Wie Beate Klarsfeld auf die Neue Rechte blickt
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Beate Klarsfeld kümmerte sich in den Nachkriegsjahrzehnten intensiv um die Aufarbeitung der NS-Geschichte: in der Bundesrepublik, in Frankreich und gemeinsam mit ihrem Mann Serge. Was sagt sie dazu, dass die Neue Rechte in beiden Ländern erstarkt?
Der eine Moment hat sie berühmt gemacht. Die symbolische Tat auf einem CDU-Parteitag 1968. "Ich hatte gefühlt, dass ich historische und moralische Verpflichtungen hatte", sagt Beate Klarsfeld.
Sie gibt sich als Journalistin aus, gelangt aufs Podium, hinter Bundeskanzler Kurt Georg Kiesinger. Der dreht sich um, sie ruft: "Nazi Kiesinger abtreten!" Und sie klatscht ihm ins Gesicht. "Es war die Ohrfeige der jungen Generation gegen die Generation der Väter, der Generation der Nazis", erzählt sie.
Zuvor hatte Beate Klarsfeld immer wieder darauf aufmerksam gemacht, dass Bundeskanzler Kiesinger als ehemaliges NSDAP-Mitglied in Goebbels´ Propagandaministerium gearbeitet hatte. Doch davon wollte die westdeutsche Öffentlichkeit nichts wissen.
"Die politische Gesellschaft war so daran gewöhnt, NS-Verbrecher und Nazis überall zu haben. Im Bundestag, im Auswärtigen Amt", erinnert sich Beate Klarsfeld.
Karrieren vieler ehemaliger Nazis in der Nachkriegszeit
Schon 1951, sechs Jahre nach Kriegsende und zwei Jahre nach Gründung der Bundesrepublik Deutschland, hatte der damalige Bundeskanzler Konrad Adenauer gesagt: "Ich meine, wir sollten jetzt mit der Nazi-Riecherei mal Schluss machen."
Diese Haltung begünstigte die Karrieren vieler ehemaliger Nazis in der Nachkriegszeit. Auch die von Kurt Georg Kiesinger. So gut es ging, wurde die NS-Vergangenheit ausgeblendet. Die Frage nach der Rolle arrivierter Bundesbürger in der NS-Zeit wurde zum Tabu.
Beate Klarsfeld hat die Zeit so erlebt: "Ich bin 1960 als Au-pair-Mädchen nach Frankreich gekommen. Hatte dort meinen späteren Mann kennengelernt. Sein Vater ist in Auschwitz ums Leben gekommen. Wir haben niemals von dem Holocaust erfahren und ich habe dann angefangen, in Frankreich das nachzulesen, was mir in deutschen Schulen nicht beigebracht wurde."
NS-Verbrecher auf der ganzen Welt aufgespürt
Die gemeinsame Auseinandersetzung mit den NS-Verbrechen bewegt Beate Klarsfeld und ihren Mann Serge nach 1969 dazu, unbehelligt gebliebene NS-Verbrecher auf der ganzen Welt aufzuspüren, Informationen über sie zusammenzutragen, damit sie sich vor Gericht verantworten müssen. Mit einem großen medialen Echo.
Die NS-Verbrecher müssen sich zu ihren Taten äußern, wie hier in einem BBC-Interview 1978 der von den Klarsfelds aufgespürte Ernst Heinrichsohn, der Deportationen nach Auschwitz organisiert hatte: "Die Transporte sind zusammengestellt worden, die Transporte sind weggegangen. Ich habe dann ein Fernschreiben machen müssen, Transportnummer soundso ist abgegangen. Gut, war in Ordnung."
In den 70er-Jahren ändert sich in der Bundesrepublik der Umgang mit der Geschichte. Die NS-Verbrechen werden Teil des Schulunterrichts, in vielen Orten erforschen Geschichtsinitiativen, was in der NS-Zeit passiert ist, die TV-Serie "Holocaust" erschüttert 1979 die Gesellschaft. Die Aufarbeitung der NS-Geschichte wird ein zentrales Thema in der bundesdeutschen Gesellschaft. Erinnerung soll gegen die Verführung rechtsextremer Ideologien immun machen.
In Frankreich dauert es etwas länger, bis es zu einer selbstkritischen Aufarbeitung dieser Zeit kommt. Zu mächtig der Gründungsmythos der Fünften Republik, alle Franzosen hätten während der deutschen Besatzung Widerstand geleistet.
1995 ermahnt jedoch Staatspräsident Jacques Chirac sein Volk, die ganze Dimension der Kollaboration des französischen Vichy-Regimes mit dem Deutschen Reich anzuerkennen: "Die Wissenschaft wurde verfälscht. Wir werden nicht zulassen, dass sie jetzt fehlgesteuert wird, um die Leugnung dieses Verbrechens gegen die Wahrheit zu rechtfertigen."
