Notizen eines Widerstandskämpfers
Helmuth James von Moltke gehörte zum Widerstand gegen das Hitler-Regime. Ein halbes Jahr vor dem Attentat auf den Diktator wurde er verhaftet. Seine Tagebucheinträge und seine Briefe an seine Frau Freya aus den Jahren 44/45 sind nun in dem Band "Im Land der Gottlosen" erschienen.
Der 20. Juli 1944 liegt schon mehr als 60 Jahre zurück. Aber die Diskussion über die Beweggründe der Handelnden und neue Erkenntnisse über die, die sich in vorletzter Minute dazu entschlossen, das Ansehen Deutschlands zu retten, hören nicht auf.
Zu den eindringlichsten, nobelsten Gestalten des deutschen Widerstandes gehört zweifellos Helmut James von Moltke, in gewisser Hinsicht wie Hans von Dohnanyi ein Außenseiter im Kreis der Verschwörer. Denn dank seines Elternhauses gehörte er zu den wenigen Hitler-Gegnern mit Kenntnis des Auslands und internationalen Verbindungen. Freunde in Großbritannien waren die Adressaten seiner Vorstöße, bei denen er die Appeasement-Politik Londons kritisierte und das verbrecherische NS-Regime eindringlich schilderte. Aber Großbritannien hörte nicht hin.
Von den mehr als 1000 Briefen, die er innerhalb von 15 Jahren mit Freya, seiner Frau, austauschte, sind jetzt in der von Günter Brakelmann sorgfältig herausgegebenen Edition zusammen mit einem Gefängnistagebuch wichtige Zeugnisse aus der Zeit von 1944/45 erschienen. Sie zeigen einen fürsorglichen Familienvater, der sich eingehend für das Wohlergehen seiner Familie und die Tagesarbeit auf Gut Kreisau interessiert. Es sind aber auch Zeugnisse eines bedrängten Christen von hoher literarischer Qualität. Es muss die Nachgeborenen nachdenklich stimmen, wenn Helmuth James von Moltke das Deutschland, das ihn und die anderen Akteure des 20. Juli 1944 verlassen hatte, bei der Lektüre des Kirchenvaters Augustin im Konzentrationslager Ravensbrück im Februar 1944 festhält:
"Dies hier ist ein gottloses Land. Seit ich hier bin, habe ich noch keine Kirchenglocke gehört, dabei ist Fürstenberg gar kein kleiner Ort. Das hauptsächliche Geräusch ist das Hundegebell, an dem wohl über einige hundert mitwirken. Sonntags hört man dann während der Kirchzeit Marschlieder, offenbar der Hitler-Jugend und der Lagerinsassen, die ausgeführt werden. Das Fehlen der Kirchenglocken stört mich riesig."
Kraft holt Helmut James von Moltke aus dem Studium der Heiligen Schrift.
"Übrigens, bei der langanhaltenden Lektüre des Alten Testaments ist doch eines beeindruckend: das Ganze ist eine Illustration zum ersten der zehn Gebote. Alle anderen Gebote sind letztlich subsidiär und der Schlüssel liegt immer im ersten Gebot. Mir ist das nie so klar geworden wie jetzt, und ich habe doch so mehr oder minder in der Vorstellung gelebt, das erste Gebot beziehe sich auf den Götzendienst in seiner üblichen Form und sei daher nicht so aktuell wie die anderen. Aber das ist alles Unsinn. Am ersten Gebot hängt alles und ich fasse mich an den Kopf und frage mich, wie es möglich ist, dass ich so etwas auf der Hand Liegendes nicht gesehen habe."
Der Jurist und Völkerrechtler befasst sich mit Kriegsverbrechen der deutschen Wehrmacht. Mithilfe des sogenannten "Kreisauer Kreises" knüpft er konspirative Kontakte zu Widerstandskreisen im Ausland und arbeitet mit seinen Mitstreitern aus Kirchen, Gewerkschaften und Parteien an einem freiheitlichen, demokratischen und sozialen Gegenentwurf zum nationalsozialistischen Unrechtsstaat. Am 19. Januar 1944, also ein gutes halbes Jahr vor dem Attentat auf Hitler, wird von Moltke verhaftet. Einen Tag später schreibt er:
"Da ich nicht erwarten kann, während meiner Anwesenheit in der Prinz-Albrecht-Straße so regelmäßig an Dich zu schreiben, wie ich es sonst gewohnt war, so will ich hier ein kleines Tagebuch führen. Vielleicht erlaubt man mir später, es mitzunehmen, und dann erfährst Du, wenn auch nachträglich, was ich tat. Und welches Buch könnte dafür geeigneter sein als dieses mir von Casparchen geschenkte, mir als Tagebuch zu dienen?"
