"Wir alle haben ein Damoklesschwert über uns"
"Der Tag, an dem wir zurückschlagen": Unter diesem Motto protestieren Aktivisten heute weltweit gegen die Durchleuchtung der Bürger im Netz - darunter auch der Künstler padeluun. Ein Gespräch über die Macht der Dienste und den digitalen Widerstand.
Joachim Scholl: Das ist unser Internet: voller Daten über unser Leben. Regierungen sollten ihre Macht nicht einsetzen, um uns auszuspionieren und zu kontrollieren. Firmen müssen ihre Benutzer vor Überwachung schützen. – So heißt es auf der Kampagnenseite von "The Day We Fight Back", "Der Tag, an dem wir zurückschlagen". Weltweit haben sich Organisationen dazu formiert heute, darunter auch Digitalcourage aus Deutschland. Der Künstler und Netzaktivist padeluun hat ihn mitbegründet, diesen Verein, er ist jetzt im Studio in Bielefeld, guten Tag!
padeluun: Schönen guten Tag, Herr Scholl! Kleine Korrektur: Digitalcourage, wir sprechen uns auch deutsch aus!
Scholl: Na, das hätte ich jetzt gar nicht zu fragen gewagt, ich dachte, die Internetwelt ist so englisch, aber gut, dann sagen wir Digitalcourage!
padeluun: Danke!
Scholl: Wer heute noch nicht einschlägig im Netz unterwegs war, Herr padeluun, wird sich jetzt womöglich gerade überrascht fragen: Was ist denn hier los? Den Fight-Back-Tag habe ich noch gar nicht mitgekriegt! Was war denn los?
padeluun: Der Fight-Back-Tag soll an etwas erinnern, was wir bereits im letzten Jahr schon ausgearbeitet haben, nämlich 13 Prinzipien, wie sich Staaten im Netz und mit den Netzen verhalten sollen. Wobei, es geht dabei nicht nur um das Internet und unsere Internetnutzung, sondern auch darum, dass wir Telefone benutzen, dass wir fliegen und dort Daten über uns dann irgendwo hintransferiert werden. Also, das ist schon ein bisschen größer. Die ganze Geschichte mit den 13 Prinzipien, die da ausgearbeitet wurden, ist auch tatsächlich schon einmal vor der UN-Vollversammlung vorgestellt worden und jetzt geht es uns darum, das auch noch mal in Erinnerung zu bringen, dass sich da etwas bewegt und weitergeht und nicht weiterhin einfach nur mit unserem ganzen NSA-Skandal, den wir auf unseren Medienschultern lasten haben, uns weiter nur so beschäftigen und einfach nichts dabei herauskommt und das nur heruntergespielt wird von den Regierungen.
Scholl: Was hat sich denn heute so bewegt im Netz, an diesem Tag?
padeluun: Wie das mit den Kommunikationsnetzen so ist, es wird vor allen Dingen viel darüber kommuniziert. Viele Tweets laufen rum, es wird immer wieder der Link gesetzt auf die Hauptseite von der EFF, die dazu aufgerufen hat, und die Leute laden sich die Prinzipien herunter, lesen sie. Und wenn es richtig gut läuft, dann passiert noch etwas Weiteres, nämlich dass Menschen, die jetzt diese Prinzipien annehmen, darüber mit ihren Bundestagsabgeordneten sprechen und ihren Europaabgeordneten und denen das wiederum zur Kenntnis bringen. Weil, wir müssen einfach davon ausgehen, die sind so überlastet, dass die gar keine Zeit haben, jetzt diese wunderbare Sendung zu hören, sondern die muss man anrufen und mit Briefen … ich sage jetzt nicht bombardieren, aber ihnen freundliche Briefe schreiben und darauf hinweisen, dass es da etwas gibt, zu dem man, ich denke, wenn man das liest, auch nicken kann.
Scholl: Man hat ja schon das Gefühl, dass der öffentliche Protest, die große Empörung merklich abgeflaut sind. Sie von Digitalcourage haben die Strafanzeige gegen die Bundesregierung mit formuliert, mit gestellt. Das war in der letzten Woche noch mal eine Meldung. Wie groß ist eigentlich hier die Unterstützung im Netz?
padeluun: Die ist sogar sehr groß, wir haben ja erst vor zwei Tagen oder gestern erst eine Seite an den Start gebracht, weil so viele Leute gefragt haben, wie man da mitmachen kann, in der die das mit unterstützen können. Die können dort per Klick unterschreiben, kriegen ein PDF, drucken es aus, unterschreiben es, schicken es an die Anwälte. Und im Moment ist es so, dass etwa 40 Leute pro Stunde das mitzeichnen und sich die entsprechende Seite runterholen und eben versuchen, auf diese Art zu zeigen, dass sie protestieren, dass sie auch nicht dafür sind. Auch wenn sie jetzt nicht auf die Straße gehen und die große Revolution ausrufen. Wir hoffen ja immer noch auf den Verstand unserer Regierung.
