"Ein lange überfälliger Schritt"
Über 20.000 Juden aus deutschen Städten wurden in Trostenez nahe der weißrussischen Hauptstadt Minsk umgebracht. Nun wurde die Holocaust-Gedenkstätte im Beisein von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier eröffnet.
In einem Wald im Süden der weißrussischen Hauptstadt Minsk liegt eine nationalsozialistische Vernichtungsstätte, die lange vergessen war. Es war die größte auf dem Gebiet der ehemaligen Sowjetunion. Auch über 20.000 Juden aus deutschen Städten wurden hierher gebracht und meist innerhalb weniger Tage ermordet. Heute wurde die Gedenkstätte eingeweiht, zu Gast war auch der deutsche Bundespräsident.
Auch Frank-Walter Steinmeier musste den Weg antreten, den vor fast 80 Jahren die todgeweihten Juden gingen. Etwa 800 Meter sind es von der ehemaligen Bahnrampe durch den Kiefernwald bis zum Ort der Massenerschießungen. Der geschwungene Weg, teils gesäumt von sechs Meter hohen Mauern, ist das zentrale Element der Gedenkstätte, die heute eingeweiht wurde. Sie liegt im Wald bei Trostenez, am südlichen Stadtrand der weißrussischen Hauptstadt Minsk.
"Ins historische Bewusstsein Europas zurückholen"
Steinmeier sagte: "Diesen Ort in das historische Bewusstsein Europas zurückzuholen, das ist ein lange überfälliger Schritt. Was hier geschehen ist, hat tiefe Wunden geschlagen. Und sie sind sichtbar für alle, die sie sehen wollen. Komm und sieh - diese Aufforderung, so schmerzhaft sie ist, gilt uns, den nachgeborenen Generationen."
Die deutschen Besatzer ermordeten hier mindestens 50.000 Menschen, vor allem Juden aus Deutschland, Österreich, Tschechien und Weißrussland. Die meisten Opfer wurden erschossen, manche aber auch in geschlossenen Lkw ermordet, sagt die Historikerin Kristiane Janeke, die eine Wanderausstellung zu Trostenez mit konzipierte:
"Es gab tatsächlich deutsche Firmen, die Lkw diesen Typs hergestellt haben. Und die Nazis haben dann eben solche Wagen bestellt, um sie dementsprechend umzubauen und diese Vorrichtung da oben einzubauen, dass sozusagen von oben eben Gas in diesen geschlossenen Raum eingeführt wurde."
Weißrussland unterstrich bei den Feierlichkeiten, dass die Deutschen bei Trostenez auch sowjetische Kriegsgefangene und weißrussische Partisanen umbrachten. Junge Frauen in traditioneller weißrussischer Tracht traten auf - mit bestickten Hemden und einem Kopfschmuck aus Stroh. Der autoritär regierende weißrussische Präsident Alexander Lukaschenko präsentierte sich dabei als internationaler Friedensstifter, als Mittler zwischen Ost und West:
"Viele Staaten erkennen heute die Staatsgrenzen anderer nicht an. Die Weltgemeinschaft hat es wieder mit Dämonen zu tun, die Hass und Gewalt hervorrufen. Weißrussland ist überzeugt, dass wir einen neuen, groß angelegten internationalen Dialog brauchen, dessen Abwesenheit wir derzeit schmerzhaft spüren."
Dabei wandte sich Lukaschenko auch direkt an Frank-Walter Steinmeier und erwähnte dessen Engagement, um den Krieg in der Ostukraine zu beenden. Schon dass Lukaschenko das Gedenken an den Holocaust unterstützt, gilt als politischer Schritt. So versucht sich der Präsident nach Westen zu öffnen - mit Gesten, die seine Alleinherrschaft nicht gefährden. In der sowjetischen Geschichtsschreibung des Zweiten Weltkriegs habe der Holocaust kaum eine Rolle gespielt, sagt die Historikerin Kristiane Janeke.
Juden sind im sowjetischen Gedenken gar nicht aufgetaucht
"Das Heldengedenken stand da im Vordergrund. Man hat die Opfer in bestimmte Kategorien eingeteilt. Und nur diese Kategorien sind würdig, dass ihrer gedacht wird. Und dazu gehören zum Beispiel Veteranen, Partisanen oder Untergrundkämpfer. Und dann eine Kategorie der sogenannten sowjetischen zivilen, friedlichen Bevölkerung. Und dazu gehörten auch die Juden. Das heißt, Juden als solche, als Gruppe, sind gar nicht aufgetaucht."
Deshalb fehlte Angehörigen der Opfer von Trostenez jahrzehntelang ein Ort, an dem sie trauern konnten. So auch Kurt Marx, dessen Eltern aus Köln stammten und hier ermordet wurden. Er nahm an der Gedenkfeier teil: "Heute bin ich älter als meine Eltern zusammen waren. Ich habe lange genug gewartet - 80 Jahre, um so etwas zu sehen. Ich hoffe nur, dass Leute herkommen und es sich ansehen. Ich komme sehr wahrscheinlich nicht mehr hierher." Denn für ihn sei nun ein schmerzhaftes Kapitel seines Leben endlich abgeschlossen, sagt der 92-Jährige.