"Casparchen" ist einer der beiden Söhne. Wenige Tage später, am 23. Januar 1944, hält Helmut James von Moltke fest:
"Ich habe heute auch den Sonntag damit angefangen, an Freya zu schreiben. Es war ein großer Genuss, denn ich wurde im Geiste mitten in mein Haus versetzt und fühlte mich den Meinen viel näher als an normalen Tagen, wenn die Arbeit und die Besprechungen mir den Kopf füllen. — Überhaupt sitze ich manchmal zurückgelehnt mit geschlossenen Augen und denke an die Meinen. All mein Leben mit ihnen steht mir dann vor Augen, im Haus, die Wege über die Felder, Wege im Dorf, das Herumkriechen im Hof, die Christnacht in der Kirche, Weihnachtsbescherungen bei Schwester, Besucher im Berghaus und friedliche Stunden am Schreibtisch und in Freyas Zimmer. Mein Gott, wie reich bin ich doch und wie wenig weiß ich es an normalen Tagen."
Auf der letzten Station seiner Gefängnis-Odyssee, nach Ravensbrück und der Prinz-Albrecht-Straße kommt Helmuth von Moltke nach Tegel und schreibt am 28. Dezember 1944:
"... Ein merkwürdiges Jahr geht für mich zu Ende. Ich habe es eigentlich vor allem unter Leuten verbracht, die für einen gewaltsamen Tod präpariert wurden, und viele von denen haben ihn inzwischen erlitten: So endet das Jahr, das ich in unmittelbarer und ganz vertrauter, ich möchte sagen vertraulicher Nachbarschaft mit dem Tode verbracht habe, in einem Widerstandswillen, der viel entschlossener ist, als er es auch nur am 19. Januar war, oder vielmehr am 24.01. - Und trotzdem, mein Herz, muss ich jeden Augenblick freudig bereit sein zu sterben, dieses Gefühl, dafür bereit zu sein und sich ohne Widerstand gegen Gott darein zuschicken, wenn er es befiehlt, das muss ich mir erhalten."
Helmuth James von Moltke wurde am 23. Januar 1945 in Plötzensee gehenkt.
Helmuth James von Moltke: Im Land der Gottlosen - Tagebuch und Briefe aus der Haft 1944/45
Verlag C.H.Beck, München
Zu den eindringlichsten, nobelsten Gestalten des deutschen Widerstandes gehört zweifellos Helmut James von Moltke, in gewisser Hinsicht wie Hans von Dohnanyi ein Außenseiter im Kreis der Verschwörer. Denn dank seines Elternhauses gehörte er zu den wenigen Hitler-Gegnern mit Kenntnis des Auslands und internationalen Verbindungen. Freunde in Großbritannien waren die Adressaten seiner Vorstöße, bei denen er die Appeasement-Politik Londons kritisierte und das verbrecherische NS-Regime eindringlich schilderte. Aber Großbritannien hörte nicht hin.
Von den mehr als 1000 Briefen, die er innerhalb von 15 Jahren mit Freya, seiner Frau, austauschte, sind jetzt in der von Günter Brakelmann sorgfältig herausgegebenen Edition zusammen mit einem Gefängnistagebuch wichtige Zeugnisse aus der Zeit von 1944/45 erschienen. Sie zeigen einen fürsorglichen Familienvater, der sich eingehend für das Wohlergehen seiner Familie und die Tagesarbeit auf Gut Kreisau interessiert. Es sind aber auch Zeugnisse eines bedrängten Christen von hoher literarischer Qualität. Es muss die Nachgeborenen nachdenklich stimmen, wenn Helmuth James von Moltke das Deutschland, das ihn und die anderen Akteure des 20. Juli 1944 verlassen hatte, bei der Lektüre des Kirchenvaters Augustin im Konzentrationslager Ravensbrück im Februar 1944 festhält:
"Dies hier ist ein gottloses Land. Seit ich hier bin, habe ich noch keine Kirchenglocke gehört, dabei ist Fürstenberg gar kein kleiner Ort. Das hauptsächliche Geräusch ist das Hundegebell, an dem wohl über einige hundert mitwirken. Sonntags hört man dann während der Kirchzeit Marschlieder, offenbar der Hitler-Jugend und der Lagerinsassen, die ausgeführt werden. Das Fehlen der Kirchenglocken stört mich riesig."
