Wie Luxus-Wohnungen in Prora die Geschichte überdecken
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In Prora, wo die Nazis einst Massenunterkünfte planten und dann Kasernen der DDR-Armee waren, entstehen nun luxuriöse Ferienwohnungen. Doch mit dem Bauboom am Ostsee-Strand auf Rügen verschwindet die in Teilen noch sichtbare Geschichte.
Am menschenleeren Strand zerrt der Wind an den Fahnen. "Neues Prora" steht darauf. Es sind nur noch Fahnenreste, ausgefranst und verblichen. Auch die Plakate, die ein "Neues Prora" ankündigen, sind halb abgerissen.
Die Berliner Firma ist insolvent, die das 100-Millionen-Euro-Projekt anpackte und Block eins der Häuserzeile sanierte. Zu 98 Prozent ist das fast 500 Meter lange Haus fertig gestellt, die Wohnungen sind verkauft. Da kann eigentlich nichts mehr schief gehen, dachte Romy Guruz, Bauamtsleiterin und stellvertretende Bürgermeisterin der Gemeinde Binz, zu der Prora gehört.
"Dann ereilte uns letztes Jahr die Insolvenz des Investors. Da waren alle erstmal ganz schön unter Schock. Zumal es von außen soweit fertig aussah. Und auch so ein bisschen die Frage auftauchte, warum das jetzt noch so weit kommen musste. Aber dadurch, dass hier alles im Privatbesitz ist, ist die Gemeinde völlig außen vor."
Nicht nur die Eigentümer der Wohnungen, auch die Gemeinde ist ausgebremst durch die Insolvenz des Investors, z.B. beim Wegebau. Und nicht zuletzt hat es einheimische Firmen getroffen, die am Bau beteiligt waren.
"Leider direkt Binzer vor Ort – und mit nicht kleinen Beträgen."
Farbe wurde gewechselt
Vor allem die Außenanlagen vor dem ersten Block müssen noch fertig gestellt werden. Im Moment tut sich dort jedoch wenig. Dafür wird am dritten und vierten Block heftig gebaut. Große Abschnitte haben schon die Farbe gewechselt: Aus Braun mach Weiß.
Der düster schmuddelige Putz der ehemaligen Kaserne der Nationalen Volksarmee (NVA), der Jahrzehnte das Bild von Prora prägte, weicht einem freundlich edlen Cremeweiß. Hotels und Ferienwohnungen statt Kasernen und Panzergaragen.
Geplant und gebaut bis 1939 als gigantischer Urlaubsort für 20.000 "Kraft durch Freude"-Urlauber, ist die Anlage nie in Betrieb gegangen. Erst nach dem Krieg wurde der Rohbau fertig gestellt, komplett abgesperrt und militärisch genutzt. Seit der Wende ist Prora, der Nachbarort des weiß strahlenden Seebads Binz, ein Denkmal.
"Das gute und das böse Denkmal. Alle lieben die weiße Bäderarchitektur, aber zu Prora haben viele ein gespaltenes Verhältnis. Und es ist aber im Prinzip auch ein Denkmal und hat dadurch seine Berechtigung bekommen. Und die Schwierigkeit, wenn Sie sich jetzt umschauen, liegt darin, dass wir hier aus dem Nichts einen Ort machen oder: Wir haben eine Zeile, und nun müssen wir ringsum einen Ort entwickeln. Das ist die Hauptherausforderung: Es gibt keinen Ort zu dem, was da ist", erklärt die stellvertretende Bürgermeisterin Romy Guruz.
Neues Zentrum geplant
Der Ort, den es noch gar nicht richtig gibt. Schnell hat man ihn mit dem Auto durchquert. Man stelle sich zwei kilometerlange Parallelstraßen vor, eine vorn am Strand vor der gigantischen Häuserzeile , die andere hinter einer Mischung aus Wald- und Brachflächen. Scheinbar planlos dazwischen gestreut alte NVA-Hallen, -Schuppen und -Garagen, eine halb abgerissene Schule und einige Wohngebäude.
"Jetzt fahren wir gerade durch meine beiden Hauptbaustellen. Hier auf der rechten Seite entstehen drei neue Straßen Richtung Block vier. Da kommt eine richtige Fußgängerzone hin mit viel Kleingewerbeeinheiten, ein Supermarkt. Alles, was man so zum täglichen Bedarf braucht, das wird hier dieses ganze Areal", sagt Bauamtsleiterin Romy Guruz.
