NS-Relikt

Sanierungsfall Hitlertribüne

Von Christina Küfner |
Auf der Zeppelintribüne in Nürnberg stand einst Adolf Hitler während der Reichsparteitage, umjubelt von Zehntausenden. Heute ist der Bau nur noch ein Trümmerhaufen, Denkmalschützer fordern die Instandsetzung.
Düster ragt die Zeppelintribüne in den grauen Dezemberhimmel - ein monumentales Nazi-Bauwerk, das aussieht wie ein riesiger, steinerner Altar. Es ist schneidend kalt, aber Robert Minge wirkt trotzdem nicht, als ob er frieren würde. Entschlossen führt er seine Zuhörer über die breiten Stufen und erklärt ihnen, was hier das Problem ist:
"Wir haben massive Schäden an den Wänden, an den Fassaden, natürlich auch bei der Stufenanlage. Es werden irgendwann die Fassadenteile abrutschen. Wie Sie es von den Bergen kennen - dass mal so ein ganzes Element abrutscht. Dann liegen die Trümmerteile herum und gefährden die Besucher."
Robert Minge ist kein Stadtführer, sondern koordiniert die geplante Instandsetzung des Bauwerks. Und seine Zuhörer sind auch keine Touristen, sondern Fachleute: Denkmalschützer, Architekten und Ingenieure. Sie sollen einen Plan zusammenstellen, was an dem maroden Nazi-Bau alles ausgebessert werden muss. Die Experten machen ernste Gesichter - denn das, was ihnen Robert Minge hier zeigt, ist ein knapp 400 Meter langer Trümmerhaufen.
"Wir schlagen jedes Jahr die losen Teile weg und bringen einen Mörtel an. In vielen Teilbereichen ist es so, dass wir gar nicht mehr mit Reparatur arbeiten können, sondern wir mussten es absperren mit einem Zaun."
Ein Ort gegen totalitäre Versuchungen
Dicke Unkrautbüschel wuchern zwischen den Steinquadern, über die die Bau-Experten hinauf zu einer wuchtigen Rednerkanzel steigen. Hier stand Adolf Hitler während der Reichsparteitage, umjubelt von zehntausenden Nationalsozialisten.
Auch Matthias Klaus Braun vom Nürnberger Kulturreferat nimmt an der Begehung teil. Nachdenklich lässt er den Blick über den riesigen Aufmarschplatz vor der Tribüne schweifen, auf dem die Nazis ihre Paraden und Schaumanöver abhielten.
"Die Sache ist natürlich, dass es wichtig ist, dass man diesen Ort erhält. Weil sich diese Fragen auch weiterhin stellen: Wie hat dieses Regime funktioniert? Wie funktionieren auch heute noch totalitäre Regime oder Propagandamaßnahmen? Das ist ja nicht nur ein Lernort für die Vergangenheit, sondern auch ein Lernort als Präventionsmaßnahme gegen totalitäre Versuchungen in Zukunft."
Nürnberg verhandelt seit Jahren mit Bund und Land über eine Instandsetzung des ehemaligen Reichsparteitagsgeländes. 70 Millionen könnte das kosten, schätzt die Stadt - allein kann sie das nicht stemmen. Berlin und München wollen sich zwar grundsätzlich beteiligen - konkrete Summen hat man bislang allerdings nicht genannt.
"Uns bleibt nicht mehr viel Zeit, wenn wir nicht Gefahr laufen wollen, dass wir das Bauwerk aufgrund der Sicherheitsmängel, die im Laufe der Jahre und Jahrzehnte entstanden sind, der Öffentlichkeit wieder entziehen müssen, indem wir es sperren."
Am anderen Ende der Zeppelintribüne ist inzwischen eine Touristengruppe eingetroffen - ein paar Studenten, eine Mutter mit Kind, einige Rentner. Alle haben rote Nasen von der Kälte. Trotzdem hören sie interessiert zu, was Hartmut Heisig über das monumentale Bauwerk erzählt.
Ein goldenes Mosaik aus verschlungenen Hakenkreuzen
Hartmut Heisig ist vom Verein "Geschichte für alle" und macht hier regelmäßig Führungen. Rund 200.000 Besucher besichtigen das Gelände jedes Jahr. Dass da noch lange nachgedacht wird, wer die Instandsetzung trägt - für den Historiker unverständlich.
"Es geht wirklich nur um den Erhalt dessen, was wir hier momentan haben. Das ist nicht nur eine Aufgabe für Nürnberg. Es ist eine deutsche Aufgabe - einen unbequemen Teil der Geschichte nicht einfach nur über die Kante plumpsen zu lassen, sondern hier Erinnerung bewahren und schaffen."
Durch eine Seitentür führt Harmut Heisig die Besucher ins Innere der Tribüne. Über ein Treppenhaus geht es hinunter in einen meterhohen fensterlosen Saal. Wie ein Kirchengemälde prangt an der Decke ein goldenes Mosaik aus verschlungenen Hakenkreuzen.
Eine gute halbe Stunde bleibt die Gruppe in dem gespenstischen Saal, dann treten die Besucher durch den Hinterausgang blinzelnd wieder nach draußen. Der zweistündige Rundgang über das Reichsparteitagsgelände hat allen neue Erkenntnisse verschafft.
Frau: "Ich habe das erste Mal erleben können, wie diese monumentale Architektur wirkt."
Frau: "Jetzt bin ich überrascht, wie riesig das ist."
Mann: "Man sollte nicht nur irgendwelche Museen schaffen, sondern auch historische Stätten erhalten."
Auch Robert Minge und seine Baufachleute sind inzwischen auf der Rückseite des Bauwerks angelangt. Und auch ihnen ist heute einiges klar geworden - nämlich, wie dringend hier etwas getan werden muss. Im kommenden Jahr will die Stadt zwei Musterflächen herrichten lassen, um die Kosten für eine Instandsetzung genauer beziffern zu können.
"Dann rechnen wir das auf die Gesamtanlage hoch und diese Summe werden wir dann diskutieren mit unseren potenziellen Fördergebern, eben Bund und Land. Dann können wir sagen, schaut's her, wir haben ausprobiert, wie es werden soll und wir wissen auch, was es kostet."
Hoffnung macht den Baufachleuten jetzt der frisch ausgehandelte Koalitionsvertrag. Dort heißt es, dass authentische Orte der deutschen Geschichte erhalten werden müssen - und das ehemalige Reichsparteitagsgelände in Nürnberg wird dabei explizit als Beispiel angeführt.
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