Notstandsgesetz gegen Trucker

Die Grenzen des zivilen Ungehorsams

06:03 Minuten
Protestblockade in Kanada, ein Mann aus der Menschenmenge mit kanadischer Flagge um den Hals schreit die Polizeibeamten an, 12. Februar 2022.
Polizeieinsatz gegen protestierende Trucker: Blockaden legten die kanadische Hauptstadt tagelang lahm. © Getty Images / Cole Burston
Stefan Gosepath im Gespräch mit Jana Münkel |
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Kanada hat den Notstand ausgerufen, um die Proteste von Truckern gegen Corona-Schutzmaßnahmen aufzulösen. Der Moralphilosoph Stefan Gosepath hält das für unverhältnismäßig. Die Aussetzung der Bürgerrechte treffe zu viele Unbeteiligte.
Angesichts der seit Wochen anhaltenden Trucker-Proteste gegen seine Corona-Politik hat Kanadas Premierminister Justin Trudeau den nationalen Notstand verhängt.
Das dazugehörige Gesetz erlaubt es der Regierung, Bürgerrechte für bis zu 30 Tage außer Kraft zu setzen, um die öffentliche Ordnung wiederherzustellen. Es stammt aus dem Jahr 1988 und kommt zum ersten Mal zur Anwendung. Stefan Gosepath, Professor für Praktische Philosophie an der Freien Universität Berlin, kritisiert diesen Schritt als völlig überzogen.

Mit Kanonen auf Spatzen

Das sei "wie mit Kanonen auf Spatzen schießen", sagt Gosepath. Er wundere sich, dass die kanadische Regierung nicht in der Lage sei, die Proteste in Ottawa aufzulösen, ohne zu derart drastischen Maßnahmen zu greifen. "Es trifft viel zu viele, die gar nichts mit diesem Protest zu tun haben", betont der Philosoph.
Dass es sich um einen Akt von zivilem Ungehorsam handelt, wie es die Protestierenden für sich in Anspruch nehmen, leuchtet Gosepath allerdings auch nicht ein: "Es liegt kein grobes Unrecht vor, wenn auch Trucker dazu verpflichtet werden, sich an Gesundheitsstandards zu halten." Die Proteste kämen ihm eher wie "ein egoistisches Manöver" vor.
Trucker blockieren die Strassen in Ottawa, ein Polizeiwagen steht quer davor. Kanada, 11.Februar 2022.
Stillstand in Ottawa: Trucker blockieren die Straßen.© picture alliance / Anadolu Agency / Kadri Mohamed
In diesem Punkt unterscheide sich der Protest der kanadischen Trucker auch deutlich von den Straßenblockaden der Initiative "Aufstand der letzten Generation" in verschiedenen deutschen Städten, sagt Gosepath. Denn indem diese Gruppe sich für eine konsequentere Klimapolitik und gegen die Verschwendung von Lebensmitteln engagiere, verfolge sie Ziele im Sinne des Allgemeinwohls.

Freiheits-Spielraum überdehnt

Wenn die Protestierenden in Kanada geltend machten, es ginge ihnen nur darum, ihre persönliche Freiheit zu verteidigen, missachteten sie den Grundsatz, dass Freiheitsrechte dort ihre Grenzen fänden, wo sie die Freiheit anderer zu stark beschränkten:
"Wenn ich zum Beispiel mit meiner Freiheits-Ausübung jemand anders stark gefährde und der oder die deshalb ihre Freiheit nicht ausüben kann – weil sie nämlich dadurch krank wird oder gegebenenfalls auch stirbt –, dann überdehne ich meinen eigenen Freiheits-Spielraum. Ich darf meine Freiheit nicht so weit ausdehnen, dass die anderen nicht die gleichen Chancen haben, ihre Freiheit auszuleben."
(fka)
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