Kraft holt Helmut James von Moltke aus dem Studium der Heiligen Schrift.
"Übrigens, bei der langanhaltenden Lektüre des Alten Testaments ist doch eines beeindruckend: das Ganze ist eine Illustration zum ersten der zehn Gebote. Alle anderen Gebote sind letztlich subsidiär und der Schlüssel liegt immer im ersten Gebot. Mir ist das nie so klar geworden wie jetzt, und ich habe doch so mehr oder minder in der Vorstellung gelebt, das erste Gebot beziehe sich auf den Götzendienst in seiner üblichen Form und sei daher nicht so aktuell wie die anderen. Aber das ist alles Unsinn. Am ersten Gebot hängt alles und ich fasse mich an den Kopf und frage mich, wie es möglich ist, dass ich so etwas auf der Hand Liegendes nicht gesehen habe."
Der Jurist und Völkerrechtler befasst sich mit Kriegsverbrechen der deutschen Wehrmacht. Mithilfe des sogenannten "Kreisauer Kreises" knüpft er konspirative Kontakte zu Widerstandskreisen im Ausland und arbeitet mit seinen Mitstreitern aus Kirchen, Gewerkschaften und Parteien an einem freiheitlichen, demokratischen und sozialen Gegenentwurf zum nationalsozialistischen Unrechtsstaat. Am 19. Januar 1944, also ein gutes halbes Jahr vor dem Attentat auf Hitler, wird von Moltke verhaftet. Einen Tag später schreibt er:
"Da ich nicht erwarten kann, während meiner Anwesenheit in der Prinz-Albrecht-Straße so regelmäßig an Dich zu schreiben, wie ich es sonst gewohnt war, so will ich hier ein kleines Tagebuch führen. Vielleicht erlaubt man mir später, es mitzunehmen, und dann erfährst Du, wenn auch nachträglich, was ich tat. Und welches Buch könnte dafür geeigneter sein als dieses mir von Casparchen geschenkte, mir als Tagebuch zu dienen?"
"Casparchen" ist einer der beiden Söhne. Wenige Tage später, am 23. Januar 1944, hält Helmut James von Moltke fest:
"Ich habe heute auch den Sonntag damit angefangen, an Freya zu schreiben. Es war ein großer Genuss, denn ich wurde im Geiste mitten in mein Haus versetzt und fühlte mich den Meinen viel näher als an normalen Tagen, wenn die Arbeit und die Besprechungen mir den Kopf füllen. — Überhaupt sitze ich manchmal zurückgelehnt mit geschlossenen Augen und denke an die Meinen. All mein Leben mit ihnen steht mir dann vor Augen, im Haus, die Wege über die Felder, Wege im Dorf, das Herumkriechen im Hof, die Christnacht in der Kirche, Weihnachtsbescherungen bei Schwester, Besucher im Berghaus und friedliche Stunden am Schreibtisch und in Freyas Zimmer. Mein Gott, wie reich bin ich doch und wie wenig weiß ich es an normalen Tagen."
Auf der letzten Station seiner Gefängnis-Odyssee, nach Ravensbrück und der Prinz-Albrecht-Straße kommt Helmuth von Moltke nach Tegel und schreibt am 28. Dezember 1944:
"... Ein merkwürdiges Jahr geht für mich zu Ende. Ich habe es eigentlich vor allem unter Leuten verbracht, die für einen gewaltsamen Tod präpariert wurden, und viele von denen haben ihn inzwischen erlitten: So endet das Jahr, das ich in unmittelbarer und ganz vertrauter, ich möchte sagen vertraulicher Nachbarschaft mit dem Tode verbracht habe, in einem Widerstandswillen, der viel entschlossener ist, als er es auch nur am 19. Januar war, oder vielmehr am 24.01. - Und trotzdem, mein Herz, muss ich jeden Augenblick freudig bereit sein zu sterben, dieses Gefühl, dafür bereit zu sein und sich ohne Widerstand gegen Gott darein zuschicken, wenn er es befiehlt, das muss ich mir erhalten."
Helmuth James von Moltke wurde am 23. Januar 1945 in Plötzensee gehenkt.
Helmuth James von Moltke: Im Land der Gottlosen - Tagebuch und Briefe aus der Haft 1944/45
Verlag C.H.Beck, München