NS-Überlebende in der Ukraine

Die Nazis überlebt, die russischen Bomben nicht

08:51 Minuten
Ein Mann mit Wollmütze und KZ-Uniform steht vor dem Turm des KZs Buchenwald.
Boris Romantschenko (hier 2011 in Buchenwald) hat vier Konzentrationslager überlebt. Im Ukraine-Krieg starb er, als die russische Armee sein Haus in Charkiw bombardierte. © IMAGO/photo2000
Christine Glauning im Gespräch mit Vladimir Balzer |
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Für viele, die den Terror der Nazis überlebt haben, ist der Krieg in der Ukraine traumatisch. Die Hochbetagten brauchen dringend Hilfe. Um diese anzubieten, hat sich ein Hilfsnetzwerk aus mehr als 30 Initiativen gegründet.
Boris Romantschenko wurde als 16-Jähriger zur Zwangsarbeit nach Deutschland verschleppt. In Peenemünde schuftete er für die "Wunderwaffe" V2. Nach einem Fluchtversuch kam er in das KZ Buchenwald, später war er in Mittelbau-Dora und Bergen-Belsen interniert.
All das Leid hat Romantschenko überlebt, zu Tode kam er jetzt im russischen Angriffskrieg in der Ukraine. Als russische Bomber Charkiw angegriffen haben, ist ein Geschoss in das mehrstöckige Gebäude eingeschlagen, in dem Romantschenko gewohnt hat. Er wurde 96 Jahre alt.

Hilfe für Holocaust-Überlebende

42.000 Überlebende des deutschen NS-Terrors gibt es noch in der Ukraine. Auf Initiative des Vereins "KONTAKTE-KOHTAKTbI" haben sich rund 30 Gedenkstätten, Museen sowie verschiedene Initiativen aus der ganzen Bundesrepublik zu einem Hilfsnetzwerk zusammengeschlossen, um diesen Menschen beizustehen.
"Die Gefahr ist für diejenigen, die noch im Land sind, sehr groß", sagt Christine Glauning, Leiterin des Dokumentationszentrums NS-Zwangsarbeit. Als Kinder und Jugendliche wurden sie von den Nazis verfolgt, jetzt sind sie über 90 Jahre alt und somit dem Krieg schutzlos ausgeliefert.
Einige Holocaust-Überlebende schafften es noch, zu fliehen, zum Beispiel nach Polen. Aber wegen des hohen Alters funktioniert das nicht immer. "Mittlerweile wird es wirklich gefährlich und ist kaum mehr möglich, gerade die großen Städte zu verlassen und sich in Sicherheit zu bringen", sagt Glauning.

Zu schwach für den Luftschutzkeller

Nicht alle kommen bei Angriffen in die Luftschutzkeller, berichtet Glauning. Sie hat Kontakt zu zwei ehemaligen Zwangsarbeiterinnen, 95 und 96 Jahre alt. Die beiden sind zu schwach, um den nächsten Keller zu erreichen: "So schlafen sie angezogen und hoffen, dass sie die nächsten Luftangriffe überleben."
Auch seelisch ist der Krieg eine enorme Belastung. Die Situation wird zum Teil als noch bedrohlicher empfunden als während des Zweiten Weltkrieges, sagt Glauning: "Eine hat geschrieben: 'Wenn ich nun Sirenen höre, die einen Luftangriff ankündigen, dann ist die Angst noch größer, als sie in meiner Jugend war.'"
Nicht alle Überlebenden des Nazi-Terrors haben sich als solche offenbart, sagt Glauning. Die Ukraine war Teil der Sowjetunion. "Alle NS-Opfer in der Sowjetunion galten als Kollaborateure und Verräter, gerade die heimkehrenden Zwangsarbeiter und Zwangsarbeiterinnen", sagt Glauning.
Sie seien auch nach ihrer Heimkehr stigmatisiert worden. "Viele haben bis heute nicht darüber gesprochen, und sie werden das wahrscheinlich jetzt auch kaum mehr tun."
(beb)

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