Geheimdienst nährt Geheimdienst
Wozu gibt es eigentlich Geheimdienste? Und warum geben wir so viel Geld dafür aus? An Informationen haben sie der Politik wenig zu bieten, meint der Schriftsteller Rolf Schneider - und dennoch will kein Land auf sie verzichten.
Die Bundesrepublik Deutschland unterhält drei Geheimdienste. Sie heißen Verfassungsschutz, Bundesnachrichtendienst und Militärischer Abschirmdienst. Die Vereinigten Staaten von Amerika unterhalten, habe ich richtig gezählt, insgesamt sechzehn Geheimdienste, die bekanntesten von ihnen heißen CIA, FBI und NSA.
Aufgabe von Geheimdiensten ist es, verborgene Aktivitäten realer oder möglicher Gegner innerhalb wie außerhalb der eigenen Grenzen zu erspähen und der eigenen Administration darüber Mitteilung zu machen. Auch Verbündete und Freunde können, wie man weiß, ausgespäht werden, was vornehmlich zu Unbill und Misstrauen führt. Bei alledem verfährt man oft skrupellos, oft auch außerhalb aller Legalität, indem Schmiergelder, Nötigung, Schnüffelei, Denunziation und Verletzungen der Privatsphäre bemüht werden. Schon von daher stiftet die Tatsache, einem Geheimdienst anzugehören, einen eher zweifelhaften Ruf.
Fehlinformationen und Fantasien
Wie aber verhält es sich mit dem Wert der von Geheimdiensten ermittelten Nachrichten? Ihr Wahrheitsgehalt ist schwer nachzuprüfen. Von gesteuerten Fehlinformationen des politischen Gegners bis hin zu wichtigtuerischen Fantasien der eigenen Behörde sind mancherlei Irrtümer denkbar und vielfach dokumentiert. Für verantwortliche Regierungen ist es deswegen riskant, ihre Entscheidungen auf Grund von Geheimdienst-Wissen zu treffen.
In der Bundesrepublik Deutschland liegt die administrative Verantwortung für die Dienste beim Kanzleramt. Von mindestens zwei Bundeskanzlern, Helmut Schmidt und Helmut Kohl, ist bekannt, was sie von den täglich eingehenden Geheimdienstberichten hielten, nämlich gar nichts. Wie sich Frau Merkel in der Sache verhält, weiß ich nicht; sollte sie sich hierin ihrem Ziehvater Kohl anschließen, wäre sie gut beraten.
Den Geheimdiensten sind nicht nur Fehlinformationen anzulasten, sondern außerdem Blindheit und Ignoranz. Im Folgenden eine Auswahl aus jüngerer Zeit: Die Vorbereitungen des Attentats in Boston haben die US-amerikanischen Geheimdiensten ebenso übersehen wie die Vorbereitungen des Attentats auf das World Trade Center. Der israelische Mossad, angeblich bester Geheimdienst der Welt, wusste nichts vom Umfang des Tunnelsystems der Hamas im Gazastreifen.
Es gibt Geheimdienste, weil es Geheimdienste gibt
Die bundesdeutschen Geheimdienste wussten nicht, dass die DDR 1989 wirtschaftlich pleite war, und den endlichen Zusammenbruch dieses Staates haben sie so wenig vorhergesehen wie ihr Konterpart auf der anderen Seite, die DDR-Staatssicherheit, die überhaupt bloß existierte, um genau diesen Kollaps zu verhindern.
Wozu also gibt es Geheimdienste? Wieso fließen so viele Arbeitskräfte und so große Mengen Geldes in dieselben?
Wer zweifelsfrei von ihnen profitiert, sind die schönen Künste. Belletristik wie Filmindustrie spielen gerne im Geheimdienstmilieu, bei Romanautoren wie Eric Ambler, Graham Greene und John Le Carré, in Filmen über den Spion James Bond, erdacht von Ian Fleming, und die nicht mehr zählbar vielen Stasi-Dramen. Freilich ist es nicht vorrangiger Zweck von Geheimdiensten, Romanschriftsteller und Drehbuchautoren zu füttern. Nochmals: Wofür also existieren sie?
Die Antworten klingen mehr als ungefähr. Geheimdienste existieren, weil kein Staat sich vorstellen kann, ohne Geheimdienst auszukommen. Weil alle Staaten, auch die möglicherweise oder tatsächlich feindlichen, ihrerseits Geheimdienste unterhalten, die es abzuwehren, zu unterlaufen oder sonst wie auszuschalten gilt. Weil es Geheimdienste schon immer gegeben hat, ihre Ursprünge reichen zurück bis in die Antike.
Es gibt Geheimdienste, weil es Geheimdienste gibt. Mit dieser Tautologie ist ihr Daseinszweck erschöpfend benannt.
Rolf Schneider stammt aus Chemnitz. Er war Redakteur der kulturpolitischen Monatszeitschrift Aufbau in Berlin (Ost) und wurde dann freier Schriftsteller. Wegen "groben Verstoßes gegen das Statut" wurde er im Juni 1979 aus dem DDR-Schriftstellerverband ausgeschlossen, nachdem er unter anderem in einer Resolution gegen die Zwangsausbürgerung Wolf Biermanns protestiert hatte.
Veröffentlichungen u.a. "November", "Volk ohne Trauer" und "Die Sprache des Geldes". Seine politischen und künstlerischen Lebenserinnerungen fasst er in dem Buch "Schonzeiten. Ein Leben in Deutschland" (2013) zusammen.