Beate Rossié: "Kirchenbau in Berlin 1933 – 1945. Architektur. Kunst. Umgestaltung", 468 Seiten, 36 Euro. Lukas Verlag, Berlin 2022
NS-Symbole in Kirchen
Sorgte für heftige Debatten: die Hakenkreuz-Glocke der Kirche St. Jakob in Herxheim in Rheinland-Pfalz. © picture alliance / dpa / Uwe Anspach
Kontroversen um Hakenkreuze auf Kirchenglocken
08:13 Minuten
Jesus als arischer Heilsbringer, SS-Runen und Hakenkreuze auf Kirchenglocken. Ideologische Relikte aus der Zeit des Nationalsozialismus finden sich heute noch in vielen Kirchen. Wie soll man mit solchen Hinterlassenschaften umgehen?
Im Museum Berlin-Neukölln geht es durch die Ausstellung mit heimatkundlichen Gegenständen im Erdgeschoss hinauf in den sogenannten Geschichtsspeicher. Beate Rossié steuert gleich auf das Rollpodest in einer Ecke des Raumes zu, das eine Glocke trägt. Diese hat einen Durchmesse von 60 Zentimetern und wiegt 120 Kilogramm.
Beate Rossié ist die Expertin dieser 1935 gegossenen Glocke. Die Kunsthistorikerin hat dazu beigetragen, dass sie heute nicht mehr hell erklingt und die Gläubigen zum Gottesdienst einlädt, sondern als Exponat im Museum gelandet ist. Ursprünglich habe die Glock in der Philipp-Melanchthon Kapelle in Rudow gehangen, erzählt Rossié. Hier sei sie nun, weil sie ein nationalsozialistisches Hoheitszeichen aufweise. Vorne prangt es mit einer Inschrift: ein Reichsadler mit ausgebreiteten Schwingen und einem Eichenlaubkranz und einem Hakenkreuz drinnen.
NS-Symbole sind keine Seltenheit
Erst 2017 wurden die problematischen Symbole entdeckt, erinnert sich die Pfarrerin der Evangelischen Dreieinigkeits-Gemeinde, zu der die Philipp-Melanchthon-Kapelle seit den 1960er-Jahren gehört. Damals habe es ein Schreiben von der Landeskirche gegeben. „Wir mögen doch bitte alle Kirchenbauten auf ihre Glocken kontrollieren, die vor 1945 eingeweiht und gebaut wurden. Meine Kollegin ist dann in den Glockenturm hineingestiegen und hat festgestellt, dass auch unsere Glocke eine sogenannte Nazi-Glocke ist.“ Die Glocke wurde sofort stillgelegt. „Und wir sind dann in einen Prozess gegangen: Wie gehen wir damit um.“
Viele Kirchenbauten während der NS-Zeit
Mit ihrem Fund stand die Gemeinde nicht allein. Auch im rheinland-pfälzischen Herxheim hatte man kurz zuvor eine Nazi-Glocke entdeckt, die zu heftigen Kontroversen führte. Aber auch an anderen Orten gab und gibt es Relikte aus der nationalsozialistischen Epoche, weiß Kunsthistorikerin Beate Rossié.
Sie hat jahrzehntelang über Kirchenbau und Umgestaltungen von Kirchen während der NS-Zeit geforscht und unlängst ihre überraschenden Ergebnisse publiziert. Bei ihrer bundesweiten Recherche sei sie „auf die erstaunliche Zahl von über 800 Kirchenneubauten in der Zeit des Nationalsozialismus gestoßen, auf dem Gebiet der heutigen Bundesrepublik“, so Rossié. „Reichsweit waren es sicher noch mehr und es kommen auch immer noch neue Zahlen dazu.“ Außerdem hat Beate Rossié über 1000 kirchliche Umgestaltungen oder Erneuerungen ausfindig gemacht.