Im Sommer schon soll Prora sein neues kleines Zentrum bekommen. Man kann es nur ahnen, noch sind die Erdarbeiten im Gange. Wie die Geschäfte hier wohl außerhalb der Saison hier überleben werden? Von den wenigen Lädchen, Bars und Cafés, die bisher in den sanierten Blocks am Strand entstanden sind, haben die meisten außerhalb der Saison geschlossen.
"Das ist so zweischneidig. Wenn man eine Wohnung kauft und die dann nur eine Woche im Jahr nutzt, dann funktioniert der Ort hintendran nicht", erklärt Romy Guruz.
Schritt für Schritt
2018 bekam Prora den Status eines Erholungsortes zuerkannt. Und kann nun Kurabgabe kassieren – wobei Service, Orte für öffentliche Veranstaltungen, Einkaufsmöglichkeiten, Bibliothek, Konzertplatz und womit derart geadelte Orte sonst glänzen, hier noch fehlen.
Wenn man parkt, sieht man am herumliegenden Papier, dass selbst Toiletten knapp sind. Die drei neuen Anlagen am Strand reichen beim sommerlichen Ansturm von Besuchern und Badegästen nicht aus. Doch es kann alles nur Schritt für Schritt geschehen.
"Die ganz große Herausforderung liegt immer noch in der Entwicklung der großen Mitte, wo im Moment der Wald ist, wo die Kaimauer steht und die Überlegung ist, was da alles hin könnte. Marina oder keine Marina, Heilwald oder doch lieber ein Park? Das sind Sachen, die müssen gemeinsam mit der Politik entwickelt werden. Und auch das geht nur Schritt für Schritt. Ich hoffe, dass in 20 Jahren ein Lebensgefühl hier Einzug hält, eine Identität in den Bewohnern herangewachsen ist", sagt Romy Guruz.
Museum musste weichen
Identität mit Prora? Für Thomas Wolff hat sie einen Knacks bekommen. Der ehemalige NVA-Offizier hatte im Block drei die "KulturKunststatt Prora" mit aufgebaut. Ein Sammelsurium aus KdF- und NVA-Museum, Kunsthandwerk- und Technikausstellung. Im Herbst 2018 musste Wolff die Türen für immer zuschließen – der Umbau zu Ferienwohnungen begann auch dort.
"Wenn man über 20 Jahre in so einem Museum arbeitet, dann ist das ein Stück des eigenen Lebens. Das will man nicht einfach über Bord werfen, weil es nicht so läuft, wie man es gerne hätte. Insofern wollen wir nicht kampflos aufgeben."
Ein neues Quartier wird gesucht. Eine alte Armeehalle umbauen oder etwas Neues hinstellen, es wird so oder so teuer für die private Initiative, die ebenso wie Künstler, Vereine und Bildungsstätten vom Bauboom verdrängt wurden und werden.
"Man sagt ja so schön: Betongold. So klingt es gerade im Moment. Was am Ende draus wird, das weiß wahrscheinlich keiner. Also, was man in Binz sieht, das ist Kölner Karneval hoch drei. Binz hat eine Auslastungsquote, die knackt regelmäßig sämtliche Rekorde. Meck-Pomm hatte, glaube, ich 30 Millionen, Binz 2,2 Millionen. Das ist Irrsinn."
Aufschwung durch Bauboom
Massentourismus möchte man ja eigentlich an der Binzer Bucht, so der neue Marketing-Name für Binz und Prora, vermeiden. Zumindest im Sommer besteht dafür auf lange Sicht wohl keine Chance.
"25 Jahre fast hat man den Eindruck gehabt, niemand interessiert sich für Prora. Und dann gab es so einen Knall und das Ding hat sich so schnell entwickelt – das waren alle sehr überrascht."
Für diesen Knall sorgte der Berliner Investor und Projektentwickler Ulrich Busch. Er schaffte es, dass der Denkmalschutz seine Auflagen lockerte und zum Beispiel Balkone erlaubte. Und, dass die Gemeinde mehr Ferienwohnungen zuließ - ihre Forderung nach mehr Dauerwohnungen hatte Investoren abgeschreckt.
