Verschwiegen und verdrängt
Zwischen 1940 und 1941 wurden in Bernburg 15.000 Kranke, Behinderte und KZ-Häftlinge von den Nazis umgebracht. Und obwohl eine Gedenkstätte an die Gräueltaten erinnert, tut sich die Stadt mit NS-Vergangenheit schwer.
Bernburg – idyllisch an der Saale gelegen, auf halber Strecke zwischen Magdeburg und Halle - ist ein lauschiges Residenzstädtchen, einst Zentrum des Herzogtums Anhalt-Bernburg. Doch dass sich dort zu NS-Zeiten eine der sechs "Euthanasie"-Anstalten befand, darüber erfährt der Besucher so gut wie nichts.
"Bin ein alter Bernburger, aber was soll ich dazu sagen … Ich weiß, dass es unten an der Nervenklinik ist, dass da Menschen umgebracht worden sind. Wie ich orientiert bin, ist hier weiter nichts …"
"Hinweise sind hier nirgends. Sehen Sie ja, nirgends ausgeschildert. Eigentlich müsste mehr gemacht werden. Wenigstens hingewiesen werden, damit die Leute Bescheid wissen."
Peter und Angela Leopold sind in Bernburg aufgewachsen. Zu DDR-Zeiten habe man über die Euthanasie-Morde absolut nichts erfahren. Und heute sei das nicht viel anders, sagen die beiden. Sie fänden es seltsam, schieben sie schnell hinterher, dass es in der Innenstadt Bernburgs keine einzige Gedenkplatte gebe, die an die Opfer in der damaligen Landes-Heil- und Pflegeanstalt erinnere.
Kein Hinweisschild
"Es gibt nur das Hinweisschild zur Nervenklinik hin, aber nicht, dass da eine Gedenkstätte ist. Wer sich das ansehen will, die finden es nicht."
… erzählt eine betagte Anwohnerin mit schweren Taschen in der Hand. Bis vor Kurzem habe auch sie nichts über die NS-Tötungsanstalt gewusst, ergänzt sie noch. Für Ute Hoffmann, die Leiterin der Gedenkstätte, nichts Neues.
"Ich gehe mit der Situation schon sehr lange um, für mich ist das ein gewohntes Bild. Und ich muss sagen, trotz der nicht so üppigen Beschilderung finden doch viele Besucher zu uns."
14.000 Besucher kommen jährlich in die Gedenkstätte. Die meisten Gäste seien aber Schulklassen, über Individual-Besucher könne sie keine Aussagen machen, so Historikerin Hoffmann weiter.
1989 hat sie die Stelle in Bernburg angetreten. Seitdem versuche sie die Geschichte der Mordstätte ins Bewusstsein zu bringen. Ein schwieriges Unterfangen.
Weil sie seit fast 30 Jahren versuche, ein mörderisches Kapitel der Stadt öffentlich zu machen, werde sie bisweilen auch als "Nestbeschmutzerin" beschimpft. Damit muss man leben können, erzählt Ute Hoffmann.
"Ich denke, dass es tabuisiert ist, weil die Nachwirkungen dieses kurzen Abschnitts deutscher Geschichte, die der auf die Nachwelt hat, der ist natürlich enorm. Und man erinnert sich gern an die positiven Seiten der Geschichte. Beispielsweise die Gedenkstätte der Deutschen Teilung Marienborn, das ist eine Gedenkstätte mit Happy End. Wir haben hier kein Happy End."
Lange verheimlicht Morde
Die Gedenkstätte ist Teil der heutigen Landesklinik. 1875 wurde sie als "Herzogliche Landes-Heil- und Pflegeanstalt für Geisteskranke zu Bernburg" gegründet. Nach dem Krieg hat die DDR die Klinik weiterbetrieben, erst als Kriegslazarett, dann als Krankenhaus für Psychiatrie und Neurologie. Lange wurden die NS-Massenmorde verheimlicht.
Nicht mal heute ist an der Eingangspforte ein Schild zu sehen, dass auf die Verbrechen hinweist. Auf der Webseite des Klinikums ist unter den Jahreszahlen 1940/43 lapidar zu lesen: "Ein Teil der Einrichtung dient unter der Bezeichnung ‚Heil‐ und Pflegeanstalt Bernburg‘ Maßnahmen der nationalsozialistischen ‚Euthanasie‘ …" Kein Verweis darauf, dass sich im Keller eines Klinikteils eine Todesmaschinerie befand, eine als Duschraum getarnte Gaskammer, in der tausende Menschen getötet wurden, nur weil sie den Nazis als ökonomische Belastung galten.