Verbot von NS-Symbolen
Gerade in den Kirchen der sogenannten „Deutschen Christen“ – eine nazi-treue Richtung des Protestantismus – wurden Hitlerbilder und Hakenkreuze angebracht, christliche mit nationalsozialistischen Symbolen vermischt, Propaganda-Motive mit Soldaten und SA-Männern angebracht, Jesus Christus als arischer Siegertypus verklärt. Viele dieser Gestaltungen wurden schon während des Kriegs zerstört. „Dann gab es von den Alliierten erst mal ein Verbot von NS-Symbolen im öffentlichen Raum. Das betraf natürlich auch die Kirchen“, sagt Rossié. „Trotzdem blieb immer noch viel erhalten.“
Oft sogar gut sichtbar – wie etwa bei der Martin-Luther-Gedächtniskirche in Berlin-Marienfelde. Dort sind Abbildungen von SA-Männern und Soldaten bis heute am Triumphbogen und an der Kanzel identifizierbar – oder eben versteckt, wie bei der Glocke aus der Philipp-Melanchthon-Kapelle.
Ein emotionales Thema
Seit dem 11. April 2022 hat die evangelische Kirche Berlin-Brandenburg schlesische Oberlausitz nun auch ein Gesetz, das den liturgischen Umgang mit rassistischen und antisemitischen Darstellungen untersagt, sagt Marion Gardei, Pfarrerin und Erinnerungsbeauftragte der EGBO. Die Synode habe das Gesetz fast einstimmig verabschiedet. „Es ist entstanden aus der Praxis, weil es doch ab und an Gemeinden gibt, die sich weigern, irgendetwas in ihrer Kirche zu ändern.“
„Oft hängen die Menschen sehr an ihren Kirchen“, sagt dazu die Kulturwissenschaftlerin Rossié. „Es ist ja etwas sehr Emotionales, Biografisches. Schon die Großeltern sind in diese Kirche gegangen, und in vielen Fällen geht es darum, möglichst viel der alten Kirche zu bewahren und wenig Aufmerksamkeit auf das Thema zu lenken.“ Das hat auch Pfarrerin Nora Rämer erlebt. Die Stilllegung der betroffenen Glocke hätte ganz viele Proteste zur Folge gehabt. „Viele haben es überhaupt nicht verstanden und fanden es auch unsinnig, nach so vielen Jahren, dass man sich damit nochmal beschäftigt, außerdem würde man die Glocke ja nicht sehen.“
Ignorieren geht nicht
Aber NS-Symbole und Relikte der Nazi-Zeit seien im liturgischen Gebrauch nicht mehr zu vertreten und mit der Lehre und dem Glauben unvereinbar, sagt Marion Gardei. Deshalb berät die Kirche, wie eine Gemeinde vorgehen soll, falls sie auf problematische Relikte stößt. Klar ist nämlich: Nach einem Fund muss gehandelt werden. Aber soll man problematische Gemälde übermalen? Kommentierungen anbringen? Bilder und Symbole entfernen und in andere Kontexte stellen? Einfache Antworten gibt es nicht.
„Wir empfehlen den Gemeinden, eine kleine Gruppe einzurichten aus Gemeindemenschen, die sich mit Experten zusammensetzen, die kunsthistorisch oder historisch sich auskennen und möglicherweise die Geschichte der Gemeinde erforschen können“, sagt Gardei. Diese sollen dann gemeinsam einen Vorschlag erarbeiten, wie mit dem Symbol umgegangen werden kann.
Aus der Geschichte lernen
Pfarrerin Nora Rämer und ihre Kirchengemeinde haben den Aufarbeitungsprozess um die Glocke aus der Philipp-Melanchthon-Kapelle mit der Unterstützung von Marion Gardei und Beate Rossié beherzt umgesetzt. Die Geschichte der Gemeinde wurde detailliert recherchiert. 2020 entschied der Gemeindekirchenvorstand, die Glocke dem Neukölln-Museum zu übergeben. Der gesamte Prozess wurde in einer Broschüre dokumentiert. Die Auseinandersetzung soll auch in der Gegenwart weiterwirken, so die Hoffnung von Marion Gardei. Denn das sei das Ziel der kirchlichen Erinnerungsarbeit. „Dass wir aus der Geschichte lernen wollen und fragen: Was geht uns das heute an? Wie hat uns das heute geprägt? An welchen Punkten müssen wir heute widerständig handeln?“
Auch in der Dreieinigkeitsgemeinde nehmen sie auf ihre Glocke immer wieder Bezug, sagt Pfarrerin Nora Rämer. Alljährlich kommt sie mit ihrer Konfirmanden-Gruppe in den Geschichtsspeicher. Und dann diskutieren sie dort: über die Vergangenheit und was Christentum bedeutet.