Ulrich Busch sanierte Block zwei und gab ihm den Namen "Prora Solitaire". Wer dort in der Hotellobby steht, kommt sich sehr klein vor. Eine gigantische Tür, Holz, Kassettenbauweise, es wirkt wie eine Kulisse aus dem Kinofilm "Der Untergang" über Hitlers letzte Tage.
"Fast fünf Meter, die Decke ist sechs Meter. Da passt natürlich die Tür zur Größe der Anlage. Das sollte sich schon im Kleinteiligen wiederfinden. Also, da haben wir uns so en bisschen an den damaligen Stil angelehnt. Richtige deutsche Eiche …"
Niedrige Decken bleiben erhalten
Gerade ist Ulrich Busch dabei, die letzten Quadratmeter des Blocks zu sanieren: die sogenannten Liegehallen. Hier sollten sich die "Volksgenossen" einst in großen, offenen Bereichen an der frischen Luft erholen. Die Decken sind jedoch sehr niedrig, den heutigen Nutzern würden sie auf den Kopf fallen. Nun entstehen hier zweigeschossige, loftartige Ferienwohnungen, erklärt Ulrich Busch:
"Hier befinden wir uns im begehbaren Kleiderschrank. Hier ist das Kopfteil des Bettes und da guckt man direkt aufs Wasser. Das ist die besondere Lösung mit diesem Loftcharakter, praktisch mit der ausgeschnittenen Decke. Sieht doch eigentlich toll aus, oder?"
Nicht nur der Zustimmung der Gäste, sondern auch der Zustimmung des Denkmalschutzes kann sich Ulrich Busch sicher sein. Trotz der eigentlich zu niedrigen Deckenhöhe kann auch dieser Teil des alten Gebäudes genutzt werden. Das ist allemal ökologischer als ein Neubau. Das Geschäft läuft.
"Es sind bei uns in der Tat alle Wohnungen verkauft. Und wir werden im Frühjahr mit der zweiten Liegehalle, die sich noch im Rohbau befindet, mit dem Vertrieb beginnen und werden dort jetzt die Wohnungen auch verkaufen."
Steuervorteile locken Käufer
Besondere steuerliche Abschreibungen locken die Käufer nach Prora, denn hier wird ein Denkmal saniert. Die Quadratmeterpreise für eine Wohnung liegen jetzt schon bei 5.000 bis 7.000 Euro. Die Insolvenz des Investors von Block eins im vergangenen Jahr habe das Vertrauen in Prora nicht erschüttert, ist Busch überzeugt.
"Natürlich ist immer eine Insolvenz für den Nachbarn, den man ja in Sippenhaft nimmt mit dem Namen Prora, nicht schön. Aber die letzten Monate haben auch gezeigt, dass wir keinen Schaden in Prora erlitten haben. Dadurch, dass eben bei Block eins keine Rüstung mehr dran steht und es keine Investruine in dem Sinne ist, sehe ich auch nicht, dass der Name Prora im Großen und Ganzen leiden wird."
Geschichte verschwindet
Mit dem Bauboom verschwindet Stück für Stück die bis dahin noch in Teilen sichtbare Geschichte. Ulrich Busch arbeitet deshalb mit Stefan Stadtherr Wolter zusammen. Ursprünglich Medizinhistoriker, wandte sich Wolter, der als Bausoldat in Prora diente, der DDR- und damit der Armeegeschichte des Ortes zu und publizierte darüber.
Wolters Idee: Vor jedem Aufgang des Blocks zwei sollen bis zum Sommer Schaukästen- und Tafeln aufgestellt werden, die über die jeweilige Nutzung des Hauses informieren. Diese fand erst in der DDR statt.
"Ja, was traurig ist, dass sich die meisten nur das Kraft-durch-Freude-Bad vorstellen oder meinen, sich vorstellen zu können, wenn sie die Blöcke heute sehen. Weil von der eigentlichen Geschichte, der Nutzungsgeschichte der DDR, ist so gut wie gar nichts mehr zu sehen. Diese Spuren werden jetzt zurückgebaut, gehen verloren. Eigentlich ist es auch kein wirklich historischer Ort mehr, den man hier sieht. Und die Biografien der Ostdeutschen über zwei Generationen gehen damit völlig verloren. Die finden sich hier gar nicht mehr wieder."