"Ich denke, Nationalsozialismus ist immer ein schambesetztes Thema und das ist es auch zu Recht. Weil, eine Gesellschaft hat versagt. Und wenn im Ort selbst etwas passiert ist, und das ist hier in Bernburg der Fall, dann ist es immer schwierig damit umzugehen. Es wird natürlich gerne aus dem kollektiven Gedächtnis gestrichen."
Immerhin: Auf dem Gelände des Klinikums gibt es einen kleinen – unscheinbaren - Wegweiser zur Gedenkstätte, vor der Mordanstalt selbst hat man einen Gedenkstein aufgestellt.
Irgendwo ein kleiner Text
Auch auf der Webseite der Stadt Bernburg taucht das dunkle Kapitel der "Euthanasie"-Morde kaum auf. Nur wenn man sich lange durcharbeitet, gelangt man irgendwo zu einem kleinen Text.
Diplomatensohn und Christdemokrat Paul Koller – der stellvertretende Oberbürgermeister – gesteht, wenn auch erst nach mehreren bohrenden Gegenfragen, dass man in Zukunft in der Darstellung des dunklen Bernburger Geschichtskapitels einiges besser machen könne, ja besser machen müsse.
"Dass wir die Verlinkung auf der Webseite zu Veranstaltung der Gedenkstätte besser machen, dass wir besser für die Veranstaltungen werben. Da gebe ich Ihnen Recht, das ist ein Thema, dem wir uns annehmen sollten."
In der DDR verschwiegen
Einer der Gründe, warum die Euthanasie-Mordanstalt in der Stadt so gut wie unbekannt ist, hat mit der DDR zu tun. Denn für die SED-Genossen – die sich den Antifaschismus auf die Fahnen schrieben - waren die NS-Euthanasie-Morde in Bernburg kein Thema. Die Opfer waren – so makaber es klingt - keine kommunistischen Helden im Sinne der realsozialistischen Geschichtsdoktrin. Weshalb man die Schicksale der Euthanasie-Opfer, aber auch die anderer Minderheiten wie etwa Sinti und Roma oder Homosexuelle schlicht ignorierte.
"Aus ganz anderen Gründen als in der Bundesrepublik haben wir den gleichen Effekt, dass unglaublich viel NS-Täter in der DDR in Amt und Würden geblieben sind und auch noch aufgestiegen sind, gerade was die Euthanasie betrifft. Da sind Leute dabei, die massiv an Verbrechen beteiligt waren. Sie landen nicht unbedingt im Gefängnis, sondern sie werden dann noch Chefärzte bzw. Oberärzte. Es gibt MfS-Operativvorgänge, die einfach eingestellt werden, um das Bild der DDR nicht zu beschädigen. Da ist viel Politik dahinter, um auch das Konstrukt des antifaschistischen Staates, nicht zu beschädigen."
Erst Anfang der 1980er-Jahre begannen einzelne Krankenhaus-Mitarbeiter sich mit der Geschichte zu beschäftigen, die DDR hatte daran kein Interesse.
Neue Dauerausstellung im Herbst
Erst mit der Eröffnung der Gedenkstätte im hessischen Hadamar hat sich das geändert. Man wollte sich dem Vorwurf aus dem Westen nicht aussetzen, man würde die NS-Euthanasie Morde verdrängen.
Ute Hoffmanns Wunsch ist es nun, die Gedenkstätte mehr ins Zentrum der Stadt zu rücken.
"Indem man mal die Fahrrouten mal klar macht. Oder indem deutlich macht – das wissen die wenigsten Bernburger - wo die Asche hingebracht wurde. Die meiste Asche wurde aus der Stadt rausgebracht in den Vorort Gröna, da ist jetzt ein Sportplatz drauf."
Im Herbst soll in Bernburg eine neue Gedenkstätten-Dauerausstellung kommen. Dann will man auch ein Opferbuch auslegen. Erstmals will man so in Bernburg den bisher anonymen Opfern ihre Namen und Gesichter, ein Stück ihrer Würde, zurückgeben.