Erst Joachim Gauck bat um Verzeihung
Auch in Griechenland verübten die Nationalsozialisten schreckliche Massaker. Doch selbst deutschen Geschichtslehrern sind diese Verbrechen des Zweiten Weltkriegs offenbar nicht immer präsent. Umso wichtiger ist das Zeitzeugenarchiv "Erinnerungen an die Okkupation in Griechenland".
"Mein Name ist Argyris Sfountouris, ich stamme aus Distomo und war knapp vier Jahre alt, als am 10. Juni 1944 das Dorf massakriert wurde. Als Racheaktion für einen Partisanenüberfall wurde das dargestellt."
Tatsächlich aber, so berichtet der heute über Siebzigjährige, wurde der Bericht des Kompanieführers über eine sogenannte "Sühnemaßnahme" bereits am Tag nach der Vernichtung eines ganzen Dorfes vom zuständigen Wehrmachtsgeneral als Falschmeldung verworfen. Das fand Argyris Sfountouris in den Akten. Und fragte 50 Jahre nach dem Mord an über 200 Frauen und Kindern in Deutschland nach Entschädigungsmöglichkeiten:
"Und dann kam die Antwort vom Auswärtigen Amt, es seien Maßnahmen im Rahmen der Kriegsführung gewesen, kein Kriegsverbrechen. Das hat mich natürlich und uns alle aufgebracht, dass man die Geschichte fälscht. Damit konnte ich einfach nicht leben."
Tatsächlich aber, so berichtet der heute über Siebzigjährige, wurde der Bericht des Kompanieführers über eine sogenannte "Sühnemaßnahme" bereits am Tag nach der Vernichtung eines ganzen Dorfes vom zuständigen Wehrmachtsgeneral als Falschmeldung verworfen. Das fand Argyris Sfountouris in den Akten. Und fragte 50 Jahre nach dem Mord an über 200 Frauen und Kindern in Deutschland nach Entschädigungsmöglichkeiten:
"Und dann kam die Antwort vom Auswärtigen Amt, es seien Maßnahmen im Rahmen der Kriegsführung gewesen, kein Kriegsverbrechen. Das hat mich natürlich und uns alle aufgebracht, dass man die Geschichte fälscht. Damit konnte ich einfach nicht leben."
Aus dem Auswärtigen Amt hört man heute andere Töne
Das war 1994. Heute, wiederum ein Vierteljahrhundert später, sind aus dem Auswärtigen Amt andere Töne zu hören. Michael Roth, Staatsminister für Europa, begrüßt die Einrichtung eines Zeitzeugen-Archivs als Grundlage einer gemeinsamen, griechisch-deutschen Erinnerungskultur.
"Wir befassen uns heute hier mit dem, was der lange Arm des Hitler-Regimes in Griechenland angerichtet hat. Diese Taten gehören zu den furchtbarsten Verbrechen im Zweiten Weltkrieg."
Für diesen Sinneswandel haben die Überlebenden deutscher Staatsverbrechen lange und beharrlich gearbeitet. Argyris Sfountouris hat nicht nur eine Historiker-Konferenz in Distomo initiiert, er besucht auch immer wieder Schulen in Deutschland:
"Das war oft so, dass sogar der Geschichtslehrer sagte: Ach was, wir waren auch in Griechenland? Sie waren nicht einmal generell informiert, dass Griechenland besetzt war im Zweiten Weltkrieg von Deutschland. Also: eine totale Verdrängung."
"Wir befassen uns heute hier mit dem, was der lange Arm des Hitler-Regimes in Griechenland angerichtet hat. Diese Taten gehören zu den furchtbarsten Verbrechen im Zweiten Weltkrieg."
Für diesen Sinneswandel haben die Überlebenden deutscher Staatsverbrechen lange und beharrlich gearbeitet. Argyris Sfountouris hat nicht nur eine Historiker-Konferenz in Distomo initiiert, er besucht auch immer wieder Schulen in Deutschland:
"Das war oft so, dass sogar der Geschichtslehrer sagte: Ach was, wir waren auch in Griechenland? Sie waren nicht einmal generell informiert, dass Griechenland besetzt war im Zweiten Weltkrieg von Deutschland. Also: eine totale Verdrängung."
Von den griechischen Orten haben viele noch nie gehört
Das französische Oradour, von der SS dem Erdboden gleichgemacht, mögen einige kennen. Aber von Distomo oder Kalavryta, die zu den fast 100, von den Griechen als "Märtyrerdörfer" bezeichneten Orten deutscher Verbrechen zählen, hat hierzulande kaum jemand gehört. Oder vom Massaker in Pyrgoi, dem Efstathios Chaitidis mit knapper Not entkam. Als junger Mann ging er Mitte der 1950er zum Studium nach Deutschland und fand nach einigen sehr schlechten Erfahrungen gastfreundliche Aufnahme.
"Bei dieser Familie fühlte ich mich wohl, die haben mich sogar am Wochenende eingeladen. Und ich konnte es nicht geheim halten, ich habe gesagt, ich muss ihnen was erzählen, wer ich bin. Und als ich gesagt habe, dass haben die Deutschen in Griechenland gemacht, haben sie gefragt: Was, die Unsrigen? Hab ich gesagt: Ja! Da sagen sie: die Schweine! Dann habe ich gedacht, Mensch, da gibt es auch Leute, die nicht wussten was die Deutschen gemacht haben überall."
"Bei dieser Familie fühlte ich mich wohl, die haben mich sogar am Wochenende eingeladen. Und ich konnte es nicht geheim halten, ich habe gesagt, ich muss ihnen was erzählen, wer ich bin. Und als ich gesagt habe, dass haben die Deutschen in Griechenland gemacht, haben sie gefragt: Was, die Unsrigen? Hab ich gesagt: Ja! Da sagen sie: die Schweine! Dann habe ich gedacht, Mensch, da gibt es auch Leute, die nicht wussten was die Deutschen gemacht haben überall."