Blick auf die DDR-Geschichte
Dem will Wolter abhelfen. Der ehemalige Bausoldat sprang über seinen Schatten und führte viele Gespräche mit ehemaligen NVA-Offizieren, die genau über die einzelnen Gebäude und deren Nutzung Bescheid wussten. Auch die Militärs mussten ihre Vorurteile gegenüber dem Bausoldaten fallen lassen, galten die doch in der DDR als Weichlinge und Pazifisten.
"Und jetzt plötzlich so seit zwei, drei Jahren ändert sich das. Weil wir merken, wir sitzen alle in einem Boot. Es geht eigentlich unsere gesamte DDR-Geschichte verloren, egal aus welcher Perspektive, wenn dieser Ort völlig umgedeutet wird als ehemaliges Kraft-durch-Freude-Bad, was es nicht einen Tag gewesen ist. Und wir müssen es eben aushalten, unsere verschiedenen Perspektiven zu erzählen."
Beide Perspektiven erzählen: Nach zähem Ringen ist es dem Historiker gelungen, sowohl eine Gedenktafel für die Bausoldaten im Gelände anzubringen als auch das Wandbild "Wehrbereitschaft der Jugend" zu retten, das mit dem Abbruch der Proraer Schule verschwinden sollte. Nun wird es vor Ulrich Buschs Block zwei wieder aufgebaut.
"Die Menschen, die in der DDR eine staatstreue Biografie hatten, werden sehr schnell als ewig Gestrige bezeichnet. Die hätten dieses Wandbild gar nicht retten können. Das konnte nur einer, der aus dem ganz anderen Lager kam und sagt: Das ist wert, gerettet zu werden. Wir müssen es nur interpretieren."
Museum soll umziehen
Wolter ist Einzelkämpfer in Sachen Prora-Geschichte. Einflussreicher sind die beiden Dokumentationszentren, die sich kürzlich zu einem Dachverband zusammenschlossen. Jahrelang waren sie in ihrer Existenz bedroht, nun gibt es endlich Bewegung: Bund und Land sagten 6,8 Millionen Euro für die Sanierung eines Aufganges von Block fünf und die Einrichtung eines neuen Bildungs- und Dokumentationszentrums zu.
Für Katja Lucke, die Leiterin des Dokumentationszentrums Prora, ist das eine ganz neue Epoche: "Das bedeutet gewissermaßen eine abgesicherte Etablierung einer Bildungsstätte, die sich nicht dauernd rechtfertigen muss. Sondern wo einfach klar ist, dass die da sein kann."
Jährlich 80.000 Besucher kommen in die beiden Dokumentationszentren. Die eine Bildungsstätte musste wegen des Hotelbaubooms schon vor drei Jahren in ein kleines abgelegenes Nebengebäude ausweichen.
Luckes KdF-Ausstellung "Macht Urlaub" soll auch bald aus ihrem Gebäude ausziehen. Doch bis das neue gemeinsame Dokumentationszentrum in Block fünf fertig ist, vergehen wenigstens noch fünf Jahre. Die nächste Zwischenlösung heißt: NVA-Panzergaragen.
"Wir sind große Freunde der Improvisation. Ist ja eine Interimslösung. Und wir gehen davon aus, dass es jetzt nicht ewig dauern wird!"
Behutsamer Umgang mit Geschichte
Die Geschichte Proras im Nationalsozialismus, die zu DDR-Zeiten und die nach der Wende soll im neuen Zentrum Platz finden. Der Ort erklärt sich nicht von selbst, schon gar nicht nach der Restaurierung der Anlage.
"Wo man ein bisschen aufpassen muss, dass hier nicht auf vermeintlich positive Aspekte des Nationalsozialismus verwiesen wird. Es hat unter anderem einen Werbefilm von eine Investor gegeben, bei dem gesagt wurde: Zukunft wächst aus Tradition. Das lanciert gewissermaßen so ein Bild von: Es war nicht alles schlecht. Und da muss man glaube ich aufpassen, dass man sich an so etwas nicht beteiligt, sondern es kritisch begleitet", sagt Stefan Wolter.
"Diese Aura des Schreckens und des Gruseligen ist dem Ort genommen. Prora wird für Wohlfühlfaktor stehen. Das ist etwas, was für Zeitzeugen undenkbar gewesen ist. Aber wenn die Geschichte berücksichtigt wird und die Bildungsinhalte geschaffen werden sowie die Investoren mitziehen, dann ist das eine sehr positive Sache."