Scholl: Aber ist das nicht gerade, padeluun, das Problem, dass diese Erregung im Netz groß ist, das Engagement auch, gegen diese Entwicklung groß ist, die Unterzeichnungen stattfinden – 40 pro Stunde, sagen Sie –, aber dieser Protest ja doch irgendwie intern bleibt? Man sieht ihn halt so schlecht, wo sind die Großdemonstrationen auf der Straße? Ist das nicht fatal, wenn die Wirkung, wenn man so will, im Netz bleibt? Oder wie schafft es denn der Protest, rauszukommen?
padeluun: Na ja, wir haben sicherlich eine Zeit, in der einmal pro Woche mindestens ein Riesenskandal durch die Medien geht. Und wenn wir jetzt alle jedes Mal auf die Straße gehen wollten, ich glaube, das würde wirtschaftlich für die meisten Menschen dann nicht mehr funktionieren. Insofern machen wir hier und da Demos, es hat in diesem Jahr auch schon Demonstrationen, auch beachtlich große gegeben, wir haben im September unsere, ich sage jetzt mal, Traditionsdemo zum Thema "Freiheit statt Angst" in Berlin durchgeführt, die fast 20.000 Menschen zusammen bekommen hat. Das sind durchaus Zahlen, das ist durchaus beachtlich.
Ich sehe auch, dass wir jeden Tag von Leuten angeschrieben werden, Menschen, die ihre Ängste auch fürchten, also langsam durchzudrehen und paranoid zu werden, weil sie nicht mehr wissen, inwieweit sie tatsächlich überwacht werden oder eben nicht. Das ist ja so ein bisschen das, was man Terror nennt, man weiß gar nicht genau, was mit einem gemacht wird. Auf der anderen Seite sehen wir hohes Interesse bei Leuten, die auch im Bundestag sitzen, die mit uns sprechen, die wissen wollen, was kann man eigentlich einbringen, um das zu verändern.
Und wir sehen auch ein bisschen die Ohnmacht daran, dass wir im Moment uns in Deutschland noch nicht mal trauen, Edward Snowden einzuladen, weil wir Angst haben, dass er hier dann von den USA entführt werden würde. Obwohl, das ließe sich verhindern, in unserer Strafanzeige zum Beispiel haben wir explizit darauf bestanden, dass Edward Snowden hier vor Gericht in Person angehört wird. Und ich denke, das steht uns auch gut an, auch noch mehr von unserer Regierung zu fordern, dass er dann Garantien bekommt für Unverletzlichkeit seiner Person und im Zweifelsfall auch Asyl bekommt.
Scholl: "Der Tag, an dem wir zurückschlagen". Gegen die Überwachung des Internets protestiert auch der Künstler und Netzaktivist padeluun, im Gespräch hier im Deutschlandradio Kultur. Passend zu diesem kämpferischen Tag, padeluun, gibt es eine neue Onlineplattform, die gestern an den Start ging. "The Intercept" heißt sie, man könnte das mit "Mit-" oder "Abhörer" auf Deutsch übersetzen. Ein neues, investigatives Enthüllungsforum, gestartet von Glenn Greenwald, vom britischen "Guardian", heute weltberühmt, weil er eben Edward Snowdens Erkenntnisse ans Licht der Öffentlichkeit brachte. Sind solche Enthüllungsplattformen auch ein Weg für die digitale Zivilgesellschaft, wenn ich es mal so nennen will, um das Internet zurückzuerobern?
padeluun: Oh, ich glaube doch, dass das quasi schon unter Beweis gestellt worden ist. Selbst die Plattform WikiLeaks, die ich jetzt nicht so toll finde, weil das so sehr in der Anonymität stattfindet, hat sehr, sehr viel bewirkt, auch sehr viel Einblicke für normale Bürgerinnen und Bürger in Politik und diplomatische – in Anführungszeichen – Politik gegeben. Und ich finde es sehr, sehr interessant, wie viel Information wir also als gesicherte Information von Edward Snowden bekommen haben über Glenn Greenwald und andere, über den "Guardian", der viel veröffentlicht hat, und wir als normale Bürgerinnen und Bürger, so langsam, aber sicher doch mitbekommen, wie umfassend diese Überwachung ist.
Dass also Geheimagenten nicht mehr die sind, die dann halt, wenn irgendwo was Interessantes passiert, sich im Auto die Nächte um die Ohren schlagen und jemanden beobachten, sondern dass permanent jede Millisekunde alles, was wir irgendwie tun, irgendwo elektronisch erfasst wird, egal, ob wir das selber irgendwo eintippen oder andere über uns, an eine bestimmte Stelle gehen, dort gesammelt wird, als Riesenvorrat angehäuft wird, aus dem man – und das wissen wir ein bisschen aus der Datenverarbeitung – auch jeden Verdacht herauskonstruieren kann, den man gerne möchte. Das heißt, wir alle haben ein Damoklesschwert über uns und wir wissen nicht, ob nicht mal irgendwann der Zustand kommt, wo jemand mit viel Macht dieses Schwert gegen uns einsetzt.