"Wo die Lager waren, sind heute Museen"
Für Beate Klarsfeld ist diese Auseinandersetzung mit der historischen Schuld von entscheidender Bedeutung. Sie setzt auf die Kraft der Aufklärung. Die Erfolge sind sichtbar: "Wo die Lager waren, sind heute Museen. Die Lehrer in Frankreich und Deutschland berichten darüber. Die Kinder reisen nach Auschwitz mit den Lehrern."
Für Beate Klarsfeld ist die historische Aufarbeitung in den vergangenen Jahrzehnten geglückt. Nach der Wiedervereinigung sind in ganz Deutschland die Anstrengungen noch einmal verstärkt worden.
Dennoch nehmen Rechtsextremismus und Rechtsterrorismus zu. Das zeigen die Attentate, die rechtsextremen Aufmärsche und Ausschreitungen der letzten Jahre in Deutschland. Wie ist das für Beate Klarsfeld erklärbar?
"Diejenigen, die diese Taten begehen, reisen nicht nach Auschwitz. Das interessiert die gar nicht. Die sitzen in ihrem sozialen Netz und sehen nur, was sie sehen wollen", erklärt sie.
Rechten Terror besser bekämpfen
In Deutschland gebe es zwar Organisationen wie Exit, die Menschen helfen, aus der rechtsextremen Szene auszusteigen. Die elf Jahre währende Mordserie des NSU habe jedoch gezeigt, wie schlecht der Staat im Kampf gegen rechten Terror aufgestellt gewesen sei.
"Hanau, Lübcke, Halle. Die Polizei war nicht gut darauf vorbereitet", kritisiert Beate Klarsfeld. "Sie hätte wahrscheinlich einiges verhindern können. Wir haben den NSU-Prozess in München gesehen. Wie viel sitzen da ein? Vielleicht ein oder zwei. Im Allgemeinen, die sind sehr gut der Verurteilung entkommen."
In Frankreich ist die Ausgangslage etwas anders, sagt sie: "Wir haben das Problem der Kolonien in Frankreich, aber eben auch der vielen Muslime, die hier leben. Es sind vor allem die Muslime, die hier Attentate auf Juden ausführen."
So wie der Mordfall Sarah Halimi 2017. Antisemitische Motive des muslimischen Täters wurden hier von Polizei, Justiz und Medien heruntergespielt. Wasser auf die Mühlen der rechtsextremen Partei Rassemblement National, die sich in einem früher unvorstellbaren Aufschwung befindet.
"Bei den nächsten Präsidentschaftswahlen kann es Macron gegen Marine Le Pen geben", fürchtet Beate Klarsfeld. Und laut aktueller Umfragen wäre es bei einer Stichwahl anders als vor fünf Jahren noch offen, wer sie gewänne. Das beunruhigt Beate Klarsfeld. Schließlich hat sie ihr Leben lang gegen die Schatten der NS-Barbarei und den Rechtsextremismus gekämpft.
Die Kiesinger-Ohrfeige 1968 war Ausdruck der kollektiven Wut der jungen Generation gegen die Verantwortung ihrer Eltern, von, wie Beate Klarsfeld sich ausdrückte, einem Nazi regiert zu werden. Was folgte, waren Aufarbeitung und Aufklärung sowohl in Deutschland als auch in Frankreich. Der Grund für die 68er-Wut entfiel.
Jugendliche für die Gefahr von rechts sensibilisieren
Und der heutigen Jugend gehe es um andere Themen, sagt Beate Klarsfeld: "Die haben den Klimaschutz, da sind sie sehrt engagiert, die jungen Leute. Aber gegen die Gefahr der Rechtsextremen, da muss bei den Jugendlichen mehr Druck gegen ausgeübt werden."
In Frankreich gelingt es Marine Le Pen, das Faschistoide, das in ihrer Partei steckt, auf Youtube und Instagram zu überspielen, wenn von Marine Le Pen anheimelnde Videos gepostet werden, in denen sie mit ihrer Katze spielt.
Mehr denn je stellt sich die Frage: Welche nachhaltige Wirkung haben die Mühen der Aufarbeitung, wenn solche PR in der Lage sein sollte, eine ultrarechte Kandidatin für die Mitte der Gesellschaft wählbar zu machen? Derweil versucht die AfD in Deutschland, sich als Partei einer neuen Normalität darzustellen.
"Dass die AfD heute die stärkste Oppositionspartei im Bundestag ist, ist natürlich eine Gefahr und muss uns natürlich davon abhalten, denjenigen zu wählen, der die Gefahr bringen kann. Das heißt, die AfD", sagt Beate Klarsfeld.