NSA-Affäre

Ob Mittagsschlaf gegen Überwachung hilft?

Von Tobi Müller |
Könnte Mittagsschlaf helfen? Oder sollte man Mami und Papi fragen? Auf der Konferenz "Einbruch der Dunkelheit" haben Netzaktivisten über digitale Kontrolle beraten und wie man sich ihr entziehen könnte.
Die Debatte über die NSA, über den Whistleblower Edward Snowden, auch schon die vorherigen Skandale, welche die Enthüllungsplattform Wikileaks veröffentlicht hatte: Vielen geht allmählich ein Licht auf über die Intensität und Qualität der Überwachung. Nur noch die ganz Ahnungslosen und die ganz Mächtigen sagen, es gehe um den Krieg gegen Terror und persönlich sei es einem egal, man habe nichts zu verbergen. Und deswegen trauen sich immer mehr, die Gegenwart mit der Geschichte zu vergleichen.
An einer Tagung am letzten Wochenende in Berlin schrie der berühmte Science-Fiction-Autor Bruce Sterling das zur Mehrheit aktivistische Publikum an: "Ihr wisst doch, wie man einen Überwachungsstaat stürzt! Wie habt ihr die Berliner Mauer zu Fall gebracht? Wohl kaum etwa durch mehr Regulierung, oder?" Jemand wies den Gast darauf hin, das Publikum sei zu jung, um 1989 auf der Straße erlebt zu haben. Daraufhin Sterling in breitem Texanisch: "Um Himmels Willen, dann fragt halt Mami und Papi!"
Man kann noch weiter zurückschauen als Sterling, der mit seinem Humorsturm den Konferenztitel "Einbruch der Dunkelheit – Theorie und Praxis der Selbstermächtigung in Zeiten digitaler Kontrolle" zumindest zügig durchlüftete. So erzählte der Soziologe Micah Sifry von seiner Mutter in New York: "Ihre Freundinnen beim Kartenspiel sagen alle, dieser Snowden müsse am Strick hängen. Sie hingegen: No, he is a hero." Sifrys Mutter hat den Holocaust überlebt, wie der Wissenschafter vorausschickte.
Gegen die Überwachungslage hilft nur: Action
Micah Sifry sagte nicht, die NSA sei auf der gleichen Stufe wie die NSDAP. Aber er machte damit deutlich, was an diesem prominent besetzten Wochenende immer wieder aufgefallen ist: Jenseits der einzelnen Disziplinen betrachten die US-Amerikaner die Überwachungslage als eine historische Wende, die es nur mit Handlungsmacht zu meistern gilt. Mit Action, mit Verschlüsselungstechnologie, mit Netzwerken, die Whistleblower schützen, damit sie nicht - wie mehrfach geschehen - zusammenbrechen unter dem Stress, vielleicht sogar mit Straßenprotesten.
Dann wurde Jacob Appelbaum, Snowden-Vertrauter und ein Star des Wochenendes, plötzlich laut. Es sei absurd, den Zorn der Anti-Überwachungs-Bewegungen an ihrer mangelnden Sichtbarkeit auf der Strasse zu messen. Selbst die Anti-Wall-Street-Bewegung Occupy sei nach dem Verschwinden immer noch sehr erfolgreich: im Internet.
Da ist es wieder, dieses Internet. Wenn diese Debatte etwas schon geschafft hat, dann wohl, die Trennung zwischen "realer Welt" und "Internet" aufzugeben. Es war eine Unterscheidung, die jenen nützte, denen daran lag, das Internet möglichst lange als Raum der Teilhabe zu sehen, dabei aber längst an den Datenspuren der User zu verdienen. Youtube, Facebook, Google. Diese reinen Technofantasien, die von einer Programmierelite einst formuliert und dann von Giganten zu Geld gemacht wurden, spüren den Kater. Der letzte Rest an Gründerideologie ist verdampft, die Gegenwart glüht in einen Moment des Gewesenen.
Man muss in solchen Zeitfenstern aufpassen, dass nicht sofort neue Ideologien leuchten. Soziale Bewegungen mit Jesus-ähnlichen Figuren an der Spitze funktionieren nie gut und nie lange, wie sogar Jacob Appelbaum zugab in Berlin.
Und Appelbaum würde man eine solche Führungsrolle zutrauen, nicht nur weil er Clark Kent so ähnlich sieht, der bürgerlichen Journalistenidentität von Superman. Und tatsächlich häutet sich dieser nette Appelbaum auf dem Podium, ist genervt von eitlen Zuschauervorträgen, die nicht auf den Punkt kommen und von «Wertediskussion» schwafeln, und schreit mit erhobenem Zeigefinder: "Join the NSA, join the Bundesnachrichtendienst, sei ein Whistleblower!"
"Mehr Information" bedeutet nicht "Mehr Demokratie"
Appelbaums Antipode hat die Konferenz eröffnet: Evgeny Morozov, ein Weißrusse, der in den USA forscht. Seine Texte erscheinen in den großen westlichen Feuilletons. Auch weil Morozov mit erst Ende Zwanzig ein Internetkritiker der Digitalen Eingeborenen ist. Morozov sagt im Grunde: Es ist die Wirtschaft, Dummerchen! Statt endlos über Verschlüsselungsprogramme zu reden, die das Problem schon wieder nur an den Einzelnen delegieren, müsse man das sich durchsetzende Businessmodell anschauen. So lange wir davon profitieren, dass andere mit unseren Vorlieben und Kundendaten Geld verdienen, wird sich an der Überwachung der großen Firmen nichts ändern. Morozov in Berlin: "Wir haben die Logik verinnerlicht, dass mehr Information zwingend gut ist. Sogar für die Demokratie. Aber das ist eine kommerzielle Logik."
Wer darauf besteht, dass seine Suchmaschine automatisch die Restaurant in seiner Nähe und nach seinen Vorlieben findet, darf sich nicht beschweren. Dezentrale Suchmaschinen bräuchten zwei Sekunden länger, und wir wären wieder etwas mehr Herr unserer Daten. Morozov erinnert an die Reduktion klimaschädlicher Gase: Wer meint, mit immer noch mehr "grünem" Konsum die Welt zu retten, hat nicht begriffen, dass Wachstum das eigentliche Problem ist. Auch im Digitalen. Mehr Information, mehr Transparenz, mehr Datenverkehr – mehr Kontrolle!
Ausweichen oder Aufhalten?
Ist es ein Zufall, dass nur die Europäer darüber nachdenken, wie man diesen Sturm der Geschichte nicht aufhält, sondern vor allem wie man ihm ausweicht? Der französische Philosoph Thierry Pacquot überlegt, ob der Mittagsschlaf nicht eine prima Idee wäre, um sich der "ökonomisierten Zeit" zu entziehen. Eine Frau aus Brasilien bedeutet dem sympathischen Franzosen mit der Weinbauernfrisur, dass man für diesen Schlaf sozial bereits gut gebettet sein müsse.
Und auch der in Hamburg lehrende Schweizer Soziologe Urs Stäheli denkt übers Neinsagen, Abschalten und Aussteigen nach. Wie der Theoretiker Felix Stalder, der an der Zürcher Hochschule für Gestaltung lehrt, weiß aber auch Stäheli, dass diese Verweigerungen allermeistens nur Lösungen für Privilegierte sind.
Ich bin dann mal weg, Mails bitte an sekretariat@...
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