NSA-Spähaffäre

Warten auf "klare Linie" aus Washington

Graham Watson im Gespräch mit Marietta Schwarz |
Der britische Europa-Parlamentarier Graham Watson wirbt für Verständnis, dass ein europäisches Anti-Spionage-Abkommen für Großbritannien schwierig sei, weil es bereits eine enge Zusammenarbeit mit den USA, Kanada und Australien gebe. "Das könnte konkurrieren", sagt er.
Marietta Schwarz: US-Präsident Obama will sich heute in einer Rede zu den Konsequenzen aus der NSA-Spähaffäre äußern. Dass er eine grundlegende Reform seines Geheimdienstes anstrebt, wird allerdings kaum noch erwartet, die Hoffnungen für ein Anti-Spionage-Abkommen sind beinahe begraben. Doch nicht nur die Amerikaner tun sich damit schwer. Auch auf EU-Ebene wird um ein solches Abkommen seit einigen Monaten gerungen. Einige Mitgliedsstaaten, unter anderem Großbritannien sperren sich aber dagegen.
Die Briten wollen kein förmliches Abkommen, allenfalls, und das auch nur vielleicht, eine gemeinsame Erklärung zum Verzicht gegenseitigen Ausspionierens. Am Telefon ist Graham Watson; er sitzt für die britischen Liberalen im Europaparlament und ist unter anderem Mitglied im Auswärtigen Ausschuss. Herr Watson, einen schönen guten Morgen!
Graham Watson: Guten Morgen!
Schwarz: Was sagen Sie denn als Brite? Brauchen wir ein solches Abkommen innerhalb Europas?
Enge Zusammenarbeit zwischen Europa und Nordamerika
Watson: Meiner Meinung nach wäre es besser. Ich glaube, dass wenn wir zwischen den europäischen Ländern gute Beziehungen haben wollen, dann müssen wir Verlass aufeinander haben, und das ist am besten, wenn es eine enge Zusammenarbeit in diesen Sachen gibt. Es ist natürlich schwierig, besonders für Großbritannien, da wir bis jetzt eine solche Zusammenarbeit mit den Vereinigten Staaten, Kanada und Australien haben.
Schwarz: Das heißt, das würde konkurrieren gegenseitig, oder was meinen Sie damit?
Watson: Es könnte konkurrieren. Aber ich glaube, es wird viel einfacher und viel besser, wenn wir alle zusammen, das heißt Europa und Nordamerika, etwas zusammen tun. Wir wissen, was die Möglichkeiten sind, das heißt, es ist sehr, sehr nützlich, wenn man gegen Terroristen kämpfen will, solche Möglichkeiten zu haben.
Wir sind aber alle der Meinung, dass diese Maßnahmen unter parlamentarische Aufsicht und demokratische Kontrolle, juridische Kontrolle sein sollten. Wenn wir zusammenarbeiten, kostet uns das viel weniger, als wenn wir nicht zusammenarbeiten, und wenn wir zusammenarbeiten, schaffen wir auch mehr. Wir haben dieselbe Basis unserer Gesellschaft; wir sind alle Rechtsstaaten und Demokratien.
Schwarz: Ist das auch die Haltung der britischen Regierung, dass sie sagt, wir haben bereits dieses Abkommen mit den USA und mit anderen Ländern, da brauchen wir oder wollen wir keines innerhalb der EU haben? Ist das die Begründung für die Ablehnung?
Großbritannien wartet auf "klare Linie" aus Washington
Watson: Nein. Ich glaube, im Moment liegt es an Amerika. Es gibt immer noch diese heikle Debatte in Amerika. Die wissen jetzt und die – ich habe auch mit Abgeordneten von Kongress und Senat gesprochen. Wir haben viele Kontakte zwischen dem Europaparlament und dem amerikanischen Kongress darüber gehabt. Die wissen, dass bessere demokratische Kontrolle nötig ist. Die sind aber nicht so weit in ihrer eigenen Debatte, um zu sagen, das sollen wir zusammen machen. Großbritannien ist eng mit den Vereinigten Staaten hierin verbündet und will nichts auf europäischer Ebene bewegen, bevor es in Washington eine klare Linie gibt.
Schwarz: Man kann ja auch überhaupt mal fragen: Wäre ein solches Abkommen, wie auch immer es dann aussehen würde, eine wirkliche Garantie dafür, dass man sich gegenseitig nicht mehr ausspioniert?
Watson: Es wäre keine echte Garantie. Spionage gibt es, seit es den Menschen auf der Erde gibt. Das ist immer so gewesen. Es gibt zwei Arten von Spionage: Natürlich, wenn ein Staat sich politisch ausspioniert, aber auch industrielle oder wirtschaftliche Spionage. Wirtschaftliche Spionage ist etwas sehr, sehr viel Komplizierteres, sollte es nicht geben, wir wissen, dass es das gibt, aber, von dem her, was wir jetzt wissen, nicht durch diese Systeme. Aber das ist mindestens auf offizieller, auf staatlicher Ebene ein Abkommen gibt, das wäre meiner Meinung nach sehr, sehr wichtig.
Schwarz: In den USA ist diese NSA-Affäre, um die es ja dann auch heute noch mal in dieser Barack-Obama-Ansprache geht, kein Thema. Interessiert sich denn die britische Öffentlichkeit für das Ausspähen durch Geheimdienste?
Öffentliches Interesse auch in Großbritannien
Watson: Nein. Die britische Öffentlichkeit interessiert sich. Diese Enthüllungen von WikiLeaks und so etwas, das war alles durch den "Guardian" und eine amerikanische Zeitung zuerst gemacht. Es gibt ein Interesse. Wir haben auch, wie in Deutschland, Kenntnis der Gefahren eines Überwachungsstaats. Das wollen wir nicht.
Wir wissen, dass die Technologie, die es jetzt gibt, es fast unmöglich scheint, dass man zum Beispiel auf einem ausgeschalteten Computer einlesen kann. Solche Technologien können sehr hilfreich sein, aber die haben auch viele Gefahren. Und wir müssen uns einigen auf eine echte demokratische parlamentarische Aufsicht und juridische Kontrolle.
Schwarz: Herr Watson, wenn es auf EU-Ebene ein Abkommen nicht geben wird, was glauben Sie, könnte denn eine gemeinsame Erklärung bewirken?
Watson: Das wäre schon etwas. Das wäre schon ein Start. Wir wissen, dass es bis jetzt eine Zusammenarbeit gegeben hat zwischen zum Beispiel dem Bundesnachrichtendienst in Deutschland und dem schwedischen Nachrichtendienst. Das heißt, die Secret Services und die Geheimdienste unserer Staaten arbeiten zusammen. Wenn wir eine politische Erklärung haben, ist das schon ein Beginn für ein neues Abkommen.
Schwarz: Graham Watson, Abgeordneter im Europaparlament und dort unter anderem stellvertretendes Mitglied im Ausschuss für bürgerliche Freiheiten, Justiz und Inneres. Herr Watson, Danke Ihnen für das Gespräch!
Watson: Danke sehr!
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