Novelle mit wackliger Handkamera
Eine Art Königsdrama am Gardasee legt Bodo Kirchhoff mit seinem neuen Buch vor. Im Mittelpunkt steht ein Mann, der fürstlich "der Principale" genannt wird und über eine Bestechungsaffäre stolpert. Der Enkel nimmt ihn mit der Kamera ins Visier. Sein Film über die an Peter Hartz angelehnte Großvatergestalt soll das Bewerbungsstück an der Filmhochschule werden.
In längst vergangenen Zeiten hat die Literatur viel Ehrgeiz daran gesetzt, Machtmenschen darzustellen. Man denke nur an Shakespeare und seine großformatig strauchelnden Könige, an Macbeth, Lear oder Richard. Im 20. Jahrhundert dagegen wurden der "Durchschnittsmensch" und sein Innenleben das große Thema von Romanen und Erzählungen. Die Weltmänner fanden ihr Forum eher in der Polit-Talk-Show.
So ist es ein interessantes Wagnis, wenn Bodo Kirchhoff nun eine Art Königsdrama am Gardasee vorlegt. Im Mittelpunkt ein Mann, der fürstlich "der Principale" genannt wird – ein Deutscher mit italienischer Lebensart, ein Vorstand, ein Manager, ein Arbeitsmarktreformer und Kanzlerfreund. Mit harten Schnitten hat er das Sozialsystem reformiert und über zahlreiche Schicksale bestimmt.
Dann ist er über die Salsa-Bestechungsaffäre gestolpert: kubanische Liebesfreuden für wohlgesonnene Betriebsräte. Eben noch gefeierter Hoffnungsträger, ist er nun ein von den Medien angeprangerter Mann, der seinen 64. Geburtstag in aller Zurückgezogenheit begeht: in der Villa am Gardasee. Mit seinem 18-jährigen Enkel Vigo, der Filmemacher werden will und ständig den Camcorder laufen lässt, unternimmt er eine Fahrt in der Motoryacht. Man ahnt: Der Film über die dubiose, an Peter Hartz angelehnte Großvatergestalt soll das Bewerbungsstück an der Filmhochschule werden.
Natürlich geht es auch um Entlarvung, wenn der Prinzipal freiweg von der tadellos gesunden Leber über Macht, Frauen, Medien, Neidgesellschaft und schwarze Kassen schwadroniert, wenn er sich mit dem "ausgebooteten Churchill" vergleicht. Allerdings wirken die Passagen über seine Korruptionsaffären vergleichsweise lustlos und ein wenig verschwommen – das Thema ist durch alle Magazine gegangen, und Kirchhoff fällt es schwer, ihm noch frische Perspektiven abzugewinnen.
Die Moral ist sowieso klar. Deutlich mehr interessiert den Autor deshalb die Attitüde des Renaissancemenschen, die falsche Wucht, die Spur von Größenwahn, aber auch das tatsächlich vorhandene Charisma, das in den Gebärden und Monologen des "Prinzipals" anschaulich wird. Von daher kann man sogar sagen: nicht Kritik, sondern Faszination ist der Ansatzpunkt des Schriftstellers, auch wenn Kirchhoff an keiner Stelle die Handlungen des Prinzipals rechtfertigt.
Nach zwei Dritteln kippt die Novelle. Es ereignet sich die "unerhörte Begebenheit". Während der fitte, braungebrannte Großvater schwimmt, rettet der Enkel eine vom Himmel gestürzte Kite-Surferin. Hier kommt nun auch die Kirchhoffsche Erotik ins Spiel. Denn natürlich handelt es sich um eine exotische, bildschöne junge Frau; nur leider stumm oder bis auf weiteres sprachlos. Die behutsamen Griffe, mit denen der junge Mann sie birgt, sie abtrocknet, den aufgeplatzten Badeanzug entfernt, bekommen sehr schnell etwas Missverständliches.
Das Mädchen scheint eher einen Vergewaltigungsversuch zu befürchten, und auf die bei soviel Schönheit geradezu unvermeidlichen Küsse ihres Lebensretters reagiert sie zunächst verängstigt. Kurz: Der Enkel, eben noch der wortkarge Ankläger mit der Handkamera, gerät nun selbst ins moralische Dilemma. Der Prinzipal kehrt an Bord zurück und regelt die Angelegenheit mit der ihm eigenen Resolutheit.
Die Kameraperspektive legt Distanz zwischen Enkel und Großvater, sie hat etwas von öffentlicher Vorführung im privatesten Rahmen und gibt dem Prinzipal den äußeren Anstoß zur selbstherrlichen Selbstdarstellung. Und sie bestimmt die Erzähltechnik. Die Novelle ist gewissermaßen mit der wackligen Handkamera aufgenommen. Ständig verweist die Erzählstimme darauf, was gerade durchs Objektiv zu sehen ist. Das wirkt auf Dauer vielleicht ein wenig manieriert, gibt Kirchhoff aber viel Gelegenheit, seine Kunst der Detailgenauigkeit zu praktizieren. Immer wieder fährt die zoomende Kamera Gesicht und Körper des Prinzipals ab, erfasst ihn so mit einem intensiven physiognomischen Blick, der anders kaum zu legitimieren wäre.
