor hören möchte. Die ist aber nie gerechtfertigt. Der Autor schreibt ja nicht für Sie! Er schreibt auch nicht für sich selber. Sondern er schreibt."
Schmidt schreibt also. Aber wie? Der Autor selbst sagte: in Foto-Text-Einheiten. Klick - da ist das Bild. Ein alternder Künstler strandet in einer Dorfschenke und trifft dort auf drei junge, ausgelassene Frauen. Er nennt sie "die Jägermädchen". Zu jedem Bild gehört ein gedanklicher Hof, so wollte es der Autor. Zu unserem Beispiel aus der Erzählung "Caliban über Setebos" gehört dieser hier:
Reemtsma: "Sicher, 'ne dumme Frau ist 'ne Strafe. Obschon 'ne intellektuelle platterdings unerträglich sein müsste, aber ausgerechnet die Sorte hier. 'Mäuschen halt die Füße ruhig!' Wer die längere Zeit am Halse gehabt hätte, würde garantiert 100 Glas Grog ausgeben, wenn er sie dadurch wieder los würde."
Arno Schmidt als Macho der norddeutschen Tiefebene. Seine Lust an der Verachtung trifft aber eigentlich jede der von ihm beschriebenen Figuren, nicht nur Frauen. Mit der sexuellen Konnotation erhält sie jedoch noch einmal eine besondere Wucht.
Wenn es um Menschen geht, meinen es Schmidts Sätze meistens bös. Das kann witzig wirken, oder aber snobistisch und schmallippig.
Schmidt-Enthusiast Bernd Rauschenbach: "Ich kann nichts Schmallippiges an ihm finden. Ich finde den Reichtum seiner Sprache ziemlich einzigartig in der deutschen Nachkriegsliteratur. Ich finde seinen Humor großartig. Ich finde die Art und Weise, wie er aus einem Nichts, aus Alltäglichkeiten, die jeder erleben könnte, wenn er die Augen aufmacht, Literatur macht - also diese Mischung von Banalität und großer Kunst, die find ich wunderbar."
Arno Schmidts Texte haben schon immer ein geteiltes Echo hervorgerufen. Autoritärer Berserker oder Jahrhundertliterat? Die Meinungen gehen auseinander, aber sie sind immer dezidiert. Schmidt lässt niemanden kalt. Allein schon deshalb lohnt es sich, "Kühe in Halbtrauer" anzuhören. Und wegen Schmidts eigensinniger Orthographie ist Hören auf jeden Fall die bessere Option. Kersten, Rauschenbach und Reemtsma lieben Schmidt und lesen ihn auch so. Das öffnet den Zugang.
Besprochen von Brigitte Neumann
Arno Schmidt: Kühe in Halbtrauer
Gelesen von Joachim Kersten, Bernd Rauschenbach und Jan Philipp Reemtsma
Hoffmann und Campe Verlag, Hamburg 2009
10 CDs, 49,95 Euro
Jan Philipp Reemtsma, Vorsitzender der Arno Schmidt Stiftung, liest aus der Erzählung "Kühe in Halbtrauer" - gelassen, gut gestimmt, verständig. Ihm zuzuhören macht sogar dann noch Spaß, wenn man inhaltlich auf dem Schlauch steht. Die anderen beiden Vorleser fallen dagegen ein wenig ab. Joachim Kersten, im Hauptberuf Rechtsanwalt, neigt zum entspannten Schnarren...
"'Ah = Heu. Ahoi!', sagte es süß und kraftvoll hinter uns, wie man eben sechs Fuß groß und zwei Zentner schwer, es zu sagen vermag. Mit anderen Worten: Gretchen! Ergo war die Gefahr nicht so übermäßig, denn sie tat gern verständnisvoll - handfest mit uns Männern. Ob sie's tatsächlich war, stand wieder auf einem ander'n Brett."
...und Bernd Rauschenbach, Schmidt-Archivar und -Herausgeber, gibt weniger den Vorleser als vielmehr den Ausrufer.
"Dabei, was soll denn das alles? Narven merren, klöder drahlen, flappe zullen... Also, mir soll keiner von Avantgarde vorprahlen, und wenn er so lange Haare dran hat."