Zeitzeugen-Berichte nach dem Vorbild der Shoah-Foundation
Die Griechen berichten ganz offen von unterschiedlichen Erfahrungen. Unter den Deutschen herrscht weitgehend Unkenntnis, bis hin zur Leugnung historischer Tatsachen. Das sollte sich 2010 ändern, mit einer Dokumentation von Zeitzeugen-Interviews nach dem Vorbild des Shoah-Archivs der Stiftung von Hollywood-Regisseur Steven Spielberg.
Nicolas Apostolopoulos:
"Nach der Arbeit mit dem Shoah-Archiv waren wir uns einig, dass so etwas auch für Griechenland erstellt werden sollte. Wir haben immer wieder gedrängt. Aber das war damals die Zeit, da war es zwischen Deutschland und Griechenland extrem geladen, politisch geladen."
Nicolas Apostolopoulos, Wirtschaftswissenschaftler und Informatiker an der FU Berlin, initiierte und leitet das Projekt auf deutscher Seite. Zugleich unternahm der deutsche Historiker Hagen Fleischer, Professor an der Universität Athen, immer wieder Anläufe zu einer institutionellen und auch finanziellen Verankerung.
Hagen Fleischer:
"So dauerte es bis März 2014, bis erstmals das schwierige Wort ‚Verzeihung‘ erklang, erstmals von offiziellen deutschen Lippen. Dieses vom Auswärtigen Amt offensichtlich oder wohl nicht autorisierte Wagnis unternahm der damalige Bundespräsident Joachim Gauck. Und wir danken ihm dafür."
90 Zeitzeugen habe Auskunft gegeben
Als Bundespräsident sprach Gauck kein Machtwort, sondern bat bei seinem Besuch in Lyngiades, wo 1943 über achtzig Frauen und Kinder ermordet wurden, um Verzeihung für die "zweite Schuld", für das Vergessen und Verdrängen der Verbrechen. Aber auch auf griechischer Seite waren Widerstände gegen das nunmehr vom Auswärtigen Amt unterstützte Zeitzeugen-Archiv zu überwinden:
Nicolas Apostolopoulos:
"Es gab ein Gerücht: Die Deutschen waschen sich rein, indem sie solch ein Projekt fördern. Bis wir schließlich auch den Widerstandskämpfer Manolis Glezos, der europaweit bekannt ist, auch gewinnen konnten ein Interview für uns zu geben."
Manolis Glezos, der als Jugendlicher auf der Akropolis mit dem Abreißen der Hakenkreuzfahne ein Signal für den Widerstand gab, setzte auch jetzt wieder ein Zeichen: Mittlerweile haben neunzig Zeitzeugen – zwanzig mehr als ursprünglich geplant – nicht nur umfassend Auskunft gegeben, sondern sich gewissermaßen auch selbst noch einmal befragt, in Frage stellen lassen. Denn Projektleiter Hagen Fleischer folgt mit seinem "oral history"-Ansatz den Interviewmethoden des Dokumentarfilmers Marcel Ophüls:
"Er lehrt uns Zurückhaltung gegenüber eindimensionalen Fragen und eindimensionalen Antworten. Das Wort erhalten nicht nur Kämpfer der Resistance, sondern auch Opportunisten und Kollaborateure. Sowie namenlose Bürger – bystanders, wie wir heute sagen würden."
Nicolas Apostolopoulos:
"Es gab ein Gerücht: Die Deutschen waschen sich rein, indem sie solch ein Projekt fördern. Bis wir schließlich auch den Widerstandskämpfer Manolis Glezos, der europaweit bekannt ist, auch gewinnen konnten ein Interview für uns zu geben."
Manolis Glezos, der als Jugendlicher auf der Akropolis mit dem Abreißen der Hakenkreuzfahne ein Signal für den Widerstand gab, setzte auch jetzt wieder ein Zeichen: Mittlerweile haben neunzig Zeitzeugen – zwanzig mehr als ursprünglich geplant – nicht nur umfassend Auskunft gegeben, sondern sich gewissermaßen auch selbst noch einmal befragt, in Frage stellen lassen. Denn Projektleiter Hagen Fleischer folgt mit seinem "oral history"-Ansatz den Interviewmethoden des Dokumentarfilmers Marcel Ophüls:
"Er lehrt uns Zurückhaltung gegenüber eindimensionalen Fragen und eindimensionalen Antworten. Das Wort erhalten nicht nur Kämpfer der Resistance, sondern auch Opportunisten und Kollaborateure. Sowie namenlose Bürger – bystanders, wie wir heute sagen würden."
Ungeheure Dimension der Verbrechen
Neben Wankelmut und Kollaboration auf griechischer Seite werden aber vor allem die ungeheuren, für viele bislang ungeahnten Dimensionen der verbrecherischen Kriegführung der deutschen Besatzung deutlich. Denn über die komplett deutsch-griechisch untertitelten Video-Interviews hinaus enthält das Online-Archiv auch digital aufbereitetes Archivmaterial – und da bringt eine Stichwort-Recherche weitere Zusammenhänge ans Licht. Nicolas Apostolopoulos:
"Wir haben nicht nur Orte des Grauens besucht, sondern wollten auch den Alltag während der Okkupation beschreiben. Denn insbesondere in Athen sind unzählige Menschen gestorben aufgrund des Hungers."
"Wir haben nicht nur Orte des Grauens besucht, sondern wollten auch den Alltag während der Okkupation beschreiben. Denn insbesondere in Athen sind unzählige Menschen gestorben aufgrund des Hungers."