Scholl: Lassen Sie uns doch mal kurz über dieses "The Intercept" sprechen, wie ist das eigentlich gedacht? Das soll der Anfang einer ganzen Reihe solcherlei Plattformen sein. Wir müssen wir uns das vorstellen, werden wir jetzt also in Zukunft, was weiß ich, länderübergreifend solche Enthüllungsplattformen sehen?
padeluun: Das könnte passieren. Ich weiß einfach, dass ganz viele Leute mit der herkömmlichen Bearbeitung durch Medien nicht so überzeugt sind, dass das funktioniert. Wir haben ganz viele Sachen entdeckt, wo wir eigentlich sagten, mein Gott, das hätte die fünfte Macht schon mal vorher skandalisieren müssen. Und dann ist es natürlich sehr klar, dass man versucht, mittels des Internets, sozusagen direkt an die Endanwenderin, den Endanwender zu kommen und denen bereits Informationen zu geben. Auf der anderen Seite ist das auch eine Chance für Journalistinnen und Journalisten, die in einem sehr, sehr schwierigen Themenbereich, nämlich das, was Geheimdienste betrifft, das, wo man eben nicht genau weiß, was passiert, wo Sachen zurückgehalten werden, dass die auch Möglichkeiten finden, in diesem Material ihre Storys zu finden, und vielleicht mit daran arbeiten können, dass ein demokratischer, rechtstaatlicher Zustand wiederhergestellt wird.
Scholl: Es steckt sehr, sehr viel Geld in diesem "Intercept"-Projekt. Der eBay-Gründer Pierre Omidyar soll 250 Millionen Dollar investiert haben. Die Industrie, könnte man folgern, ist mehr und mehr auf der Protestseite. Ist das auch Ihr Eindruck?
padeluun: Teilweise ja. Man muss immer ein bisschen sehen, dass da manchmal auch Krokodilstränen mit im Spiel sind. Um es kurz zu erklären, die Krokodilsträne kommt dann, wenn die Mama ihr Junges schützen will, dann weint die Mama, um den Angreifer abzuwehren. Und das sehe ich auch da ein bisschen. Natürlich ist das für Kommunikationsunternehmen ganz, ganz schlecht, wenn das bedeutet, wenn ich bei ihnen Kundin oder Kunde werde, dass ich dann sozusagen alle meine Infos direkt an einen Geheimdienst ausliefere, und natürlich wären die Unternehmen gut beraten, wenn sie zumindest darstellen, dass dem nicht so ist. Wir können ihnen da nicht glauben, nicht ohne Grund versuchen die meisten Menschen, große Mail-Anbieter zum Beispiel zu vermeiden, sondern dann lieber zu kleineren zu gehen, um zu versuchen, den Leuten vielleicht auch noch sogar ins Auge gucken zu können, denen man dort seine Daten mit anvertraut. Und eigentlich müsste es auch so sein, dass Kommunikationsanbieter eine Schweigepflicht auferlegt bekommen. Das heißt, sie dürfen unter keinen Umständen, auch nicht vor Gericht, Aussagen treffen.
Scholl: Wie werden Sie, padeluun, diesen Tag heute beschließen, an dem Sie zurückgeschlagen haben?
padeluun: Es wird gar nichts Besonderes sein. Ich arbeite jeden Tag an dem Thema, dienstags ist bei uns auch immer Großkampftag, wir haben viele Besprechungen, wie haben ein Treffen mit unseren Freiwilligen und später noch einen kleinen lokalen Treffpunkt in einem Café in Bielefeld, wo auch einfach Interessierte mit dazukommen können. Ich werde garantiert gucken, wie unser kleiner Aufruf, eine Strafanzeige mitzugestalten, wie der angekommen ist, wie viel Spenden eingegangen sind, weil, anders als Herr Greenwald haben wir keine 250 Millionen Euro, sondern müssen alles, was wir arbeiten, auch selber verdienen an Geld. Das heißt, ohne Spenderinnen und Spender und Mitglieder wären wir erledigt quasi, schaffen das aber in der Regel ganz gut. Und ich hoffe, dass, wenn ich heute Abend so gegen 23 Uhr zu Hause bin, dann auch sagen zu können, ein kleines bisschen habe ich mit wieder daran helfen können, zusammen mit den Leuten, die uns unterstützen, um die Welt ein kleines bisschen besser zu machen. Aber es gibt noch viel zu tun und da wüsste ich auch noch Themen für mehrere Sendungen bei Ihnen, was man eigentlich alles machen müsste!
Scholl: Weltweiter Protest gegen die Überwachung im Internet, heute, am Tag, an dem zurückgeschlagen werden soll. Das war padeluun von Digitalcourage, dem Verein aus Deutschland. Ich danke Ihnen für das Gespräch!
padeluun: Ich danke Ihnen auch, vielen Dank, Herr Scholl!
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