Arno Schmidt hatte weder lange Haare, noch gehörte er zur Avantgarde - denn das würde voraussetzen, dass ihm auf seinem Weg der radikalen Literaturerneuerung jemand nachgefolgt wäre. Das war nicht der Fall. Arno Schmidt blieb eine singuläre Erscheinung. In der Nachkriegszeit hat man den Mut des Hamburgers bewundert, die deutsche Orthographie durchzuschütteln und pointillistische Erzählungen ohne Handlung, dafür mit dickem akademischem Unterfutter zu schreiben.
Kersten: "Er konnte die dicken Worte nicht lassen. Je nun - es war halt sein Beruf. Die Leute wollen's ja auch so."
Die Bewunderung früher galt vielleicht Schmidts literarischer Unangepasstheit. Heute, 50 Jahre später, wiedergelesen oder vielmehr wiedergehört, mögen seine Texte auf nicht wenige Literaturliebhaber eher scheinriesig und auch bemüht unverständlich wirken.
Jan Philipp Reemtsma, bei der Hörbuchpräsentation in Hamburg abgepasst, kann solche Vorbehalte nicht verstehen:
"In Ihren Worten klingt mir eine bestimmte Erwartung an, was man gerne von einem Autor hören möchte. Die ist aber nie gerechtfertigt. Der Autor schreibt ja nicht für Sie! Er schreibt auch nicht für sich selber. Sondern er schreibt."
Schmidt schreibt also. Aber wie? Der Autor selbst sagte: in Foto-Text-Einheiten. Klick - da ist das Bild. Ein alternder Künstler strandet in einer Dorfschenke und trifft dort auf drei junge, ausgelassene Frauen. Er nennt sie "die Jägermädchen". Zu jedem Bild gehört ein gedanklicher Hof, so wollte es der Autor. Zu unserem Beispiel aus der Erzählung "Caliban über Setebos" gehört dieser hier:
Reemtsma: "Sicher, 'ne dumme Frau ist 'ne Strafe. Obschon 'ne intellektuelle platterdings unerträglich sein müsste, aber ausgerechnet die Sorte hier. 'Mäuschen halt die Füße ruhig!' Wer die längere Zeit am Halse gehabt hätte, würde garantiert 100 Glas Grog ausgeben, wenn er sie dadurch wieder los würde."
Arno Schmidt als Macho der norddeutschen Tiefebene. Seine Lust an der Verachtung trifft aber eigentlich jede der von ihm beschriebenen Figuren, nicht nur Frauen. Mit der sexuellen Konnotation erhält sie jedoch noch einmal eine besondere Wucht.
Wenn es um Menschen geht, meinen es Schmidts Sätze meistens bös. Das kann witzig wirken, oder aber snobistisch und schmallippig.
Schmidt-Enthusiast Bernd Rauschenbach: "Ich kann nichts Schmallippiges an ihm finden. Ich finde den Reichtum seiner Sprache ziemlich einzigartig in der deutschen Nachkriegsliteratur. Ich finde seinen Humor großartig. Ich finde die Art und Weise, wie er aus einem Nichts, aus Alltäglichkeiten, die jeder erleben könnte, wenn er die Augen aufmacht, Literatur macht - also diese Mischung von Banalität und großer Kunst, die find ich wunderbar."
Arno Schmidts Texte haben schon immer ein geteiltes Echo hervorgerufen. Autoritärer Berserker oder Jahrhundertliterat? Die Meinungen gehen auseinander, aber sie sind immer dezidiert. Schmidt lässt niemanden kalt. Allein schon deshalb lohnt es sich, "Kühe in Halbtrauer" anzuhören. Und wegen Schmidts eigensinniger Orthographie ist Hören auf jeden Fall die bessere Option. Kersten, Rauschenbach und Reemtsma lieben Schmidt und lesen ihn auch so. Das öffnet den Zugang.
Besprochen von Brigitte Neumann
Arno Schmidt: Kühe in Halbtrauer
Gelesen von Joachim Kersten, Bernd Rauschenbach und Jan Philipp Reemtsma
Hoffmann und Campe Verlag, Hamburg 2009
10 CDs, 49,95 Euro