Auch in dieser Novelle mit ihren subtilen Beschreibungen der italienischen Landschaft bewährt sich jenes elegante "Parlando", das zum Titel eines Kirchhoffschen Erfolgsromans wurde – lange Sätze mit plauderhaftem Gestus und handwerklicher Exzellenz. Mag das bisweilen auch ein kleines bisschen zu gefällig wirken, mit Genuss liest man dieses solide Produkt eines liebevollen Spracharbeiters.
Rezensiert von Wolfgang Schneider
Bodo Kirchhoff – Der Prinzipal. Novelle.
Frankfurter Verlagsanstalt, Frankfurt a. M. 2007, 123 S., 15,90
So ist es ein interessantes Wagnis, wenn Bodo Kirchhoff nun eine Art Königsdrama am Gardasee vorlegt. Im Mittelpunkt ein Mann, der fürstlich "der Principale" genannt wird – ein Deutscher mit italienischer Lebensart, ein Vorstand, ein Manager, ein Arbeitsmarktreformer und Kanzlerfreund. Mit harten Schnitten hat er das Sozialsystem reformiert und über zahlreiche Schicksale bestimmt.
Dann ist er über die Salsa-Bestechungsaffäre gestolpert: kubanische Liebesfreuden für wohlgesonnene Betriebsräte. Eben noch gefeierter Hoffnungsträger, ist er nun ein von den Medien angeprangerter Mann, der seinen 64. Geburtstag in aller Zurückgezogenheit begeht: in der Villa am Gardasee. Mit seinem 18-jährigen Enkel Vigo, der Filmemacher werden will und ständig den Camcorder laufen lässt, unternimmt er eine Fahrt in der Motoryacht. Man ahnt: Der Film über die dubiose, an Peter Hartz angelehnte Großvatergestalt soll das Bewerbungsstück an der Filmhochschule werden.
Natürlich geht es auch um Entlarvung, wenn der Prinzipal freiweg von der tadellos gesunden Leber über Macht, Frauen, Medien, Neidgesellschaft und schwarze Kassen schwadroniert, wenn er sich mit dem "ausgebooteten Churchill" vergleicht. Allerdings wirken die Passagen über seine Korruptionsaffären vergleichsweise lustlos und ein wenig verschwommen – das Thema ist durch alle Magazine gegangen, und Kirchhoff fällt es schwer, ihm noch frische Perspektiven abzugewinnen.
Die Moral ist sowieso klar. Deutlich mehr interessiert den Autor deshalb die Attitüde des Renaissancemenschen, die falsche Wucht, die Spur von Größenwahn, aber auch das tatsächlich vorhandene Charisma, das in den Gebärden und Monologen des "Prinzipals" anschaulich wird. Von daher kann man sogar sagen: nicht Kritik, sondern Faszination ist der Ansatzpunkt des Schriftstellers, auch wenn Kirchhoff an keiner Stelle die Handlungen des Prinzipals rechtfertigt.
Nach zwei Dritteln kippt die Novelle. Es ereignet sich die "unerhörte Begebenheit". Während der fitte, braungebrannte Großvater schwimmt, rettet der Enkel eine vom Himmel gestürzte Kite-Surferin. Hier kommt nun auch die Kirchhoffsche Erotik ins Spiel. Denn natürlich handelt es sich um eine exotische, bildschöne junge Frau; nur leider stumm oder bis auf weiteres sprachlos. Die behutsamen Griffe, mit denen der junge Mann sie birgt, sie abtrocknet, den aufgeplatzten Badeanzug entfernt, bekommen sehr schnell etwas Missverständliches.
Das Mädchen scheint eher einen Vergewaltigungsversuch zu befürchten, und auf die bei soviel Schönheit geradezu unvermeidlichen Küsse ihres Lebensretters reagiert sie zunächst verängstigt. Kurz: Der Enkel, eben noch der wortkarge Ankläger mit der Handkamera, gerät nun selbst ins moralische Dilemma. Der Prinzipal kehrt an Bord zurück und regelt die Angelegenheit mit der ihm eigenen Resolutheit.
Die Kameraperspektive legt Distanz zwischen Enkel und Großvater, sie hat etwas von öffentlicher Vorführung im privatesten Rahmen und gibt dem Prinzipal den äußeren Anstoß zur selbstherrlichen Selbstdarstellung. Und sie bestimmt die Erzähltechnik. Die Novelle ist gewissermaßen mit der wackligen Handkamera aufgenommen. Ständig verweist die Erzählstimme darauf, was gerade durchs Objektiv zu sehen ist. Das wirkt auf Dauer vielleicht ein wenig manieriert, gibt Kirchhoff aber viel Gelegenheit, seine Kunst der Detailgenauigkeit zu praktizieren. Immer wieder fährt die zoomende Kamera Gesicht und Körper des Prinzipals ab, erfasst ihn so mit einem intensiven physiognomischen Blick, der anders kaum zu legitimieren wäre.
Auch in dieser Novelle mit ihren subtilen Beschreibungen der italienischen Landschaft bewährt sich jenes elegante "Parlando", das zum Titel eines Kirchhoffschen Erfolgsromans wurde – lange Sätze mit plauderhaftem Gestus und handwerklicher Exzellenz. Mag das bisweilen auch ein kleines bisschen zu gefällig wirken, mit Genuss liest man dieses solide Produkt eines liebevollen Spracharbeiters.
Rezensiert von Wolfgang Schneider
Bodo Kirchhoff – Der Prinzipal. Novelle.
Frankfurter Verlagsanstalt, Frankfurt a. M. 2007, 123 S., 15,90